Renft und ich (V)
oder
Allseitige Strategieprobleme
Warum nur die halbe Wiedervereinigung von Renft? Welche Hindernisse gab es 1990 für eine triumphale vollständige Reunion? Alle waren noch am Leben! Wo zum Beispiel war Kuno abgeblieben? (Cäsar machen wir später.)
Der wollte nicht! Da gibt es ein ganzes Bündel von Gründen und die leidige Vorgeschichte aus den 70ern. Es gibt eben so Wunden, die nicht heilen wollen. Licht ins Dunkel brachten – wenigstens ansatzweise – die diversen Veröffentlichungen von Klaus, Delle Kriese und Cäsar.
Allesamt Lesens-/hörenswert und doch letzte Fakten vergessend/verschweigend.
Cäsars Buch hab ich (noch) nicht gelesen, aber sein Hörbuch „Cäsar erzählt“ angehört.
In den 90ern wussten wir vieles nicht, was da zu lesen steht.
Als am 11.11. 1989 diejenigen wieder auf Arbeit kamen, die den 10. in Westberlin oder mit Nachschlafen verbracht hatten, berichteten einige von einem Spontankonzert, bei dem alle auftraten, die in Berlin gerade greifbar waren. Joe Cocker, Crosby and Nash, Silly, Reinhard Mey, Pankow, usw. Darunter auch Pannach und Kunert und natürlich mit ihrem seherischen Song von vor Jahren: „The Day they took the wall away“.
Die schienen durch dieses Applauserlebnis nach längerer Zeit, und nach ersten Kontakten mit der alten Heimat Leipzig, wieder Lust zu Auftritten bekommen zu haben. Also ward der Plan einer Comeback-Tour erwogen.
Klaus trommelte seine 5e zusammen, weil er dasselbe vorhatte und wurde prompt an eine Stimmung vom Herbst’75 erinnert, die er in seinem Buch später sinngemäß so auf den Punkt bringt:
„Wenn die uns nicht verboten hätten, hätte ich den Laden 3 oder 4 Wochen später sowieso zugemacht. Ich hatte genug von den Vorladungen und von dem Knaatsch in der Band.“
Anfang 1990 nun fallen beim ersten Wiedersehen erstmal Pjotr und Monster über Cäsar und Jochen her, dass die die alten Songs bei Karussell gespielt haben! Unverschämtheit! Verrat! Rufschädigung!
Was völliger Quatsch ist. Ohne Karussellkonzerte, hätten Renft 1990 jeden im Publikum mit Handschlag begrüßen können! Die hätten sich bedanken sollen, statt „Wilde Sau“ zu spielen!
Es gab viel musikalisches Talent, aber eine ungute mentale Gemengelage in der Band, so oder so.
Als Kuno 1972 Micha Heubach an den Tasten beerbte, fragte der noch schüchterne unbekannte Kuno den Abschiednehmenden: „Warum gehen Sie denn von DIESER Band weg?“ „Musst mal mit denen proben!“ Maximalist Heubach, ausgestattet mit dem absoluten Gehör und damals in Sachen Alkohol noch gebremster Natur, fühlte sich unterfordert in der turbulenten Feten-Band, bei der die Proben zu Gelagen wurden. Da er Hans-Jürgen Beyer, den Sänger, mit zur Bürkholz-Formation nahm, brauchten Renft einen anderen. Sie entdeckten bei einem Jugendkonzert in der Pampa östlich von Leipzig, einen Typen, dessen Brüllorgan beeindruckte. Thomas Schoppe. The Monster was comin‘.
Kuno und „dieser Monster“ waren bereits in den 70ern auf zwei verschiedenen Ebenen unterwegs und fetzten sich heftig, da der eine „den Sozialismus verbessern“ wollte, und mit Pannach „einen auf Biermann machte“, während der andere gegenüber dem Ex-Thomaner mit Abitur glaubte den Proll raushängen zu müssen. Monster sah unverblümt das Heil im goldenen Westen, war mit 16 eh beim Fluchtversuch erwischt worden und deshalb gesanglich eher damit beschäftigt, sein Jugendwerkhof-Trauma zu verarbeiten und seinen DDR-Frust herauszuschreien:
„Sweet child in time! You never seen the light! Ahhh-ha-ha! Ahhh-ha-ha-ha!“
Die Deutsch-Singerei war ihm notwendiges Übel, um von Musik leben zu dürfen „in dor Zone“. Seinen Spitznamen hatte er von Steppenwolf!
Wenn Monster und Pjotr sich mit Pannach und Kunert in den Haaren lagen, dann waren Cäsar und Klaus die unpolitischen Harmonisierer: „Leute, denkt an die Band!“
Und Jochen schwieg.
Nichts destotrotz unterschrieb Monster dann Ende 1976 mit Pannach und Kunert die Biermannresolution. Alles was den Staat ärgert, war ihm recht. Der legte ihm dann die Ausreise nahe: Ziel erreicht! Er war ja kein Biermann-Spinner!
1990 mit Monster wieder in dieselbe Band zu müssen, war für Kuno also kein so attraktiver Gedanke, zumal DER nun der Sieger der Geschichte war.
So kam es, dass zeitgleich zu Renft’90 auch Pannach+ Kunert im Osten spielten. Ich fuhr auch da nicht hin; zum einen wegen der Autobahnsituation (siehe letzter Post) und zum andern wegen des Eindrucks jenes TV-Konzertes damals, wo sie dieses Anti-Cäsar-Liedchen schmetterten und sich easy, locker, versoffen, mit der Buddel auf der Bühne cool fanden; einen Haufen seltsames Zeug sangen und zwischendrin auch mal Klasse bewiesen: Zwischen Liebe und Zorn, Fluche Seele fluche – ergo: Unsicherheit blieb, ob das was is‘!
Aber dafür weit und gefährlich fahren und Eintritt bezahlen, wenn’se dann als typische Liedermacher vorwiegend Oden an ihre Teetassen schmettern oder über nicht gemachte Betten singen? Nö.
Aber Moritzbastei! Der kultigste Keller von Leipzig! Frenetischer Studentenjubel für „Sonne wie ein Clown“ live by Pannach and Kjoonärd! Wär’s das nicht doch wert?
1991 kam eine Live-LP auf den Markt. Die wollt‘ ich haben. Die „Renft live“ hatte ich ja grade. Am Arbeitsort hatte sich ein „freier Plattenladen“ gegründet. Deutschland war geeint. Die Gehälter noch im Keller. Aber die Nachholkäufe hatte ich schon gestartet und war somit dort gern gesehen. Ich war der, der immer so krudes Zeug bestellt: Interzone, Fehlfarben, Legendary Pink Dots. Hat alles geklappt. Frieder Butzmann hat sie nicht auftreiben können. Als ich „Pannach und Kunert“ sage, kommt die bisher nie gehörte Antwort: „Da müssen Se aber auch versprechen, dass Se die nehm. Die kauft mir hier sonst keener ab.“ Heu! Die Chefin kennt sich aus, dachte ich; und meine eigene Skepsis kam auch wieder hoch. Aber „Fluche Seele fluche“, „Sonne wie ein Clown“ „Wir sangen für Bahro in Bonn und Paris…“ – ach. Historisches Material! Muss sein! Neupreis 19.90 DM? Egal. Schlechter als „Renft live‘90“ wird’s schon nicht!
Oh, doch!
Eine Woche später. Ich betrete den Laden.
„Ihre Platte ist da.“ Und sie hält sie mir auch gleich unter die Nase. „Macht 19.90.“ Ich guck aufs Cover, dann auf sie und werde den Gesichtsausdruck nie vergessen. So was kriegen nur Frauen hin: Diese Mischung aus „Machen Se jetzt bloß keinen Ärger!“(Der bezahlt doch hoffentlich!) und schadenfrohe Belustigung im Mundwinkel aber bissl Mitleid im Blick, als ich wortlos das Portemonnaie zücke.
Ich hatte die Rückseite mit der Titelliste noch gar nicht gesehen. Aber ich wusste: REINGEFALLN!
Ich hab‘ erst zuhause, als die Platte dann das eine Mal lief, die Titel gelesen. Es fehlte alles, worauf es angekommen wär! Graupe an Graupe. Lauter Rotz!
Am einprägsamsten war noch:
„Mein großer Bruder is’n Tiefflieger … Intensivkrieger… und fliegt mit Überschall übern Hühnerstall.“
Der Rest hörte sich an, wie uninspirierter Stefan Krawczyk, gepaart mit Ulrich Roski in schlecht.
I want my money back!
Haben die das Konzert wirklich so gespielt? Oder die historischen Hymnen nur herausgeschnitten, aus welchen altlink-spleenigen Anti-Kommerz-Gründen auch immer? Rätsel über Rätsel. Jeder Elvis-Filmsoundtrack, der ja nur 25 Minuten miese Songs bietet, wäre besser gewesen! Den finalen Schlag versetzte mir das Kleingedruckte: Aufgezeichnet im Flöz Berlin. Das war Westpublikum!
Das war gar keine „Live in Leipzig“!
Die Platte stand noch volle 3 Jahre im Plattenregal. Ungespielt. Als Brandmal! Beim Umzug wanderte sie neben anderem verzichtbarem Kram in den Müll-Container.
Ein paar Jahre später erschien die Live-Kompilation „Gib mir’ne Handvoll Glück“, da lohnten sich so 4 oder 5 Stücke drauf von 25; eben jene ehemaligen Dissidentensongs. Die wanderten bei mir auf die Festplatte und die CD reichte ich weiter. Als ich sie eintütete, fielen mir Hermann Kants Worte wieder ein:
„Gerulf Pannach? Das ist doch dieser talentierte Texter mit dem verschnittenen Werk.“
Manchmal wohnt auch Aussagen von Vertretern einer untergegangenen Ordnung eine tiefe Wahrheit inne.
Ein Pannach-und-Kunert-Fan kann man irgendwie nicht werden.
©Bludgeon