Die 4 Seasons und ich
Irgendwo in einem der besseren Stadtteile von Newark /New Jersey; Anfang der 60er:
Das Geschäftszimmer des wohlhabenden Luigi diNgsbumsio:
„Ich habe hier diesen vielversprechenden jungen Mann. Den nehmt ihr in die Band. Frankie, mein Engelchen, braucht Hits.“
Der graumelierte ältere Herr im Maßanzug lässt Goldkettchen und Rolex klappern. Seine Bodyguards verstellen mit verschränkten Armen die Tür. Er lächelt dem verschüchtert auf der Seite stehenden Frankie Valli wohlwollend zu. Der Pate richtet seinen Blick wieder auf sein Gegenüber; er starrt dem Leader dieser kleinen Ratten-Combo da Aug in Aug. Das ist Tommy deVito, Italiener wie er; deutlich jünger, aber einer von diesen erfolglosen Idioten, die es weder mit Einbrüchen noch mit der Musik bisher weit brachten. Luigi fixiert ihn mit bösem Blick. Wie oft hatte er die nun schon aus dem Knast geholt? Die müssten ihm sowieso die Fußsohlen küssen!
Der Straßenköter da wagt doch tatsächlich Widerspruch:
„Wir brauchen keinen 5. Mann. Wir haben alle Instrumente besetzt!“
„Dann schmeiß einen raus. Ihr Stümper seit alle ersetzbar. Frankie braucht Hits. Ich will, dass ihn die Welt hört!“
„Und wenn nicht?“
„Dann sitzt ihr demnächst eure Haftstrafen voll ab.“
„Was kann der Neue? Er wirkt so geschniegelt?“
„Songs schreiben. Und er hat zwei Dinge, die du nicht kennst: Highschool-Abschluss – und – Talent.“
„Wie heißt er?“
„Bob Gaudio.“
„Wenn‘s sein muss.“
Bob Gaudio bringt als Gesellenstücke „Sherry“, „Walk like a man“ und „Big Girls don’t cry“ mit zur Probe. Der Rest ist Geschichte. Drei Nr. 1 Hits für einen Kometen-Start.
Der Pate sorgte für Airplay im Rundfunk, die Single-Umsätze gingen durch die Decke; Ostküste, Westküste; weltweit. Zwei bis drei ehemalige Kleinkriminelle, ein unbedarfter jung-naiver Wundersänger und der Streber mit dem Schulabschluss millionarisierten sich. Bis 1969. Dann kam die Steuer.
Mehr als eine Million Dollar wurden fällig, die keiner von ihnen mehr hatte. Wie so oft, hatten auch sie den Umgang mit Vermögen nie gelernt: Autos, Villen, Mädchen… und nun alles futsch.
Drivin‘ to the Poor-House in a Limousine? Oder gar in den Knast?
Es half nichts. Man musste mal wieder zum „Paten“:
„Frankie darf nicht in den Knast! Frankies Stimme kommt von Gott!“, ist der überzeugt.
Er hält zu seinem Protegé und es kommt zum Deal.
Der Pate zahlt die Steuerschuld. Die Band soll sie bei ihm abstottern, was vor allem an Frankie Valli hängen bleibt, denn nur er zieht Publikum. Bob Gaudio hat seine Lektion gelernt, stellt nun einen Finanzberater ein, lernt von ihm, emanzipiert sich von der finanziellen Weiterstümperei von deVito, dem der Pate von Zeit zu Zeit das Konto pfändet. Gaudio und der Pate raten Valli zur Solokarriere, aber der will nicht mit den Kumpels brechen. Das 1970er Album heißt deshalb „half & half“; eine Seite 4 Seasons-Songs; eine Seite Frankie Valli-Solo-Nummern, alle von Gaudio geschrieben, eingespielt von der Band; aber strikt geteilte Einnahmen. Das Album wird ein Flop. Schlimmer als der Vorgänger, der wenigstens noch ganz hinten die „Hot 100“ streifte. (Aber das ist ein Kapitel für sich.) Plattenumsätze brechen weg. Frankie Valli tingelt durch jedes Loch, wenn es ein paar Dollars bringt; malträtiert seine markante Kopfstimme, was nicht ohne Folgen bleiben wird. Aber er schafft die Rückerstattung in Raten; dank Gaudios nun vorhandenem Durchblick ohne gänzlich zu verarmen.
Die Band erlebt mehrere Come-Back-Versuche bis 1985; immer mal wieder taucht der Name der „4 Seasons“ im Radio auf; fast immer als altgediente Super-Group angepriesen, jedoch fast immer floppend.
Mitten drin in dieser Serie aus Niederlagen gelingt 1975 das späte One-Hit-Wonder „(Oh what a night) Dezember’63“. Bludgeons zweites Fan-Erlebnis abseits von der Herde.
„Fame“ von Bowie war schon so ein Alleinstellungsmerkmal: Wieso gefällt das keinem außer mir?
„Oh what a night“ war beliebter, aber nur Bludgeon konnte mit diesem Song die Rückschau aus dem elterlichen Eigenheim auf die bunt verglaste Gründerzeit-Villen-Wohnung seiner ersten 7 Lebensjahre verbinden. Zum ersten Mal wehte ihn nun das „Gute-alte-Zeit-Feeling“ an. Diese schlossartigen großen Räume! Die mysteriöse Bodenkammer! Die Käuzchen im Birnbaum. Die Lichtreflexe im elterlichen Schlafzimmer: Das hatte nur ein Fenster zur Veranda und dieses innere Fenster war mit Butzenscheiben umrandet. Davor lag die ebenfalls buntverglaste Veranda. Fielen nun die Morgensonnenstrahlen balkenhaft schräg durch diese doppelte Buntheit tanzte der Staub wie in Partybeleuchtung.
„I remember back in’63, when Ritter Runkel comes to me“ sozusagen… oder wars 64? …65? …Egal! Die Kindergartenversion des späteren Bludgeon träumt sich am Wochenende in sein morgentliches Märchenland, reitet Bento oder Duran, befreit Suleika und verdrischt endlich mal den dicken, fiesen Bernd…bis die Nase blutet! Seine natürlich!
Und 1975 liegt er ebenfalls in seinem Bett am Sonntagmorgen. Gar nicht weit weg von der alten Wohnung. Gemütliche Mansarde, kultig echte Ziegeltapete an den graden Wänden; zeittypische Bierbüchsenpyramide gegenüber auf dem Bücherschrank. Leider nirgends Buntglas an den Fenstern. Der Arm reicht bis zum „Anett“ auf dem ausrangierten Servierwagen davor. Abspieltaste. Musikalische Morgen-Droge: „Uh what a night, I remember back in‘ 63! Oh what a special time for me…wahuwah u what a night!“
Was machts, dass Bob Gaudio etwas ganz anderes damit verband, als er den Song schrieb. 😊
Schau dir den Film „Jersey Boys“ von Clint Eastwood an, der verrät den Hintergrund.
Und ist seeehr zu empfehlen!
Danke für den Beitrag! Ich habe mir den Film einmal im Kino angesehen und ihn sehr genossen!
Ich bin schon gespannt auf die Fortsetzung.
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Die „Four Seasons“ waren eine Pop-Gruppe mit überschaubaren musikalischen Qualitäten und hatten kaum Einfluss auf spätere Musiker und Bands. Clint Eastwood hat mit „Bird“ einen guten Film über Charlie Parker und mit „Honkytonk Man“ ein Drama über einen Country-Musiker während der Depression gemacht. Er sich in seinem Dokumentarfilm „Piano Blues“ auch mit dem Blues beschäftigt. Daran gemessen, finde ich „Jersey Boys“ enttäuschend.
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Tja, jedem sei sein Geschmack gegönnt.
Einfluss auf spätere Musiker? Hatten Yes ooch nich.
Die 4 Seasons waren bis „Jersey Boys“ Musical ziemlich vergessen. Das macht das Entdecken interessant. Sie sind keine totanalysierten Beatles oder Stones. Und sie waren gerade im Scheitern stark, wie noch zu erzählen sein wird.
Clint Eastwood soll das Musical gesehen und prompt die Filmrechte haben wollen, um seinen Jugendhits ein Denkmal zu setzen.
Ich finde, dass ihm das voll und ganz gelungen ist.
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Zum Glück sind die Geschmäcker verschieden, sonst würde es diese Vielfalt nicht geben. Musicals waren halt nie so meine Sache, und wenn in dem Film „Jersey Boys“ in mehr als zwei Stunden die gesamte Geschichte dieser Band erzählt wird, dann finde ich das zunehmend langweilig.
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So würde es mir bei den ewig gleichen Elends- und Beschissschilderungen von „Bluesern“ gehen.
Eastwood erzählt ja bloß die 60er Phase, ohne das interessanteste Kapitel – ihr 69er Konzeptalbum – auch nur zu erwähnen. Er hat mehr oder weniger das Musical in einen Film verwandelt. Und in den 70ern interessierten sie ihn eben auch nicht mehr. Gaudio als Librettist wollte jedoch nicht an die kommerziellen Pleiten erinnern, obwohl da Nuggets schlummern, die nur keine Werbung hatten. Für Massenerfolg, damit es sich rechnet, müssen es halt die Hits sein – und nur die Hits. Seine Kalkulation ging auf.
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