Fehler im System XV

RENFT ’74

1974 erschien „Renft“, das 2. Album. Eine Sphinx. Es spricht zu dir und es wirft Fragen auf, die bisher nirgendwo beantwortet wurden.

Die Quellenlage zum Thema Renft ist eine unglücklich unvollständige. Jeder der 7 Samurai hat in den 90ern noch gelebt und Interviews gegeben: Oral-History; jeder hatte seine Wahrheit und mancher nach Tagesform über die Jahre sogar mehrere.

Die Titelreihenfolge der Amiga-Pressung ist folgende:

Ich bau euch ein Lied (I)                                            Weggefährten

Nach der Schlacht                                                       Ermutigung

Wiegenlied für Susann‘                                              Ich und der Rock

Mama                                                                            Irgendwann wird‘ ich mal

Als ich wie ein Vogel war                                           Ich bau euch ein Lied (II)

Gelbe Straßenbahnballade                                        Was noch zu sagen wär

 

Renft 74Es ist eine für damalige Verhältnisse und Hörgewohnheiten sehr gute LP. Stereo-Effekte und Hall sind eine Wucht für Amiga zu der Zeit! Aber da ist eben auch eine seltsame Zerrissenheit nicht zu überhören, was die Reihenfolge der Botschaften betrifft.

Thomas „Monster“ Schoppe legte mal im Interview die Spur: „… damals als die uns unser Konzeptalbum zerschossen haben“ wäre der Knaatsch mit den Behörden schon am Laufen gewesen. Nicht erst, als die „Otto-Ballade“ entstand.

Eigentümlich ist, dass sich in den sonstigen Memoiren von Bandmitgliedern dazu nichts findet, dass aber die Nach-Wende-Veröffentlichungen von Archivmaterial „Unbequem wollen wir sein“ bzw. „40 Jahre Renft“ Probenraumfassungen von Songs des 2. Albums enthalten, die diesem Konzeptausspruch entsprechen.

Die Frage, „Was wäre wenn …?“, ist in diesem Fall eine historisch interessante. Geht man ihr nach, stößt man auf das Dilemma der Ost-68er, die ja nicht die Probleme ihrer Westkollegen hatten, wohl aber auch eine immense Sehnsucht nach Erneuerung/Reform/Wiederbelebung scheintoter Zustände. Sie glaubten teilweise, dass nun, nach Ulbrichts Ende, die Zeit reif sei, ein paar nicht gemachte Hausaufgaben der Macht ansprechen zu können, und erlitten eine Bruchlandung.

Ein bisher nicht untersuchtes Phänomen ist es, wie der DDR-Führung gelang, sich ihrer Jugend so dauerhaft zu entfremden. Da war durchaus Schwung in den ersten Jahren nach 1949 vorhanden…Woher kam diese dauerhafte Angst davor, ein kleinwenig mehr Leine zu lassen, mit kleinlichen Gängelungen kontinuierlich aufbauwillige Geister zu verprellen; sehr oft genau die Falschen zu bestrafen und ebenso die Falschen mit Karrieren zu belohnen. Ein nicht enden wollendes Trauerspiel.

Biermann schrieb seinen Underground-Hit „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“ und Pannach war Fan geworden.  Die ganze zweite LP scheint sich an Biermanns provokantem Fragenkatalog zu orientieren:

Wann dürfen wir mal was? Wann kommt der neue Mensch zustande, den uns die Pioniernachmittage und FDJ-Studienjahre seit 24 Jahren auf jedes Butterbrot schmieren wollen? Was wäre dazu nötig, dass das möglich wird?

Die Platte klingt wie ein Songschreiber-Duell zwischen Pannach und Demmler, denn beide sorgen hier für Highlights.

Man legt sie auf und Kunos hohe Stimme bringt dir den ersten, metaphorisch meisterhaft verbrämten Denkanstoß:

Leute! Ich hau euch hier ein paar dicke Brocken hin, da sind Dinge nicht mehr totschweigbar, wenn wir endlich drüber reden(dürften), kommen die erstarrten Verhältnisse wieder in Bewegung „werden Wellen draus“ – – – !!! —

Rumms! Rollt dich die deep purplige Orgel von „Nach der Schlacht“ über den Haufen und Monsters Geröhre stellt den bestmöglichen Kontrast zu Kunos Counter-Tenor von gerade eben dar. Und dann packt dich die Frechheit der Botschaft:

Die alten Genossen feiern den Sieg „auf der Station“, sind so gut wie hinüber, faseln vom neuen Menschen, aber draußen rennen nur Leute rum, die so aussehen und sich so geben wie immer, also müsste die „Schlacht nicht viel viel länger sein“ um wirklich neue Verhältnisse zu schaffen?  Feiern die Alten da nicht selbstgefällig viel zu früh?

Dann der Bruch: „Wiegenlied für Susann“. Cäsars Bariton. Drei gute Sänger sorgen halt für angenehm dosierte Abwechslung. Aber ein Gute-Nacht-Lied nach DIESEM Aufschrei zuvor? „So, mein Kind, jetzt hast du genug Deep Purple gehört, jetzt wird es Zeit für das Sandmännchen?“ Hier rumpelt es gehörig im Ablauf. Da merkt auch der allerletzte Depp beim ersten Hör, dass da was faul ist! Ist da etwa was wegzensiert worden? Richtig! Auf der „40 Jahre Renft“ befindet sich die Urfassung dieser Komposition mit einem völlig anderen Text, in dem es um die Frage des Eingesperrt-Seins geht im halben Land und wie man dies erträgt. Pannach. Logisch. Demmler hat dann die „Susann“ erfunden. Die Halb-Land-Frage in einem anderen Text trauen sich erst City wieder auf ihrer „Casablanca“ LP von 1987 zu Gorby-Zeiten!

Hätten die „Großen Kontrolleure“ die „Susann“ hinter die „Mama“ gepackt, wäre es im Konzept weniger aufgefallen, so bleibt die Ablaufwunde deutlich hörbar.

Mit„Mama, du meine Mama“ folgt nämlich Cäsars Funk-Versuch, in den sich dann Kuno hineinmischt, so dass ein bisschen Crosby, Stills … Feeling aufkommt: Verbeugung vor den Müttern, die nach dem Krieg ihre Kinder allein großgezogen haben – „und Vater kommt nie wieder, nie wieder, nie wieder!“ – weil er gefallen ist, in den Westen abgehauen oder „nur“ weggeschieden bei einer andern wohnt. Sozialistische Familie – wie stark bist du in Zukunft?

Danach hätte „die Susann“ (neudeutsch) Sinn gemacht.

Es folgt„Als ich wie ein Vogel war“, meint „Als ich der Prophet im eigenen Land war, auf den keiner hören wollte“, dessen Botschaft sich aber doch in den Köpfen einnistet. Meisterhaft von Pannach in bester Blumenkindmetaphorik deutscher Zunge versteckt, weshalb die „Großen Kontrolleure“ wohl gar nicht verstanden, was gemeint sein könnte. (Denk an „Have you ever seen the rain/Who’ll stop the rain“, wenn du’s hörst.)

Und dann wird’s McCartneymäßig jahrmarktern: Leierkasten-Intro, Tin-Pan-Alley lässt grüßen, Steigerung, melancholische Katharsis am Ende und aus: Ein Pärchen knutscht zu mitternächtlicher Stunde in der Straßenbahn, „der Fahrer sieht zu in seinem Spiegel und hält’n paar Haltestellen lang nicht an“; passt auf Leipzig, denn die Fahrer wussten, wo die Wohnheime stehen. Als sie aussteigen, ist der Fahrer „traurig gelb wie seine Straßenbahn“. Eine herrliche Situationsbeschreibung – wenn man’s erlebt hat!

Auch dieser Song hätte eigentlich eine ganz andere Botschaft transportieren- und „Anfang aller Angst“ heißen sollen. Und in diesem Fall bin ich heilfroh, dass mir die Zensur den Demmler-Text von der Straßenbahn beschert hat. Denn im Pannach’schen Urtext hätte die Band ein Lieblingsthema der West-68er aufgreifen wollen: Weg mit all den Hausmärchen und ihren Schreckgespenstern von Hexen und Wölfen! Mit denen erzieht man „nur“ Untertanen, die sich dann ein Leben lang nichts mehr trauen! Diese Sorte Bilderstürmerei und Traditionsvernichtung stank mir schon immer. Ich möchte meine Märchen-Platten-Kindheit nicht missen!

Die Nachtfahrt in der Straßenbahn dagegen hab ich fast 1:1 so erlebt, damals ‘83 mit meiner Zukünftigen auf dem Schoß! (Nur bis ins Depot mussten wir nicht mitfahren. Er ließ wirklich einige Stationen aus, aber hielt zwei Stationen vor dem Depot, da, wo die Wohnheime standen, doch noch an.) Und weil auch wir alleine in der Bahn waren, musste ich kurioserweise die ganze Fahrt an diesen Song denken. Fährt der nu wirklich bis ins Depot durch? Dann hamm’wer noch’n kuschligen Nachtspaziergang.

Ich denke mal, dass ich dieses Erlebnis mit ein paar hundert anderen Pärchen teile, denn Nacht für Nacht wiederholte sich das mit anderen studentischen Fahrgästen.

Zwischenfazit: Sehr gute A-Seite, die „Susann“ als Stilbruch lässt sich einigermaßen verschmerzen.

Deutlich holpriger gerät die B-Seite. Auch deutlich schwächer, was die Botschaften betrifft. Warum? Weil hier Songs kurzfristig ganz herausfielen? An welche Stelle hätte hier „Sonne wie ein Clown“ gehört? Hätte Renfts Coverversion von Neil Youngs „Helpless“ hier eventuell der geplante Abschluss sein sollen? Stell dir mal vor, die Platte wäre so erschienen! 1974, als die „Deja vue“ von CSN&Y gerade en vogue war, singt Kuno diese herrliche „Hilflos“-Version! Da wär‘ der Kampf mit den Puhdys aber entschieden gewesen! Für alle Zeiten!

Der Reihe nach:

„Weggefährten“ – ach! Der mieseste Renft-Track aller Zeiten. Bis heute gelang es mir nicht, diesem Stück irgendwas abzugewinnen. Humpelrhythmus, Satzgesang, die Komposition will irgendwie gar keine sein und der Text verstolbert sich im Notendschungel: Wortscrabbel auf Yes-Imitat-Versuch? Die haben auch diese unmelodischen Bestandteile! Aber gebadet in Bombast! Und aufgefangen in Wohlklang-Sequenzen. Hier? Einmal mehr kommt mir so ein CSN&Y-Verdacht: Bei denen gibt’s ja auch „Deja vue“ , dieses möchtegern-Jazz-Stückchen als Opener der B-Seite.

Schwamm drüber, es folgt der beste Renft-Song: „Ermutigung“– nicht der Biermanntext, sondern kräftiger in Ton und Bildern: „Manchmal fällt auf uns ein Frost und macht uns haaaaaaart!“

Wann immer du down bist – gib dir Sillys „Großen Träumer“ und danach Renftns „Ermutigung“ – und es wird wieder gehen. Wenigstens ein Weilchen! „Stoß auf die Tür aus Stahl! Die Tür die in den Frühling führt!“ Yeahr!

Es folgt „Ich und der Rock“; eigentlich eine hübsche Text-Idee vom Pannach:

„Schon mein Vater trat auf den Fuss“ als Blues-Fan und der Sohn kann antworten:
„Wenn ich heute vor dem Radio hock! Sind wir Brüder: Ich und der Rock!“

Hm. Aber irgendwas hat mich an der Nummer immer gestört. MEIN Vater war KEIN Blues-Fan. Und schließlich kam ich drauf: Wären wir Amis, hätte die Botschaft ihre vorstellbare Richtigkeit. Aber Musiker, die älter sind als ich, müssen Väter gehabt haben, die älter sind, als meiner – und die waren nicht HJ, sondern Wehrmacht. Väterliche Bluesfans? In Deutschland? Das geht nicht auf.

Was dann kommt, ist ein gerade noch akzeptabler Stilbruch, denn der Rest der B-Seite kommt sehr Liedermachern daher: Wanderklampf und Kunos Tirilieren. Gut – wenn man nochmals die „Deja vue“ von Crosby & Co bemüht, dann kommen jetzt Renftns „our house“ und „teach your children“ verbunden mit einer Reprise von „Ich bau euch ein Lied“. 1974 war den wenigsten Kunden bekannt, dass Renft Knaatsch mit „der Macht“ hatten. Hörst du dann diese Schluss-Songs, hören sie sich an, wie gesungenes Stabü-Lehrbuch: Meine Hand für mein Produkt! Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben! Da wird der Maulheld gegeißelt, der nur redet, alles besser weiß, aber seine Heldentaten, seine Subbotnik-Einsätze auf morgen verschiebt. Welcher 16-17jährige fühlt sich da nicht „unangenehm ertappt“? Hört er sich dann freiwillig diese Belehrung an, oder nimmt er nach „Ich und der Rock“ den Tonarm aus der Rille?

Nach dem Verbotseklat ‘75 entwickelt sich bei „Irgendwann werd ich mal“ und „Was noch zu sagen wär“ ein viel dissidentischerer Subtext:

„Worte, denen die Tat fehlt, sind Brücken ohne Kontakt zum Ufer und führen nirgendwo hin“. (Renft’74)

alias

„Du sagst: Ich will heute lebm und nich‘ in tausnd Jahrn!“ (Pankow; späte 80er)

Klaus und seine Leute ham’s eher gewusst!

©Bludgeon

13 Gedanken zu “Fehler im System XV

  1. „Aber Musiker, die älter sind als ich, müssen Väter gehabt haben, die älter sind, als meiner – und die waren nicht HJ, sondern Wehrmacht. Väterliche Bluesfans? In Deutschland? Das geht nicht auf.“
    Vielleicht keine Bluesfans, aber Freunde guter und bei den Nazis geächteter Musik. Die Tanzmusik im Dritten Reich wäre so, wie sie war, ohne Jazz nicht denkbar gewesen. Als ich früher bei meiner Oma den „Blauen Bock“ mitgucken musste, habe ich über Helmut Zacharias gelächelt. Wenn ich jetzt Aufnahmen von ihm aus der Nazizeit höre, dann höre ich jemanden, der sich an Stéphane Grapelli orientiert hat und von einer leicht djangoreinhardtesken Gitarre begleitet wurde.
    Warum gab es bei den Nazis solche Musik? Aus dem gleichen Grund, warum es in der DDR Rockmusik gab. Die Jugend hörte die Originale und musste dort abgeholt werden, wo sie nunmal war. Die Väter fanden die Originale im Radio und in Plattenbeständen aus der „Systemzeit“. Im Krieg – Radio war nun eingeschränkt, aber wenn’s keiner gehört hätte, hätte man es nicht verboten – gab es vielleicht auch Mitbringsel von der Front.
    Einige der härtesten Fans gehörten zur sogenannten Swing-Jugend.
    Vielleicht waren sie indirekt doch Bluesfans, denn „The blues are the roots; everything else is the fruits“ (Willie Dixon)

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    • Schön geschrieben. Eine Hand voll junger Frontrückkehrer freut sich über Jazz und Schlager, wegen „nie wieder Marschmusik“ usw. Das ist mir auch klar: „Alles andre als ein Held“ von Lorentzen als Lebensroman eines Swing-Boys aus Bremen empfehlenswert; aber ist das massenkompatibel? „Hottentottenmusike“ war die Vokabel der Zeit im Munde der älteren Jahrgänge.

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  2. Zu Renft, aber da wiederhole ich mich, kann ich wenig sagen. eine Bekanntschaft mit der Musik vermittelten Kollgen aus Dresden so um 2003.

    Aber zu zwei Aspekten in deinem gut lesbaren Beitrag kann ich was beitragen.
    Die Jugend der DDR ist historisch ziemlich gut erforscht.
    Was den Aufbauwillen der Jugend um 1950 betrifft, so war der stark motiviert, das „bessere Deutschland“ aufzubauen. Ganz anders die Jugendlichen der 1970er Jahre. Da war im Vergleich die Luft weitgehend raus, siehe weiter unten.

    Und die Frage der kleinlichen Angst der Eliten bezüglich von Freiheiten ist unter Historikern, gleich ob ost- oder westdeutscher Sozialisation, ziemlich einhellig.
    Es war der Schock vom Juni 1953. Man stelle sich den enormen Aufbauwillen vor. Die Solidarität, Die Aktivitäten der Betriebskampfgruppen. Und dann kommt die Normenerhöhungen ohne jeden lohnenden Ausgleich. Da ging sehr vielen Menschen der Hut hoch. Der Rest ist bekannt. Zaisser als Chef des MfS wurde entfernt, Wollweber wurde Nachfolger und Mielke scharrte als sein Stellvertreter mit den Hufen. 1957 wars dann soweit, dass Mielke Chef wurde. Seine Leute unterwanderten die ganze Gesellschaft bis hin in die Schulen (J. Mothes et al.: Beschädigte Seelen. DDR Jugend und Staatssicherheit / 1996. Oder auch K. Behnke, J. Wolf: Stasi auf dem Schulhof. Der Missbrauch von Kindern / 1998).

    Schönen Dank für die Erläuterungen zu Renft…
    .

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    • So weit, so bekannt. Was ich meinte, ist die fehlende Auflistung der Gründe, weshalb die Luft in den – SPÄTEN! – 70ern raus war. Also abgesehen von den üblichen Stasi-Erzählungen, denn die schockten uns eher wenig, weil wir sie gar nicht mitbekamen. Was völlig untergeht, ist die „alltägliche Diktatur“ mit ihren Gängelungen durch Lehrer im Laufe der Zeiten und im Unterschied der Regionen, denn es war NIE überall gleich schlimm. Die Erziehungseffekte solcher Sätze wie „Das erzählste aber nich‘ in der Schule.“ , die Ungleichausstattung der Läden mit Bückeware: Wo mehr war, wurde weniger geschimpft … kurz die Darstellung des normalen Lebens abseits der Bürgerrechtler/Pastorenhinterzimmer und der Normannenstraße. …usw.

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      • Ich habe als Westdeutscher „natürlich“ über die Verbindung Stasi und Jugend geschrieben. Vorurteile soll man nicht aufweichen, sonst könn(t)en sich die Verhältnisse ungeahnt verändern.

        Und dass die Verhältnisse überall anders sind, will heissen unterschiedlich, versteht sich. Und nicht bloss in der DDR.
        In ruralen Räumen ticken die Uhren anders als in urbanen Räumen.

        Auf dem Land gabs viele Dinge des alltäglichen Lebens zu knapp, in den Städten waren Dinge erhältlich, die ländliche Bewohner zu „Pilgerreisen“ veranlasst haben.
        Dennoch weiss ich persönlich von Bewohnern ländlicher Gegenden, dass sie kaum zu klagen hatten. Wer ein Schwein schlachten konnte, der hatte etwas, das es in der Metzgerei der nächsten Stadt nicht gab. Und das kriegte man nur schwer. Egal ob Handwerker oder Schullehrer. Im Prinzip alle guten landwirtschaftlichen Erzeugnisse.
        In der Stadt musste man froh sein über einen Schrebergarten für die eigene Versorgung.

        Auf dem Land wussten die Jugendlichen, wenn der oder die den Klassenraum betrat, dann wechselte man besser Thema. (In deiner Klasse – städtisch? – hat man da wohl weniger mitgekriegt).
        Auf dem Land war viel weniger Anonymität als in den Städten mit häufiger wechselnden Nachbarn.

        Um Missverständnisse zu vermeiden: wer sollte die Gründe auflisten, warum die Luft draussen gewesen sein soll?
        Wo oder bei wem geht die Darstellung des „normaen Lebens“ völlig unter?

        Wenn ich dich nicht völlig falsch verstehe, dann findest du genau diese Fragen bearbeitet in dem Band von Mary Fulbrook „Ein ganz normales Leben“

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      • Ich weiß nicht, ob irgendwo in Institut x oder y soziologische Erhebungen schlummern, die nie populär wurden. Sicher scheint mir, dass in Medien allgemein nur Zeug veröffentlicht wurde, das mit meinem Vorwendeleben wenig oder nichts zu tun hatte. Ich meine auch nicht nur Unterschiede zwischen Stadt und Land, sondern z. B. den zwischen West- und Ostelbien. Zwischen Versorgungsseltsamkeiten zwischen Nord und Südbezirken. Mir wiederfuhren da so einige Wahrnehmungen, die bisher unerzählt blieben oder wenn doch, verärgern, weil sie sich dann lesen, wie Erzählungen vom Zoo-Besuch.

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      • Die DDR gilt historisch als eines der best erforschten Länder überhaupt. Kein Wunder. Kurze Geschichte und am Ende direkter Zugriff auf sehr viele Quellen. Und zahllose junge Historiker aus Ost und West, die nach „wissenschaftlichen Marktlücken“ suchten um sich zu profilieren.

        Die Literatur dazu ist inzwischen fast unübersichtlich. Und ich bin längst nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Letzthin hörte ich von Forschungen die Kreisebenen betreffend. Insofern müsstest du finden können, was deine Fragen beantwortet..
        Insofern kann ich keine wasserdichten Aussagen zu bezirksspezifischen Unterschieden machen.

        Literatur zur Alltagsgeschichte der DDR „abseits der Bürgerrechtler/Pastorenhinterzimmer und der Normannenstraße. …usw.“ findet man jedenfalls in Menge. Das hat mich bei einigen Arbeiten vor Jahren schon in Erstaunen versetzt.

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      • Hast recht. Hab nachgegoogelt. Gibt einen Haufen an so Broschürchen. Muss ich irgendwann mal durchforsten, was da in die Nähe meiner Erlebnisse kommt. Alles unter „special interest“ sozusagen; nix davon schaffte es in die maßgeblichen Online-Portale größerer Blätter oder ins Fernsehen. Ausnahme neuerer Zeit: Die Treuhand-Doku und die Reihe „Wer braucht den Osten“, die waren überraschend gut, weil anders als die bisherigen Simplifikationen.

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      • Kuck mal was der Stefan Wolle so alles geschrieben bzw. herausgegeben hat. Ostsozialisiert und von Schäuble schon mal aus dem Amt entfernt worden – das spricht für ihn. Mir gefällt seine trockene und sachliche Herangehensweise.
        Ausserdem empfehle ich (vorzugsweise Westlern) gerne „Die DDR war anders“ und vor allem den mittlerweile selten gebraucht zu findenden Ergänzungsband dazu. Meiner kenntnis nach eines der wenigen Werke, in denen es um die „kritische Würdigung“ der sozio-kulturellen Einrichtungen geht. Schule, Universität, Pädagogik, Frauenarbeit, Gegenkultur von unten etc. Ein Kapitel beschäftigt sich auch mit der Rockmusik… Aus diesen beiden Bänden habe ich Gewinn gezogen.

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      • Danke. Auch von mir ein Tipp: Roland Galenza „Wir woll’n immer artig sein“ – die Szene des Ostdeutschen Undergrounds in den 80ern und im Wendewirrwarr. Das war auch’n Knüller!

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      • Nö. Ein Extra Werk über die? Die kommen ausführlich bei Galenza vor. daher ja auch der Titel. Andererseits waren die für mich auch nicht die große Nummer. Sandow waren bedeutend geistreicher.
        Flake Keyboarder von Feeling B/Rammstein hat „Tastenficker“ geschrieben. Eine Art Autobiografie. Von den Details her aber eher enttäuschend.

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      • FeelingB war/ist auch nicht meins. Musik gibts hier wohl noch.
        Das Buch fand ich langweilig und habs entsprechend zur Seite gelegt.
        Flake steht hier. Und auch von Lindemann Texte…

        Sandow kenne ich nicht. Insofern danke für die Erwähnung. Irgendwas findet sich ja immer 😉

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