Renft und ich (VII)
oder
Als ob nichts gewesen wär…
Es war einmal ein Tour-Bus anno’96, der stand hinter der Location in der gerade ein Konzert zu Ende war. Die Band steigt ein; zwei alkoholisierte Mitglieder kabbeln sich schon in der Kneipe und draußen weiter. Der eine hat, wie in guten alten Ostzeiten üblich, das noch nicht ausgetrunkene, derbe Wirtshausglas einfach „weggefunden“, noch in der Hand. Als ihm reicht, was ihm der andere da so alles an den Kopf wirft, wirft er auch. Das Glas verfehlt den Adressaten und trifft den Kopf eines anderen Bandmitgliedes. Die Folgen für den unfreiwilligen „Glasfänger“: Platzwunde. Säuernis über die Alki-Eskapaden der beiden grauen Band-Eminenzen. Genäht werden müssen. Zum Anwalt traben. Verklagung. Über alles weitere schwiegen die Medien.
Die Folgen für den unrechtmäßigen „Glaseigentümer“: Rausschmiss aus der Band.
Die Folgen für die Fans der Band: Renft von Renft gefeuert!
Klingt wie ein Witz.
Renft auf Tour, aber ohne den Namensgeber, der schmollend nach Auswegen sucht.
Und sein rettender Engel wird: Cäsar.
„Kommste mit of Tour. Der große Schmott isses zwar nich‘, aber stehste erst ma nich so ganz ohne da.“
Cäsar & die Spieler sind 1997 also mit „Special Guest“ auf Tour und präsentieren einen, „der in einem verschwundenen Land mal eine bekannte Band gegründet hat, die dann auch verschwand“.
Nebenbei versucht Cäsar im Streit mit der Renft-Band zu vermitteln, was misslingt. Noch im selben Jahr die nächste öffentliche Sensationsmeldung:
Es gibt wieder eine „Klaus-Renft-Combo“! Noch unfertig. Und weiterhin existiert eine Band, die „Renft“ heißt und nun ein Namensproblem hat. Bald schon heißt sie „Monsters Renft“.
Klaus’ns Buch erscheint und gipfelt in dem Resümee:
„Zwei Bands sind manchmal weniger als eine.“
Wie wahr.
Interessante Gerüchte machen die Runde, wer dieser Renft-Combo angehören würde. Das Beste darunter war: Alle klassischen Mitglieder außer Monster. Also 5 von 6. Dafür Gerulf Pannach nun als fester Bestandteil.
Dann kam Ernüchterung 1: Gerulf tot! Er starb fast zeitgleich mit Rudolf Bahro und Jürgen Fuchs, dem Schriftsteller: Alle 3 am selben Krebs; alle drei 1977 in Stasi-Haft, in Einrichtungen, in denen im „Foto-Raum“, wo für die „Verbrecherkartei“ geknipst wurde, Röntgenapparate hinter Vorhängen gefunden wurde. Sind missliebige Dissidenten-Promis also „verstrahlt“ worden? Ein heißer und bis heute nicht aufgeklärter weiterer Legendenbaustein.
Ernüchterung Nr.2: Cäsar bleibt doch bei seinen Spielern.
Ernüchterung Nr.3: Jochen Hohl fehlt ebenfalls, ohne dass verlautbart wird, weshalb.
Die Band besteht schließlich aus wieder nur drei Alt-Kadern: Klaus, Kuno und Pjotr.
Hinzu kommt der graumelierte „Basskran“ von Reform: Marcus Schloussen. Zwei Meter vier und das Instrument meist waagrecht vor dem Bauch. Der Name passt.
Aber Klaus’ns neue Renft-Combo erschreckt die Welt geradezu mit einer Neuigkeit, an die die Fans schon nicht mehr glaubten:
Es wird 1999 ein neues Album geben. Sein passend programmatischer Name „Als ob nichts gewesen wär!“ Der Titelsong ein genial sich wandelnder Rumpler, als ob man bei der „Straßenbahnballade“ beginnen wolle, dann aber doch eher im „Downtown-Train“ landet.
Bäm!
CD gekauft. Gehört. Und zunächst – mittelmäßig begeistert.
Dem Album ist einerseits anzuhören, dass es beinahe so ein Murks hätte werden können, wie die Pannach+Kunert Veröffentlichungen. Da ist schon die eine oder andere Nummer verzichtbar. (Vor allem die Liebeslieder klingen so – naja, abgebrüht. Man ist eben aus dem gewissen Alter raus. Scheidungsversehrte Wölfe suchen willige Reste.)
Beim Einspielen des neuen Materials in Klaus‘ Schlafzimmer helfen Detlef „Delle“ Kriese (früher Passion und Cäsars Rockband) und Heinz Prüfer (früher Express und Reggae Play). Beide formal noch bei Monsters Renft, nach Erscheinen der CD aber doch fest übergewechselt. Die Verdoppelung der Band war somit durch Migration erledigt.
Auf der anderen Seite hatte das Album aber auch eine unüberhörbar starke Seite:
Alte Renft-Stärken: Mehrere Sänger; Alltagskritisches („Wenn du groß wirst“, „U-Bahn“; „Ernst Lustig“) und Rebel-Legenden-Pflege („Hacker-Rag“; „Blues in Rot“); und dazwischen diese angenehm melancholischen „Ermutigungs-Songs“:
Der „Frost, der hart macht“ got a little Babe, and they named it „Es war da eine Zeit“! Absolut geil! Klaus am Mikro. Der kann nicht singen, monierten Kuno und ein paar Rezensenten in der Presse. Wann hätte im Rock je jemanden interessiert, ob der Sänger ein hohes C schafft? Pah!
Christa Wolf schrieb „Kindheitsmuster“ für die Generation meiner Eltern. Sie feierten das Buch. Kurt Demmler schrieb „Es war da eine Zeit“für meine Generation. Ich feiere das Lied. (Wenn du verstehst, was ich meine.)
Und was einmal klappt, das klappt auch zweimal – und deshalb gibt es in ähnlicher Art noch „Ist das etwa nichts“. Kuno hat Klaus hier zu seinem ganz persönlichen Denkmal verholfen. Der brave, stets loyale Kumpel, der sich für seine Streithähne nicht nur anno‘75 prügeln ließ:
„Schmeißen Sie den Kunert(= Kuno) und den Schoppe(= Monster) aus der Band und wir versprechen ihnen, dass wir Sie weiter unterstützen. Brechen Sie den Kontakt zu diesem Pannach endlich ab und der 3. LP steht nichts mehr im Wege.“ (KGD Leipzig)
„Ich arbeite doch nicht gegen meine Leute.“ (Klaus)
„Klaus Jentzsch, genannt Renft, ist als Ensemble-Leiter einer Tanzformation untragbar. Sein Alkoholkonsum zeugt vom Stand seiner Verwahrlosung. Daher Spielerlaubnisentzug auf Lebenszeit.“
(Beurteilung Stasi-Akte; sinngemäß wiedergegeben; siehe Klaus‘Memoiren „Zwischen Liebe und Zorn“ von 1997)
Er wollte doch eigentlich immer – nur spielen. Ein Leben für den Rock&Roll:
„Hör mal, wie mein Kumpel Saxophon bläst! Ist das etwa nichts?“
Es ist ein deutsches Tom-Waits-Album. Die Coverfotos sprechen eine eindeutige Sprache. Streetcredibility unzweifelhaft.
Es ist eins von diesen Alben, die mitwachsen, wenn die Jahre verstreichen und Situationen eintreten, die die Songs illustrieren.
Das liegt auch an einem Konzertbesuch meinerseits:
Neustrelitz, Stadttheater, Januar oder Februar 2000, glaub ich.
Zunächst nur Kuno on Stage:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freunde der Nacht! Ich begrüße Sie zum heutigen Konzert der Klaus-Renft-Combo!“
Applaus.
„Die Gruppe Renft. Optisch leider ein trauriger Fall.“
Pjotr, Klaus & Kuno
Zustimmendes Gelächter.
„Deshalb haben wir beschlossen, einzeln die Bühne zu betreten, damit Sie sich an den Anblick gewöhnen können.“
Applaus und Gelächter.
Dann greift er in die Tasten; oder hatte er für die Eröffnungsnummer die Gitarre um?
Er ist noch immer allein auf der Bühne. Zwei-drei Töne und:
„Ich bau euch ein Liiiiied! Aus grauen Pflastersteinen…“
Und die anwesenden, ca. 200 Althippies, Sparkassenangestellten, Baumarktverkäufer, Trunkenbolde, Lehrer und Pastoren erreichen den ersten Applausspitzenwert des Abends. Die Legende lebt!
Das neue Album wird reichlich vorgestellt, aber auch von den alten Hymnen ist fast alles da, vor allem natürlich auch „Sonne wie ein Clown“.
Eine herrliche, sternklare, kalte Winternacht.
Mein heiligs Blechle draußen vor der Tür bringt mich warm und wohlbehalten wieder heim. Untypischerweise bleibt die Musik im Auto aus. Das Hirn ist beschäftigt. Erfüllt vom Soundtrack des Lebens:
„Und blast ihr in den Sand euren Atem aus, werden Wellen draus, es war da eine Zeit, zwischen Liebe und Zorn, träumt ich meinen Apfeltraum in Moll, als ob nichts gewesen wä-här!, Kinder, ich bin nicht der Sandmann, der ist von kürzerem Haar, sag ich der schönsten von den Küchenfraun; Frühling, Sommer, Herbst und Winter, mancher lacht schon gar nicht mehr. Lachend aber sind wir Kinder! Als ob nichts gewesen wär!“
©Bludgeon
Danke für diesen lesenwerten Beitrag.
„Als ob nichts gewesen wär“ habe ich mir um die Jahrtausendwende aus der Bibliothek in Gotha ausgeliehen, aber irgendwie hat mich das Werk nicht angesprochen. Bei meinen letzten Besuchen in Erfurt hätte ich mir die CD für lau kaufen können, hab aber immer noch Angst davor, eine Fehlinvestition zu tätigen.
Aber jetzt, nachdem ich Deinen Bericht gelesen habe und wenn ich dann wieder nach Erfurt fahren darf…
Darf ich noch kurz anmerken, dass die Biographie „Zwischen Liebe und Zorn“ schon 1997 erschienen ist und nicht erst 2007, wie in Deinem Text angegeben – oder war die Jahreszahl bewusst gewählt?
Liebe Grüße!
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Arghhh. Danke für die Berichtigung. Nee-nee-blöder Tippfehler von mir.
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