Apropos Murder most foul

Geht sowas auch in Deutschland?

Vorüberlegung:

Bob Dylan hat’s wieder getan. Eigene Musik. 17 Minuten. Ein Legendensong voller JFK und Woodstock, Wolfman Jack und John Lee Hooker Erwähnung. Viel mehr wird nicht übrigbleiben, bei all den Textignoranten da draußen. Dabei ist das, mal abgesehen von der JFK-Verbeugung, ein gekonnt zynischer Epochenüberblick geworden. Eine Bilanz des Absturzes großer Floskeln von einst. „Baby, es ist eh alles Murks. Lass Filme gucken und gute Mugge hören; das lohnt.“ Er verknüpft da reichlich Beispiele vom Plattenteller und von der Leinwand.

Will man nu Gleiches in Deutschland, genauer: Ostdeutschland, tun; fehlen die weltbewegenden Impulse aus dem eigenen Kulturkreis. Alles wirkt irgendwie kleiner. Eingedampfter. Sogar ein Radiomann von denen wie Wolfman Jack konnte international Legende werden! Wen willste dafür hier einspringen lassen? Chris Wallasch? Ulf Drechsel? Wer kennt die? Er hat in seinem Werk zwar ein paar Engländer mit drin, aber keinen Niedecken oder Ambros. Stell dir vor Dylan würde „Störn Combo Meissen“ oder „Hjoogan Körth“ erwähnen! Aber umgekehrt ist zu akzeptieren: Die Großtaten aus Übersee haben dich fleißig mitgeprägt, die kannste nicht weglassen! Dickey Betts oder Dylan selber müssen schon auch hier vorkommen. Oder soll ich behaupten, ich hätte nur Puhdys und Oktoberclub gehört? Um Gotteswillen! Also wird die deutsche Fassung auch automatisch zum Denglisch-Salat.

Obendrein bin ich jünger als Dylan und eher kein J.F.K.-Apologet. Der Ärmste hat sicher einige gute Impulse, vor allem für’s Inland hinterlassen, aber Schweinebucht und Vietnam-Heraufköchelung stehen eben auch zu Buche. Da klappts dann nicht mehr so ganz mit dem Heiligenschein.

Wie also hätte Dylan das Epos geschrieben, wenn er „Positivally 4th Street“mäßig inside meiner Schuhe stünde?

So hier?

Good people must die/Boomers Lament

 

 inspired by Dylan & Jon Anderson/Yes and many more)

 

Da warn mal 2 Deutschlands, die Namen fast gleich.

Streng von Moskau verwaltet oder von quer übern Teich.

Als die beide 11 warn, da kam ich ins Spiel, haarlos, zahnlos, krank und noch ganz ohne Ziel.

 

Ulbricht regierte und die Sonne schien hell, doch das Wetter der 60er wechselte schnell

Aus England kamen so ganz neue Moden, die stießen hier auf die ganz alten Methoden

Erst Mauerbau – bald Kennedy dead, –„I bring you Fire“!„feed your head“!

Kommt Hippie-Freedom oder Manson-Hell? „Death of a Clown“, aber „saved by the bell“.

Mit Beatles, Stones, Who, fings damals an; ich war noch zu klein, ich war noch nicht dran.

Sie zogen nach Woodstock und Altamont; ich hab den „Kater Schnurz“ auswendig gekonnt.

Mähnen und Bärte sprossen um mich her; ich ritt mit Toka-Ihto, das war soviel mehr!

„Heißer Sommer“bei uns — drüben „Schah-Besuch“; ich begann den „Mosaik“-Sammelversuch!

Ein Bundeskanzler bekam eine rein, La postella!, egal, ich war noch zu klein.

 

„All the Good People turn their heads around“ und sind heftig am tunyes-album

Doch die großen Verbrecher sind dagegen immun

Und treten auch sie irgendwann einmal ab

Schwups – sind noch schlimm’re „Boys back in der Stadt“.

 

Autoritäten sollten zum Teufel gehen, was draus wurde, kannst du heute überall sehn.

Willy the Great, Deutschlands J.F.K.; zeigt sich in Erfurt am Fenster, ganz aus der Näh.

Die Ikonografie hinterher stark übertrieben. 17 Millionen sind damals zu Hause geblieben.

davdavDer Bartzel und Willy, die warn nicht mein Problem, ich wollte wie Renft‘ns Jochen oder Cäsar aussehn.

In den frühen 70ern brachten die Deutschrock nach vorn:

„Ketten wurden (deutlich) knapper“ zwischen „Liebe und Zorn“!

Aber Neunzehn Fünfundsiebzig hat die Liebe verlorn.

 

Die Funktionäre, die wissen schon, was sie tun. Dass das meist Idioten sind, dass wussten WIR nun.

Der Erich hatte den Walter verdrängt. Gesundheitliche Gründe; damit keiner denkt – – –

Die „Schwarzen Tulpe“ wurde zur„Black Rose“, und der kleine Dakota wurde ganz langsam groß.

„I’ve seen all the good people“, weißt du mein Kind, immer paar Jahre später bleibt nur „dust in the wind“.

„Release, release!“ was niemand begreift, denn das Heilsbringende „Ufo (ist niemals) arrieved“.

 

Das Schicksal von Chile, das ging auch uns an; einer wurde gerettet, der hieß Corvalan

Ein Russendissident kam dafür frei und Wandlitz gab die Weisung aus, dass dem nicht so sei.

Wir schwiegen vor den Lehrern und wussten wie’s is‘, erlebten Lesson one in Sachen Volksbeschiss.

Mittags nach der Schule war‘n wir Music-Junkie-Boys, die Daumen hatten Plastkontakt: Cum on feel the noize!!!

 

Spiel mir Itchyquoopark, spiel mir Metal Guru! Shine on Crazy Diamond und hör denen nicht zu!

Sieg des Kommunismus? Frisch auf an das Werk! Doch schöner wär’n Kuss jetzt von der Rosenberg!

„First cut is the deepest“ und „Baby I“! Spiel‘s nicht alleine für mich. Spiel es für zwei!

When Punk was born, sang sich Johnny nach vorn; one more time Voice of Youth: zwischen „Liebe und Zorn“.

 

Die Fahne, die Asche macht dich wieder klein, und „der Frost von außen her“, der drang damals tief rein.

Egal, was sie dir auch für Märchen erzählen: Ehrendienst ist Kotze wischen und Kameraden quälen!

Dann stehst du da „mit deiner Glut; – und in dir kocht und dampft die Wut“.

Scheiß egal, wer da noch mithören kann, brüll dich frei: „Berlüüün! Du kotzt mich an!“

 

Fehlfarben, Nina, Nena ein bisschen, Fee, Rio Reiser, Nuala, gib Küsschen!

 

Sitzt wieder Seminare und Sitzungen ab; geht das so weiter bis in das Grab?

Kader von morgen! „Bau auf! Bau auf!“  „I’ll must find my way home“ oder geh vor der Zeit drauf!

Sitzt unter „Rotlicht“ den Arsch dir breit. Den Körper vorort – doch die Gedanken sind weeeeeiiit!

„Street legal“ rauf und „Infidels“ runter, Sandow am Start, Pankow halten dich munter!

Keks jetzt verboten, wie einst Renft, doch ist da diesmal noch Hoffnung, solang Tamara‘s Band kämpft!

Eloy’s „Ocean“ : Atlantis versinkt! Ein Depp, wer jetzt noch auf den Karrierezug springt.

Geflucht wurde immer, das war einfach die Norm, wir träumten extremer auch von Kimme und Korn.

Aufruhr in den Augen, Gorby-Badge am Revers, diskutierten wir uns unser Traumland daher.

Spiel Robbie’s first record! Spiel mir Chris Rea! Und spiel mir Sandow, denn wir bleiben hier!

Chris de Burgh sang „Ship to shore“, das kam mir wie’ne Lagebeschreibung vor.

 

Erich und Egon, die fuhren ihr Land exakt und in Zeitlupe vor die Wand.

Golodkowski und Strauß, die halfen dabei, grinsender Swing, garantiert steuerfrei.

Im Osten ging zeitgleich die Sonne auf, next good people-boy bringt Stillstand zum Dauerlauf.

„Ich werde am Haus Europa mitbaun, also lasst uns noch einmal auf Deutschland vertraun.

Die Krankheit kam dann eher durch ein Messer, aber auch das macht den Standpunkt nicht besser.

Der Sozialismus war ehedem tot, drum schnelle Einheit das jüngste Gebot!

Alles lief glimpflich, wie es schien, auch wenn paar Chaoten „Nie wieder Deutschland!“ schrien.

Doch hör Herbst in Peking und hör Dickey Betts, „Atlantas burning down“ damals und Rostock brennt jetz‘!

Weltbild macht mit Arier-Schwarten gut Quote und der Kinderkrieg im Osten macht nun ganz real Tote.

Die mediale Landschaft stimmt sich darauf ein: Da drüben die Deppen! Wir bleiben Rhein!

 

Wir hatten uns in ein Trugbild verrannt und fanden uns wieder in einem sehr fremden Land.

Keimzeit brachten ne Platte heraus und passend zur Zeit hieß die„Irrenhaus“!dav

Wir hatten im Kaufrausch uns schwer überfressen: „Kapitel 11! Die andern 10 kannste vergessen!“

Es verschob sich so manches eben nicht nur zum Guten und „all the good people“ mussten wiedermal bluten.

„Du brüllst laut die Internationale, doch du scheißt auf die Völker und ihre Signale!“

„Tanz den Mussolini“ in „Berlin buy Nacht“. Über die „Türken von morgen“ wird nun nicht mehr gelacht.

Spiel „Alles Lüge!“, spiel „Westberlin“, „Wenn die Nacht am tiefsten ist“, wird wen’jer geschrien.

Spiel „losing my religion“, schmeiß Rammsteins „Deutschlandlied“ an!

Du willst die Welt noch verändern? Da glaubst du noch dran?

klein100_1682

Leipzig 2006

Magst du, magst du- dich umschaun?! Sieh am Steuer die Rüpel!

Boomer wie ich, we’ve seen all the good people!

Egal wie „nah“ der Vernunftsieg auch sei, ich weiß nur eins:

all good people must die.

 

Lies was gut‘ Altes, schau „Alois Nebel“ dir an,

„im Westen nichts Neues“, „Brasil“, lern‘ wie alles begann.

Vergiss mir Böll, Schmidt und Jirgl nicht,

lies auch „Fackeln im Sturm“.

Hab Spaß mit „Flashman“,

hör auf Reinhard.

Und ließ endlich den „Turm“.

 

Ich zieh mich derweil auf’s Private zurück, wenn ich die Rente erreiche – mit etwas Glück.

Dann frag ich mit Marlene, „wo die Blumen sind“.

Im Afterglow.

Im One Way Wind.

 

Bleibt gesund da draußen!

Werbung

6 Gedanken zu “Apropos Murder most foul

  1. Renft. Ich bin zu spät auf die Welt gekommen, aber Dein Beitrag inspiriert mich dazu, die lesenswerte Autobiographie „Zwischen Liebe und Zorn“ wieder zu Gemüte zu führen.

    Liebe Grüße,

    S.

    Gefällt 1 Person

      • Danke für den Tipp. Wenn der ganze Sch… erst einmal vorbei ist, gehe ich dem nach.
        (Ich möchte die PaketzustellerInnen nicht unnötig belasten, sie leiden schon genug darunter, dass halb Europa online einkaufen geht.)

        Gefällt 1 Person

  2. Weißt Du was, ich sitz da, hör der geliebten Nuschelstimme vom Bobby zu und les Deinen Text und dann hör ich Afterglow und One Way Wind und heule Rotz und Wasser … das passiert mir in letzter Zeit öfters … plötzlich weine ich. Und ich weiß gar nicht so recht, warum eigentlich. Dein Text mit dieser Dir eigenen kratzigen, gleichzeitig melancholisch sanften Poesie ist mir Labsal in dieser Zeit und ich würd mal sagen: ganz schön großes Kino!

    Alles Liebe und bleib einfach Du.

    Gefällt 1 Person

  3. Interessante Verlinkungen – schönen Dank dafür.

    Wenn ich mir diesen neuen Text Dylans anhöre bzw. lese und auf mich wirken lasse…. Tja, alternde usamerikanische Entertainer. Wo ist der Dylan geblieben, der uns den politischen Kathechismus vorsang? Spätestens als er vor fünf Jahren Sinatra coverte wars wohl vorbei mit dem Mann. Da war Neil Young gradliniger. Der hatte bereits 1981 Klartext gesungen (Motor City), Autos welchen Produktionslandes man kaufen solle.

    Dann lieber so einen Text wie deinen ohne den Dylanteppichboden drunter und positiv konnotiert. Sowas würde ich gerne mal lesen. Müsste man auch kaum Verlinkungen austauschen…

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s