Renft und ich (IV)
oder
But the Band plays the boogie and the beat goes on…
1990 war die Welt eh aus den Fugen. So entging mir zunächst, dass sich Renft wieder zusammengetan hatten. Auf die alte Art: Eigentlich zerstritten, aber den Kult im Blut, aus dem sie nun was machen wollten.
Als ich per Monster-Interview in der „Wochenpost“, die es damals noch gab, von der Wiederauferstehung erfuhr, glaubte ich, dass nun gloriose Zeiten anbrechen. Es würde nun das verhinderte 3. Album geben. Man würde den Pannach+Kunert Liederkanon durchforsten und ein 4.Album machen, man würde den Werdegang der Band verfilmen, man würde mehrbändige Memoiren schreiben und die Streitigkeiten um Zeilen, Strophen, Lieder der Nachwelt erhalten…
Ich armer Irrer. Meine kranke Phantasie! Renft waren nie ein rockender Philosophen-Club! Sie wurden es auch jetzt nicht. Nichts von alledem geschah. Nur 4 von 6 hatten sich zusammengerauft, Cäsar und Kuno fehlten. Lutz Heinrich und Robert Hoffmann ersetzten sie. Wer immer die waren. Ein halbes Ding also. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Der Reiz von Renft war unter anderem die Vielfalt der Singstimmen, die Aufteilung der Songs auf 3 sehr unterschiedliche Stimmlagen, die sich perfekt ergänzten – und nun fehlten davon gleich zwei!
Ich riss mich also nicht um eine Karte. Außerdem spielten die nicht hierherum und es war die Zeit des Massensterbens auf der Autobahn. Angst! Ich fuhr noch Trabbi – praktisch eine Brandkugel ohne Knautschzone. Ein Kultmobil wird der für mich nie! Nina Hagen hielt die Situation von damals in „Zwischen Erfurt und Gera“ genial auf thüringisch fest.
„Off de Bremse trädn, hier wörd nich gepennt! De Dotenhämdn-Industrie liechd voll im Drend!“
Lauter irre Ossis, mit und ohne Fahrpraxis, rasten mit ihren „Schnäppschen-Fohrzeusch’n für siehmhunnert West“ mit 100 PS in den Tod und rissen letzte Trabbifahrer, die zufällig in der Nähe fuhren, mit. Einmal hatten auch wir knapp Glück. Wo war eigentlich der TÜV damals? Was da für Ruinen unterwegs waren!
Ich fuhr mit meiner damals ja noch jungen Familie wie immer in Richtung Saaletal. Wars Ostern, wars der Sommer? Zu dritt im Trabbi. Auf dem immer noch leitplankenlosen, nicht mehr ganz so leeren Westring von Berlin. Plötzlich langsamer werdender Verkehr; dann Scherben und Trümmer; Schrittgeschwindigkeit; schließlich ein zerrissener blauer Kadett, der eckigen früh80er Bauart, das Heck mit Hinterachse auf dem Mittelstreifen, die Rückbank auf der linken Fahrbahn, die Schnauze rechts im Graben; auf den Vordersitzen saßen noch welche – reglos. Zwei oder drei Autos standen dahinter auf dem Standstreifen und Helfer winkten uns durch die Kleinteile auf der rechten Fahrbahn durch. Meine Frau auf der Rückbank will unserm 3jährigen eben die Augen zuhalten, als der schon die altersgemäße Frage-Lawine startet:
„Ohrrr is das Kaputt! Warum isn das kaputt?“
„Zu schnell gefahrn.“
„Und warum?“ usw. Sie hatte jetzt bis Niemegk gut zu tun.
Ich musste blitzentscheiden, ob ich um die Scherben kurve oder quer durchknirschle, platte Reifen riskiere, da wurde ich auch schon rasant überholt. In der Unfallstelle! Von einem grünen Daimler. Darinnen ein wackelnder, scheinbar zum Sound mitsingender Fahrer allein. Der musste dieser Rückbank ausweichen und schnippt vor mir auf die rechte Spur. Schrecksekunde!
„Arschloch!!“, brüll ich die Windschutzscheibe an. Er rast davon.
„Was hattn der gemacht?“ kams prompt von hinten.
„Der konnte och nich‘ richtich fahrn! Vielleicht sehn wir den nachher och noch im Gra’m.“
„Au ja! Noch’n kaputtes Auto!“ jubelts hinter mir voller Vorfreude. Ganz der Papa!
Aber mir war nach der Tour endgültig klar: Nie wieder Autobahn im Trabbi!
Deshalb: Diese „halben Renft“ spielten in Leipzig. Bischofswerda. Berlin. Auf Rügen. No way. Ohne mich! Für die Restetruppe riskier‘ ich nich’s Leben. Wird ja wohl ne Live-Platte geben?
1991 schrie dann dieses gelbe Cover mit der Karikatur: Kauf mich!
Fluxus Records Berlin. Klar. Bischofswerda 10. Mai ’90; Eintritt noch für Ostgeld… Das Hörerlebnis? Durchwachsen. Eben nur Monster am Mikro. Der Sound ganz okay, aber die Stücke recht rumplig gespielt. Anfang und Ende der Platte aber sind historisch wertvoll.
Du legst sie auf und hörst das Publikum. Dann wird die Verlesung des Verbots von 1975 eingespielt. Klaus hatte das seinerzeit mitgeschnitten. Auf welche Weise das gelang, das wird alle paar Jahre und in jedem Buch anders erzählt. Sehr gut remasterte Qualität übrigens. Die Masse hört das Bonzensprech und fängt an zu toben:
„Aus! Aus! Mach die Scheiße aus! Kommunistenschweine!“
Mitten hinein ein Klampfakkord und Monsters kräftiger Gesang startet:
Geil! Es konnte nicht besser passen! Gänsehaut. Jubel auf der Rille. Ein Freudentränchen auch bei mir, nun ein Jahr später vor dem Plattenteller. Aber schmunzeln muss ich schon: Erstmals wieder live und schon wieder missverstanden! Eigentlich wollten ja zumindest Pannach und Kunert, die die maßgeblichen Stücke schrieben, Superkommunisten sein. Monster eher nicht. Und nun feiert hier ein Publikum den Untergang des „Gumunismus“ mit Klängen, die ihn eigentlich weiterbringen wollten. Tja. So isse halt, die ehemals herrschende Klasse. „…und der Kopf hat immer frei dabei…“ Grins.
Am Ende der B-Seite in den Abschlussapplaus hinein ruft Monster:
„Wir sind wieder da. Nach 15 Jahr’n! Wir sind wieder da!“
Die Freude ist ihm anzuhör’n. Sieger der Geschichte, der er ist.
Nach der Tour war erstmal gleich wieder Schluss. Die beiden No Names und Jochen verschwanden von der Bildfläche. Und so sollte es dann 30 Jahre weitergehen: Alle paar Jahre ein neuer Anlauf, die klassischen 6 nie auf einer Bühne! Man feierte seltsame Jubiläen: „40 Jahre Renft“ – ? – Das klappt nur, wenn du Klaus’ns Musikerkarriere mit 4 Bands zusammenrechnest. Die Legendenformation existierte keine 4 Jahre! Ausstiege, Wiedereinstiege, Krebstribute, Bandspaltung (besonders abstrus; aber das passiert auch anderen, siehe Yes, Wishbone Ash und Barclay James Harvest) Autounfalltod, Neubesetzung … und zwischen drin dann 1999 endlich mal eine Platte mit neuem Material. Leidlich gut sogar. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel.
©Bludgeon
Suuupertext und „Manchmal fällt auf uns ein Frost…“ Wahnsinnslied!
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„Als ob nichts gewesen wär…“ – auf die Gedanken, die Du Deinem Friseur nicht erzählen wirst, bin ich gespannt!
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Prima! Aber Geduld. Vorher kommt noch was anderes.
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