Renft und ich (III)
oder
Das Lied der Lieder
Während meiner Armeezeit (79/81) war die zweite Karussell-LP erschienen und „Wer die Rose ehrt“, der erste Renft-Hit von 1971, war da drauf. Arrangement und Singstimme von Cäsar – alles wie damals – zum Verwechseln ähnlich. Ein Schelm, wer glaubt, dass das die gleiche Version unter anderem Bandnamen ist. Diese Legende kam auch sofort auf. Groß war die Sehnsucht nach Helden, da fantasierte man sich eben dieses Schelmenstück zurecht.
Mit EK-Ohren* in der Kaserne gehört, entfaltete jedoch vor allem „Halte durch“ gute Stimmung: Das Ende vor Augen, den kurzen Bandmaß-Rosenkranz in der Hand, singst du zum Klappern deiner Stiefeleisen:
„Halte durch, dass dir kein, dass dir kein – Zustand zerstört das menschlich sein!“
Nach dem langen Sommer’81, dem Sommer der Rehumanisierung via NDW, begann das Studium: In der Renft-Stadt Leipzig. Und ich wurde Teil einer Studentengemeinschaft, die unorganisiert und unabgesprochen diesen Kult genoss, der einfach so da-war. Ein Kult ist ein Kult, weil er keine Werbung braucht.
Intuitiv, wie ein Hund vom andern lernt, übernimmst du automatisch all die Zitate, Legendenerzählungen, dir bisher entgangene Messages der Songs, schnüffelst selber nach den vergrabenen Knochen/Schätzen/Platten/Aufnahmen von Renft, Pannach+Kunert/ unveröffentlichten Karussell-Texten … und horchst auf, sobald so Signalworte in deiner Umgebung fallen. Es war wie eine Erkennungs-Chiffre: Wer DAS zitiert, der denkt wie du!
Herbst 1981: FDJ-Studienjahrveranstaltung, Pflicht an allen Fakultäten akademischer Ausbildung, Illusionsverbreitungsversuche vom Sieg des Sozialismus. Im Halbschlaf erträgt man den Referenten; und plötzlich stöhnts flüsternd neben dir:
„Ach könnt man dem ‘ne Sonne baun…auf dass ihm ein Licht aufgehe.“
„Sonne baun“ war ein Zitat:
„Sonne wie ein Clown“ war DER Renft-Hit schlechthin.
Viele Renft-Verse waren Sprichwörter geworden. Aber „Sonne wie ein Clown“ war das Lied der Lieder; mit dem größten Mysterium. Der Song war für das 74er Album vorgesehen, und durfte dort nicht erscheinen. Er erlebte also nur die kurze Live-Karriere, im letzten Jahr der Band im Konzert. Und er war einer von 3 verbotenen Liedern im „Kennzeichen D“ Special gewesen. Der mit dem eigentlich harmlosesten Inhalt:
Ein Hippie kommt zu spät zur Arbeit, erträgt den Anschiss des Meisters und lädt die „schönste von den Küchenfrau‘n“ zum Rendezvous, blitzt aber bei ihr ab. Soweit nicht weiter schlimm. Aber er will eben im Refrain aller Welt eine Gute-Laune-Sonne bauen, „wie die Stimme von Bob Dylan etwas rau“. Und genau das war der Punkt des Anstoßes:
„Bob Dylan lebt noch. Wenn der sich als eigensinniger Ami mal negativ über die DDR äußert, müssten wir die Platte wieder einstampfen. Das wäre ja Ressourcenverschwendung! Könnt’er nicht irgendeinen toten Star nehm‘? Louis Armstrong oder so?“
Die Band lehnte ab. Der Song blieb unveröffentlicht. Der Text aber machte die Runde. Ein Volkslied ward geboren! Pannach und Kunert machten ihn 1979 zum Opener ihrer ersten LP im Westen, aber das wussten wir nicht, weil keiner die Platte hatte oder kannte.
So hockst du dann z.B. im Studenten-Club und lauschst einem, der ne Klampfe hat (und sie auch spielen kann) und der auch singt. Zu fortgeschrittner Stunde, nach eins-zwei-drei-vielen Bieren und weltverändernden Diskussionen Sartre-Bulgakow-Style singt der doch tatsächlich: „Arbeitszeit schreit die Sirene….“ – Sonne wie ein Clown.
Weil es unter Studierenden nun mal viele Freizeitklampfer und Teilzeit-Kunden gab, wiederholte sich das an den unterschiedlichsten Örtlichkeiten.
Eines Tages entdeckst du in der Leipzig-Information, da wo heute dieses Gemäldegalerie-Monstrum dem Sachsenplatz das Licht nimmt, ein unspektakuläres Plakat:
„Regenwiese – Rockkabarett – Karten hier.“ Mehr PR muss nicht sein. „Wie ein Krokodil auf der Regenwiese…“ so beginnt Cäsars Blues. Wenn eine Band sich so nennt, dann hin da!
Meine beiden Raumteiler und ich sitzen mit hundert anderen erwartungsvoll vor der Bühne des großen Saales über der Leipzig-Information: Die Band tritt auf, will den Alltag eines Spießers zu Gehör bringen, sagt sie, und dudelt erstmal instrumental los. Dann kam irgendein Liedchen, dass seine Wirkung verfehlt. Es ging irgendwie um den Morgen-Kater beim Aufstehen, ähnlich dem zu jener Zeit berühmten „Ich komm nicht hoch“ und in mir entsteht prompt der Verdacht, ob hier ‘ne unbekannte Truppe nicht „Paule Panke“ in schlecht kopieren will, weil Pankow aktuell gerade in aller Munde sind.
Es erklingt noch ein unerheblicher Frühstückssong, der die Vorfreude auf den Feierabend zum Thema hat und meine Zweifel verstärkt. Dann erfolgt das Unvorhersehbare:
„Arbeitszeit schreit die Sirene…“ Um uns rum ein freudiges Erkennen: „Hohoho, hörste?!“ Die Zweifel an der Band waren mit eins verschwunden und es kam nun Song für Song immer frecher. Salz in der Suppe waren dann noch gesprochene Aphorismen zwischen den Tracks, wie der hier:
„Eingeholt vom Gleichschritt meiner Tage, starre ich in leere Zeitungen und lasse mir meine Macht verkünden.
Ich habe ja nicht einmal die Macht, zu tun, was alle von mir verlangen!“
Langsam begannen wir uns umzusehen. Kommen „die“ bald, um die Veranstaltung aufzulösen? Irgendein Zinker ist doch immer dabei! Würden wir an der Hochschule Theater kriegen, weil wir „bei sowas“ dabei waren? Wird hier gefilmt, wer applaudiert? Aber es war uns auch scheißegal, wir hatten die Fahne hinter uns, der Staat hatte also in Sachen „Freiheitsberaubung“ auch noch was gutzumachen! Sex, no drugs, but Rock&Roll! Wir waren Studenten „und wollten endlich mal! Egal! Egal!“ wie in dem Pankow-Song! Von Einschüchterung keine Spur. Der frenetische Applaus, die Begeisterungspfiffe und „Zugabe“-Rufe bewiesen es.
Regenwiese haben viel riskiert. Ein zweites Programm, ein Jahr später war noch härter. Nichts davon kam je auf Platte oder ins Radio. Die Pointen waren treffend und heftig. Aber sie sind heute vergessen. Unvergessen blieb: Die haben „Sonne wie ein Clown“ gespielt!
Besonders dieser Song war so ein Gänsehaut-Garant: Zum einen bringt der die eigenen UTP-Erinnerungen** der Schulzeit aller auf den Punkt; dieses stundenlange Gefeile oder Schraubenmuttern entrosten, was in dir den Lebenserfahrungsansatz schuf: „Am Schraubstock darf’s später nicht enden!“ und zum andern wars in den 80ern so eine Art Pannach-Vermächtnis: Band verboten, Autor verhaftet, Lied nie gesendet, aber – es lebt!
Das musste erst mal schaffen!
Und so erwisch ich mich ein- ums andre Mal dabei, dass ich neidisch bin auf Gerulf Pannach, obwohl ich brav einen biederen, arbeitsintensiven Weg gegangen bin, der mir materiell soviel mehr eingebracht hat, als alle Renft-Veteranen heute vorweisen können, weil mir nicht vergönnt war, so einen Song erschaffen zu haben, der bleiben wird und der Momente ermöglichte, wie diesen:
Es ist kurz nach der Messe-Pause. Das neue Semester hat begonnen. Du sitzt mit deiner Zukünftigen im Park hinter der Thomaskirche auf dem zementierten Hochbeet-Rand gegenüber dem „Kiew“. Frühlingsgefühle. Turtelzeit. Um dich rum noch andere Pärchen. Die einen frisch liiert, bloß frisch zurückgekehrt aus den getrennten Heimatorten die anderen. In der Mitte zwei Klampfer. Das Repertoire wie bei all diesen Gelegenheiten: Über den Wolken, dust in the wind, Countryroads take me home, it ever rains in southern Leipzig-City…. Aber dann kurze Kussunterbrechung. Aufhorcher!
„Arbeitszeit schreit die Sirene. Ich komme wiedermal etwas zu spät…“
Mehrere Jungsköpfe winden sich aus 80er Jahre-Mädchen-Mähnen heraus und suchen Blickkontakt zu Artgenossen: Kennergrinsen!
Und Romeo säuselt seiner Julia ins Ohr:
„Hörste das? Willkommen zurück in Leipzig. Renft lebt!“
©Bludgeon
* EK = Entlassungskandidat
** UTP = Unterrichtstag in der Produktion
Ich bin mir nicht sicher, ob es viele „Wessis“ gibt, die zu Wendezeiten unter 12 Jahre alt waren – und die zwei Renft-Scheiben ihr eigen nennen können. Aber: Ich bin einer davon! Ich würde ja nun um Applaus und Komplimente bitten, aber das kommt dann wieder dem total berechtigten Klischee meinerunsereiner entgegen; – )
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Hahahah, ja genau. Aber natürlich applaudiere ich trotzdem heftigst! Hast du sie in Vinyl oder als CD? Mit oder ohne Bonüsse? Die Ausgaben mit Bonustracks sind empfehlenswert, weil man da die verstreuten Samplerbeiträge ergänzt hat, die zu Ostzeiten nur als Singles bzw. auf „Hallo-Samplern“ erschienen sind; sodass man dadurch auch in Besitz von „Cäsars Blues“ und „Zwischen Liebe und Zorn“ kommt; 2 Kultnummern, die sonst fehlen würden.
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Na, ich breche mir kein Zäcklein aus dem Kapitalistenkrönlein, wenn ich gestehe, dass du da selbstredend freakige 100 Kilometer weiter bist. Ich habe mir so um 2008 einen Stoß „Orginal-„-Alben geholt, hätte ich nichtmal müssen, als Radioredkteur reichen ja bekanntlich die 2 einhalb Knaller einer jden Combo. Just zu jener Zeit war aber meine Lust am Liuedermachergenre geweckt worden und ich sah natürlich, dass ostdeutsche Popgrütze der westdeutschen Grütze deutlchz überlegen ist. Wa sja kein hexenwerk ist, das Negative dreht sich zum Positiven: bei euch durfte eben nicht jeder Hanswurst an die Klampfe und textlich gab es was und wen zu umschiffen. Bis heute eines meiner Lieblingsargumente,w arum freiheit nichzt per se das Beste vom besten hervorbringt. Naja, da bezog ich CDs, an LPs war nicht mehr und noch nicht wieder zu denken. Mir hatte es der Sandmann angetan, für deie Verhältnisse gewiss ein Standardhit, aber irgendwie…so 2010 gehört…hatte das was..entschuldige: hatte ditte watt. Pantha Rei waren im Übrigen auch: knorke.
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„Durfte nicht jeder Hans Wurst an die Klampfe“ – das ist relativ zu betrachten. Einerseits mussten die Musiker alle eine Art Diplom machen,bevor sie die Berufs-„Pappe“, die Spielerlaubnis als Profis, bekamen. Hatten an ihren Instrumenten also was drauf. Andererseits bekamen die Berufs-Bands ihre Texte von Berufslyrikern und texteten nur in den seltensten Fällen selbst, wegen des Zensur-Hickhacks. Das führte dann dazu, dass du bei Interviews dann merktest: Die verstehen selber gar nicht, was die da aufführen. Also irgendwie doch Hans Wurste – teilweise jedenfalls.
Ich saß mal in’ner Fragestunde mit einer sehr angesehenen Band. Einer von denen fragte uns Schüler und Studenten: „Was hört ihr denn so gerne?“
Ein Mädchen: „Über 7 Brücken“
Er: „Ja. Ein wahnsinnig guter Text. Man wünscht sich, hoffentlich weeß der Dreilich wassor singt.“
Für mich war das’n Schenkelklopfer.
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Achso, was ich eigentlich sagen wollte: damals meinten ja Silly im neuen Outfit ultracool zu sein – naja, erfolgreich waren se ja – und schon schrie alles (im ehemaligen Ostsektor): Ostalgie! Wenn ich allein bedenke wie mir die Fußnägel umklappten dabei, Ostalgie. Was ein Schwachsinn, das klingt schon nach Osten-Ausschlachten die achte, Ostler-versetzen-ihr-Tafelsilber…die 12te…
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Silly im neuen „Outfit“ – meinst du die neue „Besetzung“ damals mit Anna Loos? Die ist allerdings verheerend gewesen. Diese Hausfrauen-Pop-Mugge brauchte ich auch nicht mehr. (Und erst all diese Fan-innen, die da plötzlich von „Meine Sillys“ sprachen!) Die Tamara-Band zuvor allerdings war auch so was wie Renft.Futter für den Geist. Komischerweise nie verboten, aber das war ja schon die Zeit, als dem Staatsgebiss die Zähne ausfielen.
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