Ol‘ Frankie’s Watertown

Irgendwann schlägt jedem die Sinatra-Stunde.

Eine Platte für die Frühjahrsmüdigkeit.

Du legst sie auf, es umarmt dich eine einschmeichelnde Musik, die an früh70er Vorabendserien der Marke „Elefantenboy“ erinnert, oder „Margreth Thursday“ und du dämmerst weg, um erst bei den letzten Takten wieder aufzuwachen, „I’m sure, I’d recognized her face“… und die Musik entfernt sich, wie ein Personenzug, der in der Ferne immer leiser wird.

Du hast eine wunderbare Story verschlafen. Frank Sinatra erzählt sie dir auf seinem Watertown- Album von 1970, wann immer du willst.

Sehr viele werden es nicht sein, die das wollen. 30 000 Exemplare nur gingen damals über den Ladentisch. Ein blamables Nichts für „Ol’blue Eyes“. Es heißt, er mag deshalb das Album nicht.

Schade eigentlich. Es ist ein gutes!

Er wollte es ja selbst auch, als er von der „The Imitation of Life Gazette“ begeistert war.

Gaudio und Holmes machten sich also ran und schrieben ihm ein Konzeptalbum der sehr melancholischen Art.

Die Schilderungen all dieser Slacker-Schicksale in der Ami-Provinz zwischen Frau verdreschen-Auto schrotten-Drogen dealen-Army&Knast sind Legion. Hier stattdessen die leise sich anschleichende, völlig unaufdringliche Variante eines Saubermannschicksals, die dich im Nachhinein deutlich mehr berührt, weil der beschriebene Lebensstil viel mehr mit deinem Eigenen zu tun hat:

Ein verlassener Mann in den besten Jahren in einer amerikanischen Kleinstadt erzählt, wie ihn seine Frau verließ, weil die großen Erfolge in der großen Metropole lockten und wie er mit den Kindern zurückblieb.

Er erzählt, dass da kein großer Krach und kein Bleib-doch-Gebettel war. Dass sie sich lieb verabschiedete und versprach zu schreiben.

Wie er sich immer wieder damit plagt, die Gründe für sein Scheitern zu finden; weshalb der Magnetismus der ersten Ehejahre verflog; wie er sich einen Neuanfang herbeisehnt, wenn sie doch wiederkäme…

Wie in guten Hollywood-Streifen, wo Lachen und Weinen psychologisch meisterhaft kombiniert eng beieinanderliegen, entdeckst du in den simpel gehaltenen Lyrics hier ebenfalls die Gänsehautmomente und schmunzelst doch wenig später über Alt-Männer-Humor a la

„The kitchen looked like World War III, what a funny girl you used to be…“,

weil du diese Sprüche kennst. Weil das das Leben ist. Das Leben der Anderen. Solche Scheidungsgeschichten blieben gottlob outside of the family, aber nahe genug, um bei diesem und jenem Schicksal mitzuleiden.

Sie schreibt, dass sie an Gewicht verlor, mehr Auftritte hat, die Karriere läuft… die Stadt schön aber fremd bleibt. Er schöpft daraus Hoffnung.

Die Platte enthält keinen Las Vegas Swing mit Bügelfalten-Lackschuh-Tritt in den Bläsereinsatz, wohl aber diese sich anschleichenden Klarinetten-Soli a la Benny Goodman (Chamber Version). Violingestreichelt.

Der Schwachpunkt der Platte ist die Abwesenheit von einprägsamen Hooklines.; womit also keine Trompeten von Jericho-Chorusse gemeint sind. Aber so was „Heart of Goldhaftes“, leise Eindringliches, wie es eben Onkel Neil mit links kann, das wäre hier das Tüpfelchen gewesen. „I‘m sayin‘ something stupid, like: I love you“ – Old Frankie hat das ja zuvor bereits geschafft, aber eben leider nicht hier. Weil das nun nicht zu haben ist, kommt es dir phasenweise vor, wie ein Versuch, Brechts Episches Theater musik-minimalistisch untermalen zu wollen. Sinatra goes Minetti.

Aber wenn man sich drauf einlässt, dann geht man trotzdem mit, wenn die zunächst einschläfernde Musi‘, die den bescheidenen Alltagsablauf des Erzählers untermalt, lebendiger wird, da er einem Brief zu entnehmen glaubt, „Sie“ käme bald auf Besuch. Prompt steht er am Bahnhof. Es gießt. Das ist egal!

Sie kommt – sicher – die Schranken gehen zu – der Zug fährt ein – Leute steigen aus – und verlaufen sich. Der Zug fährt an –

„Ich war sicher, ihr Gesicht gesehen zu haben …“ – tudumm-tudumm-tudumm – und verschwindet am Horizont.

Der Songzyklus korrespondiert mit „Saturdays father“ auf der „IoLG“ der 4 Seasons. Der Begriff „Watertown“ wird auch dort erwähnt.

Und er korrespondiert mit „Delta Dawn“ von 1972. Hier steht SIE jeden Tag abreisebereit am Bahnhof, aber ER kommt nicht, um sie wegzuholen. In Watertown dagegen warten ER und die kleinen Söhne, aber SIE kehrt nicht zurück.

Feine Puzzleteile im Musik-Kosmos.

sinatra

Ein Gedanke zu “Ol‘ Frankie’s Watertown

  1. Ein wunderbares Album … und das Beste daran: ich kannte es noch nicht, hab vielen Dank! Ich mag Sinatra sehr, auch mit allem Drum und Dran als Glanzschuhteil des Rat Pack , aber am liebsten, wenn er leicht melancholisch und eher etwas spröde ist, gelangweilt vom Leben die Texte mit leicht spöttischem Lächeln heruntersingt. Manchmal ist dann so eine gewisse Wehmut zu spüren, die mich an den Film nach der Vorlage von Algren erinnert: Der Mann mit dem goldenen Arm. Hör mich grad ein und finde, da plätschert nix so dahin, sondern, man muß sich schon in seinen Kosmos begeben und ungestörte Zeit schenken … es lohnt sich allemal … freu mich!

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