The Chinaski-Years

Gestern wieder all diese Bilder im Fernsehen…

Ich war 29, im selben Alter wie die, die da seit Sommer89 über die Bildschirme flimmerten, wenn sie Österreich erreicht hatten, wenn sie Botschaftszäune in Prag erklommen, wie sie auf Feldbetten in Auffanglagern und Turnhallen interviewt werden – kurz die die Bilder erzeugten, die heute die Ikonographie der Wende sind.

Schadenfroh sah ich dem Phänomen zu, wie da ein Staat seine Jugend verlor. Und gleichzeitig empfand ich absolute Fremdscham über all diese hypernaiven Antworten, die die Interviewten da in die Kameras bellten. Wie musste das auf Leute „drüben“ wirken, die unsere Stagnationserfahrungen nicht kannten – und auch gar nicht wissen wollten?

Innerlich war ich, wie alle um mich rum längst weg. Die dümmliche Indoktrination der Propaganda, die erlebte bürokratische Unbill der Stagnationsjahre, spätestens seit Gorbis Machtantrit, hatten ganze Arbeit geleistet. Der Staat hatte verkackt. Mit den stonewashed Vokuhilas hinter den Botschaftszäunen konnte ich mich dennoch nicht identifizieren. Ich wäre nie gegangen. Gründe hätten meine Frau und ich genug gehabt, bzw. erlebt. Aber wir waren beide Realisten und unterschätzten die Schwere eines Neustarts im unbekannten System nicht. So kam nun der Neustart zu uns.

1990 steckten wir – ohne es zunächst zu merken, zwischen Scylla und Charybdis.

Kommt die schnelle Einheit, dann brechen die maroden DDR-Betriebe zusammen und Massenarbeitslosigkeit muss die zwangsläufige Folge sein. SEDler sprachen das aus und wurden mit dem weitverbreiteten Bonmot jener Zeit „Haut ab, ihr roten Schweine!“ in die Schmollecke geschickt. Als es dann eintraf, waren die glühenden Antikommunisten von 90 plötzlich wieder Klassenkämpfer, die ein paar Erinnerungstrümmer aus dem Stabü-Unterricht exhumierten.

Wäre die Einheit nicht gekommen und wir hätten unter einem Staatschef aus den Reihen des Neuen Forums weiter gewurstelt, hätten wir bitter durchleiden müssen, was sich hinterher ebenfalls zeigte: Die hatten kein Alternativkonzept! Die wollten Reisefreiheit und ein Ende der Zensur. Wirtschaft war für diese Undergroundüberlebenskünstler des noch nicht renovierten Prenzelberges und der Akademie der Künste ein Fremdwort, wie für uns auch. Und die hätten schon gar nicht zaubern können, so dass per Fingerschnipp unsere Grundnahrungsmittel besser verpackt hätten mithalten können mit all den Westimporten, die plötzlich in den Kaufhallen standen.

1990 war das Jahr des Rausches. Alles schien zu gehen. Vorfreuden wurden noch nicht durch heraufziehende Existenzängste gebremst. Aufholkäufe. Langersehnte und eigentlich für unerfüllbar gehaltene Erwerbungen wurden überall getätigt. Was für Volkmar und mich die Schallplatten, waren für Udo urplötzlich Videorecorder und Actionfilme, für Sperber-Thommy Reisen und Christian war vorerst im Westen verschollen. Als ich im Freundeskreis meine ersten Westberlin-Käufe verkündete, reagierte Thomas mit der Frage: „Ton Steine Scherben – Wer war das nochmal?“ Ich war baff. Jahrelang hatten wir zusammengesteckt und bei Sabinchen Platten gekauft bzw. aufgenommen. Wir hatten dort die „Auswahl I“ und die „Scherben“ von TSS INHALIERT! Volkmar hatte die beiden ersten Rio-Alben besorgen können, die wir dann alle auf Band hatten; bis gestern hätte jeder von uns einstimmen können bei

„Wann? Wenn nicht jetzt! Wo – wenn nicht hier! Wie – wenn nicht durch deine Liebe! Wer – wenn nicht wir!“

„Auf dieser Insel ist nichts looooos! Hier wächst auf allen steinen Moooos! Hier sind die Zwerge riesengroooooß!“

Und nun fragt der glatt: Wer war das nochmal.

Ein entgeistertes „Hä?!“ war alles, was ich zustande brachte.

Die Episode hat sich bei mir eingebrannt. Sie war ein Schlüsselmoment: Stück für Stück drifteten wir von einander weg. Der intensive Freundschaftskontakt der 80er entglitt. Sporadische Besuche mit immer weniger Gesprächsstoff blieben übrig. Die neuen Hobbys meiner Kumpels interessierten mich nicht und mein Plattenwahn nervte sie.

Ich begann das zu vermissen. Es war nicht alles schlecht: In einer Mangelwirtschaft finden sich schneller Gleichgesinnte, die sich auf etwas, von dem – was da ist, besinnen. Tiefgründige Fachsimpelei ist somit leicht zu haben. Alle hören das Gleiche, lesen das Gleiche, sehen die gleichen Filme. In einer Überflussgesellschaft – schweigt zum Schluss jeder von etwas anderem, während er übers Wetter oder seine uninteressanten Urlaubsreisen small talkt.

So wurde Bukowski-Lesestoff Lebenselexir, passend zur Zeit: Die Chinaski-Years brachen an. Sie begannen in der Tegeler Bücherstube bei meinem zweiten Aufenthalt in Westberlin und endeten mit Bukowskis Tod und dem Erscheinen von „Ausgeträumt“ um‘ 95 herum.

Beim zweiten Trip fuhr ich allein. Vorweihnachtszeit’89. Per Bahn über Henningsdorf, Velten. Und weiter per Bus bis Tegel. Die Busbelegung entspannt und das Ding selber nicht mehr so voll, wie beim ersten Mal. Die Zöllner allerdings auch wieder mutiger: „Ihre Ausweise bitte!“

„Ey. Ick habmein ßuhause. Iha kennt mia doch!“

„Ausweis oder aussteigen.“

„Wattsollnditte! Jing doch bishea ohne!“

„Ich bitte Sie den Bus zu verlassen. Holn sie ihr Dokument. Dann könnse fahrn.“

„Wollta wieda wie früha?!“

„Sie steigen aus- eher geht’s hier nicht weiter!“

Im Bus anschwellendes Gemurmel. „Pfeif ab, Kunde! Wir wolln los! Steig endlich aus!“

„Ach ihr Zonies ihr!“ fluchte der Ausweislose und ging.

Ankunft in Tegel, schnurstracks bei „Wilson&Vogt“ vorbeischaun und Bensons „Living inside your love“ erbeuten, dann auf Buchladensuche gehen und mal testen, ob es im Westen wirklich alles gibt.

Retcliffe und Dwinger? Ich brauchte ein Weihnachtsgeschenk für Papa und hatte mir ein paar Autorennamen gemerkt, von denen er in der alten Heimat Bücher besaß. Ich hatte mir auch gemerkt, welches Buch auf seinem Nachttisch lag, als sie „zunn Schlusse wegmusstn“. Nur hatte er Jahre später dieselbe Story auch meinem jüngeren Bruder erzählt – aber mit einem ganz anderen Buch! Am besten also beide auftreiben: Dwinger und Retcliffe.

Es war ein nasskalter Tag. Sprühregen. Berlin doppelt so hässlich wie sonst. Ich betrat die Tegeler Bücherstube und fühlte mich sofort wohl. Ein kleiner beinahe kioskähnlicher Bau; voll gepfercht mit Büchern, sodass man sich kaum drehen konnte und zwei ältere Frauen mit so strahlenden, glatten Rentnergesichtern, belesen und durchgeistigt, hinterm Ladentisch.

„Kann ich helfen?“ (die eine).

„Ja, ich suche Sir John Retcliffe. Können Sie mir sagen, ob von dem nach 1945 was wieder aufgelegt wurde?“

Klapp. Die andere schlägt einen riesigen Katalog, Kirchenbibelformat, auf. „Wissen Sie einen Buchtitel?“

„Sewastopol.“

Die Suche beginnt.

„Vielleicht auch unter seinem richtigen Namen Götsche, Friedrich.“ Versuche ich zu helfen.

„Ja, ja, schaun sie sich mal derweil um. Wir suchen ihnen das raus.“ empfiehlt die Suchende, während die andere inzwischen Foliant zwei durchsieht.

Das braucht sie mir nicht zweimal sagen. Ich dreh mich weg und stehe vor dem Regal „B“.

Bahro, Rudolf; „Die Alternative“. Den hab ich damals (’77) in „Kennzeichen D“ gesehen. Dieser auf Anhieb sympathische, ruhig-freundliche ältliche Mann, der lauter vernünftige Ideen zu Reformen vortrug, gegen die man doch eigentlich nichts haben konnte – und der trotzdem dafür schwer büßen musste.

„Wir sangen für Bahro in Bonn und Paris; und nun sitzt er noch immer in dem Stasi-Verließ.“ (Pannach& Kunert)

Hm. Vorbei jetzt. Alles redet von der Einheit. Hat sich erledigt.

Bukowski, Wladimir. „Dieser stechende Schmerz der Freiheit“, auch das Kapitel schien nun vorbei. Ein inzwischen vergessener Dissident aus Moskau, der gegen Luis Corvalan ausgetauscht wurde. Ein Propaganda-Gau für die DDR, die behauptete, dieser Austausch sei eine Erfindung der Westmedien. Corvalan sei durch die Massen an Solidaritätskarten aus der DDR freigekämpft worden. Den Bukowski gäbe es gar nicht. Wir hatten ihn jedoch tags zuvor in der Tagesschau gesehen. 4 Tage später landete Corvalan in Moskau, Liveübertragung im DDR-Fernsehen. Simultanübersetzung seiner Dankesworte an Leonid Breschniew, dass er den Austausch ermöglicht habe. Alle Apparatschiks der DDR bis auf die Knochen blamiert. Seltenblöde Propagandaaktion, aber passend zu Renftverbot und Biermannrausschmiss.

Prägeerlebnisse von anno dunnemals.

Bukowski, Charles: „Das Liebesleben der Hyäne“ und 6 oder 8 weitere Taschenbücher.

Sabinchen hatte mir irgendwann mitte der 80er ein Westbuch in die Hand gedrückt.

„Lies mal. Das ist so einer wie Tom Waits.“

Gedichte. Deutsch. Freier Rhythmus. Irgendwie blöde. Die Inhalte zwischen nichts und gar nichts. Bis auf eins, in dem lauter Katastrophen aufgezählt werden – bis man umblättern muss –

„Doch eine keifende Frau im Treppenhaus ist mehr als ein erwachsner Mann verträgt.“

DIESE FULMINANTE LEBENSWEISHEIT prägt sich natürlich sofort ein.

Ich gab ihr damals das Buch unbeeindruckt zurück. Nun aber überlegte ich, weil da auch einige Short-Story-Bände standen: Wenn die Gedichte auch nix sind, vielleicht taugen die Stories was?! Ich dachte an Tom Waits, an Kerouac und an Algren, dessen „Mann mit dem goldenen Arm“ ich vor kurzem verschlungen hatte – und siehe da, das „Liebesleben der Hyäne“ schien ähnlich zu ….

„Hören Sie? Ihren Retcliffe oder Gotsche haben wir nicht gefunden. Tut uns leid. Vielleicht versuchen Sie es antiquarisch?“

„Danke. Ich nehm dann das hier.“

Ich seh, wie sich die Mienen der beiden Damen verändern.

Immernoch freundlich, aber schwer enttäuscht von mir, der ich doch ein Kenner alter Autoren zu sein schien, wagte die eine beim Eintüten doch die kopfschüttelnde Frage:

„Das soll’s sein?“

„Ja.“ grins ich etwas verschämt, wie ein Teenie beim Playboykauf.

Die Großen Drei

Die Großen Drei

Draußen im Nieselregen falte ich die Ränder der kleinen Tüte so zusammen, dass das Büchlein in meine Innentasche passt. Ich trau den Grenzern nicht, auch wenn die nu freundlicher sind als vor der Wende. Leibesvisitationen vielleicht nicht mehr. Aber Beschlagnahmungen aus Beuteln weiterhin nicht ausgeschlossen.

„Juchndfreund! Druckerzeugnisse! Das wissmor doch abor! Mauerfall hin oder her!“ und weg wäre ein West-10er!

Aber die Rückkehr läuft ab, wie beim ersten Mal. Keine Komplikationen.

The Works

The Works

Henry Chinaski ist schon eine Toppsau, so wie er schreibt. Harte Zustände – harte Sprache. Aber da ist eben auch ganz viel entlarvende Ehrlichkeit in Bezug auf die Existenzkämpfe kleiner Leute in einer Gesellschaft des schönen Scheins.  Lust auf mehr. „Das Liebesleben der Hyäne“ als Einstieg war für mich noch „american exotic“ pur; die anderen Story-Bände, die nach und nach Einzug hielten, illustrierten schon Schicksale, die sich um mich herum abspielten. Ich —  musste das nur lesen. Klassenkameraden von mir mussten das erleben. Ärmlich. Erbärmlich. In Deutschland.

 

25 Gedanken zu “The Chinaski-Years

  1. Ich bitte um Entschuldigung für die doofen Kommentare meinerseits, dein Artikel ist wie immer hervorragend und trifft den Punkt.

    Ein kleines bissel hast du mir wieder Mut gemacht über das Schreiben nachzudenken. Ich bin etwas verbittert, ob all der eigenwilligen Reaktionen hier.

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  2. Das ist vielleicht ein kleiner Unterschied, bis diese ominöse Wende real hier im Südwesten ankam, gingen Jahre vorbei. Man war zu sehr eingebunden im eigenen System und kämpfte um Möglichkeiten, die man nur auf dem Papier hatte. Die ersten Ossis hier wirkten als massive Fremdkörper, was die auch waren. Sie ‚wollten’ zu uns, wir wurden nicht gefragt. Warum nicht
    2 Staaten, die DDR +Bayern und die BRD-Bayern 😂
    Mittlerweile zu Freunden gewordene Ex DDR-Jugendliche haben diese Zeit live erlebt und nicht im TV, das ist eben nicht vergleichbar.
    Die heutige Jugend ist die Hoffnung, sie sehen wenig Unterschiede, gehen unvoreingenommen an die Sache ran.
    Vielleicht reden wir auch zuviel darüber, die aktuelle Berichterstattung ist auch nur noch nervig, frei nach dem Motto: wer erstellt die beste Analyse. Ich kann es nicht mehr hören.
    Grüße aus dem Westen!

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    • Grüße aus dem Osten zurück. Kann ich mir gut vorstellen, wie sehr all die Sachsen oder Anhaltiner da unter den Schwaben auffielen. Das Abhauphänomen damals ist zwar reichlich verfilmt, aber nie richtig erklärt worden. Weil es in den Kram derer passt, die den ruhmreichen Sieg der Freiheit erzählen wollen, bleibt es vorerst dabei. Dass eine gute Portion Dummheit/ oder beschönigter ausgedrückt -Naivität- dazu gehört, sich diesen Wechsel anzutun, bleibt unter dem Teppich. Alle diese Tunnelbuddel- und Mauerschützenfilme enden mit Happyend.

      Mitte der 70er gab es einen sehenswerten Spielfilm in der ARD. „Hier kein Durchgang – nur Übergang“ (oder so ähnlich); den hab ich nur das eine Mal gesehen. Der beleuchtete recht realistisch kritisch, was passiert, wenn eine hübsche Ost-Kosmetikerin sich in einen Tagesschein-Wessi verliebt, der sie mit begehrten Mitbringseln umgarnt; und der in Westberlin eine kleine Drogerie hat. Da wurden die Anpassungsschwierigkeiten nach geglückter Flucht echt real veranschaulicht.

      Die Mutter zu Hause kriegt Stasi-Ärger. Die Schwiegermutter im Westen hält ihr vor, was der Fluchthelfer gekostet hat. Zum Schluss sitzt sie, getrennt von ihrem „Westprinzen“ in einer Einraumwohnung mit einem DDR-Sternrecorder auf dem Tisch, der Baccara spielt.. Da sie auch in seiner Drogerie nicht mehr gelitten war, arbeitet sie nun als Friseuse. Ein Bekannter kommt vorbei und fragt sie in Bezug auf ihre Liebe und die Flucht: „Wenn du die Wahl hättest – würdest du es wieder tun?“ Sie schaut in die Kamera und die Augen werden feucht. Film aus. Ging mir damals tief rein, so mit 16 – 17. Mit Sicherheit sollte der Film in den Osten schrein: Bleibt daaaa!

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  3. Der „wilde Underground-Poet“ Charles Bukowski wurde ja in BRD bereits Mitte der 70er Jahre von der „literarischen Alternativ-Kultur“ mit der gebührenden Liebe zur amerikanischen Poesie und zur Beat-Generation empfangen – mit Carl Weissner und Jörg Fauser als Propheten – diente er damals vorallem als Attacken gegen Grass, Walser, Böll und andere Riesen der deutschen Nachkriegsliteratur, denen man provinzielle Nabelschau, weltferne Innerlichkeit und den Mangel unterhaltsamen Erzähltechniken vorwarf.

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    • Auch nicht schlecht. Obwohl: Versuche mich z.Zt wieder am ollen Hank Chinaski und muss sagen: 30 Jahre zwischen 1. und 2.Lektüre – da kommt man zu anderen Erkenntnissen. Da sind Blechtrommel, Haus ohne Hüter und Clownsansichten dann doch eher Weltliteratur.

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  4. Hab ich gelesen,mitgedacht, aber nicht wirklich mitempfunden, denn zur Zeit der „Wende“ lebte ich schon zehn Jahre nicht mehr in Deutschland – weder rechts noch links vom Zaun.

    Perspektivwechsel. Jetzt tat sich ein neuer Alptraum auf: das wiedervereinte Großdeutschland, das durch sein ökonomisches Schwergewicht die Kleinen abzuwürgen drohte. Ein gesamtdeutscher Mief begann sich in Europa auszubreiten: Schwäbisch.allemannische und mecklenburgisch-vorpommerische LehrmeisterInnen machten sich daran, bei anderen Europäern „Hausaufgaben“ einzufordern. Sowenig Deutschland zusammenwachsen konnte, so wenig auch das von Deutschland geschulmeisterte Europa,

    Symbolträchtig: das, was das wiedervereinigte Deutschland zu diesem Europa beigetragen hat, ist vor allem eine große schwarze Null. Dabei hätte es wahrlich genug anderes, Fruchtbareres gegeben, denn die Bürger welchen Landes hatten so viel Geschichts-Unterricht bekommen? Aber nein. Weder lernte man aus der Geschichte noch voneinander noch gar von den Miteuropäern, die man am liebsten zu kleinen Deutschen machen wollte. Dies Deutschland, das innerlich zerschreddert ist, aber eine Weltrolle anstrebt, macht mir Angst.

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    • Hochinteressanter Kommentar. Die erste Hälfte sehe ich etwas anders, aus Ossi-Sicht. Die zweite kann ich unterschreiben. Den letzten Satz vermutlich aus anderen Gründen. Ich sehe „uns“(wenn man so will) eher nicht demnächst „marschieren“, sondern eher in der Rolle des Römischen Reiches im 4. oder 5. Jahrhundert. „Will noch, aber kann nicht mehr…“ Aber vllt. haben wir Alten auch einfach nur den Gruftblick, wie die Generationen vor uns. Wer 1972 die Rente erreichte, für den war die „Neue Ostpolitik“ sicher auch der Untergang des Abendlandes.. Wer weiß.

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  5. Den blauen Bukowski auf dem zweiten Bild unten in der Mitte habe ich auch Anfang 1990 gekauft. Alkohol, Pornografie, Gewalt, Gier, ein übles Frauenbild – es ist alles drin, was die Wiedervereinigung so brachte. Ich hab ihn nicht zu Ende gelesen.

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    • Der dicke blaue Band ist für mich der Vergessenste. Kann ich gar nichts mehr zu sagen. Durchgekriegt hab ich sie alle. Das Frauenbild erklärt sich aus dem Milieu heraus, in dem er lebte. Es geht aber noch schlimmer. Musst mal Hubert Selby „Letzte Ausfahr Brooklyn“ versuchen. Der war mir auch zuviel und zu eklig.
      Bei Old Buk ist fast immer auch so ein feiner fieser Humor dabei.
      Sein Übersetzer schrieb mal auf einem der Buchdeckel: Bukowski findet Poesie dort, wo niemand suchen würde – in der Gosse. Und ich finde – das stimmt.

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  6. Ich danke für diesen persönlichen Bericht.

    Ich war drei Tage später da, wo ich seit einem denkwürdigen Besuch im Eichsfeld 1987 immer hinwollte – in die Mitte Deutschlands. Und nach Möglichkeit in alle anderen Regionen. Ich kannte bis dahin ja lediglich Berlin (Hauptstadt der DDR).

    Eisenach war die erste Station. Das Bachhaus. Die Aufpasser hatten mit den sich im Haus frei bewegenden BRDlern wohl nicht gerechnet. Massenhaft Zurechtweisungen. MachenSe hier nicht… gehnSe da mal… Hier könnSe nich… – und das im Bachhaus. Das von Fussballrowdies bestimmt nicht besucht wird bzw. worden ist.
    Das war dort.

    Und hier?
    Mein erstes persönliches Erlebnis fand in der angeblich „goldenen Stadt“ am Rhein statt. Samstags morgens war auch an den „Insiderstellen“ kein Parkplatz mehr zu finden. Stellte ich meinen Wagen eben grade mal so vor dem Buchladen ab, um meine Bestellung abzuholen. Fünf Minuten. Na gut, vielleicht acht. Komme aus dem Laden und habe einen blauen Zettel hinterm Scheibenwischer. Um den Volvo herum stehen mehrere Autos, die man jetzt auch hier in zunehmender Zahl sehen konnte. Die Zettelverteilerin war noch munter am Werk. Auffälligerweise jedoch nur an den Scheibenwischern von Kraftfahrzeugen mit den hier bekannten Kennzeichen. Ich sprach sie freundlich an wegen meines Zettels und überhaupt. Höflichkeit hilft oftmals. Und sie erklärte mir, warum hier zweiklassig verfahren würde aufgrund einer Anweisung aus dem Rathaus.
    Die „Gäste“ wollen und sollen doch hier mal richtig einkaufen können. Und weil viele wahrscheinlich nichtmal wüssten, wie das geht mit den Parkhäusern….
    Mich ärgerte und beschämte diese ebenso dümmliche wie ignorante Arroganz. In den kommenden Wochen beschloss ich aufgrund dieses und der noch folgenden Erlebnisse und Erfahrungen, meine eigene Wiedervereinigung zu versuchen. Im Grossen und Ganzen bin ich bis heute gut gefahren damit.

    Was das Neue Forum betrifft, kann ich gut zustimmen. Auch in meinem Umfeld, noch weitgehend unwissend und unerfahren mit den Verhältnissen in der Untergehenden, entstand die Frage, wie die Vorstellungen dieser Leute in der Realität funktionieren sollten. Menschlicher Sozialismus schön und gut. Aber in Deutschland? Und wer soll den realisieren? Und vor allem wie und mit wem?
    Was hier bei uns blieb, war das Bild des runden Tisches. Fast ein Altar. Um den sich Menschen versammeln, die ganz unterschiedliche Hintergründe aber ein gemeinsames Ziel haben. Und wieder auseinandergehen, wenn diese Ziele verwirklicht sind.
    Inzwischen kann man wissen, dass bürgerliche Gesellschaftsordnung und kapitalistische Wirtschaftsweise runde Tische scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Und alles tun, um runde Tische zu desaouvieren.

    Dennoch gab es genügend Chancen. Und fähige, moralisch kaum belastete Menschen gab es auch. Aber dann wurde die Kostenrechnung publik, die der kleine Cäsar von der Saar von Anfang an gefordert hatte. Und jetzt geschah die politische Kernschmelze der bösen Dreieinigkeit.
    Es formierte sich in den neuen Bundesländern eine linke Partei nach dem Vorbild der NachkriegsCDU. Die Wahlberechtigten in den neuen Bundesländern gaben dem damaligen Kanzler und seiner Partei den Freifahrtscheinschein ener regierenden Mehrheit. Die nutzte der mit seinen Helfern eiskalt, um die Treuhand zur „Abwicklung“ der nun ehemaligen Deutschen Republik zu nutzen. (Auf arte die Doku über die Treuhand anschauen und die Brechtüte bereithalten dabei!)

    Bukowski – naja… Ich habs einige Male versucht und wieder gelassen. Kommentator Vielleser verstehe ich. Dennoch habe ich zugegriffen, als ich kürzlich in einem öffentlichen Bücherschrank einige Taschenbücher mit seinen Kurzgeschichten fand. Zustimmung auch, dass seine Gedichte allenfalls zwiespältige Eindrücke hinterlassen, wenn überhaupt. Aber auf drei Seiten Prosa konnte er einen Film im Leser entstehen lassen. Das muss man ihm lassen. Aber er war darin nicht der Einzige.

    Wie gesagt, ich danke für diesen persönlichen Bericht.

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    • Den Treuhandfilm hab ich gesehen, teilweise, mit bissl hinundherzappen, weil soooviel neu war da nicht. Aber ein paar Bestätigungen für bisherige Vermutungen gab es schon.
      Zu Bukowski: Kennst du die beiden Verfilmungsversuche aus Hollywood? 1989 „Barfly“ mit Mickey Rourke und Faye Dunneway – ganz okay. Und „Factotum“ so um 2005 herum mit Matt Dillon in der Hauptrolle, deutlich schlechter gelungen. Beide Kinokassentechnisch gefloppt.

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      • Nein, ich kenne die beiden Verfilmungen nicht. Dass sie zum Kassenschlager nicht taugten, hätte ich vermutet. Hanks grosse Zeit war in meiner Erinnerung mit seinem Ableben vorbei.

        Apropos Bukowski oder Algren. Die sind in Deutschland durch Zweitausendeins einem breiteren Publikum bekannt geworden. Dort erschienen auch Teile seiner Gonzo Papiere. Ein grosser Bericht wurde ebenfalls verfilmt. Vermutlich auch kein einträglicher Streifen. „Angst und Schrecken in Las Vegas“ mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Für mich in zweierlei Hinsicht sehendwert. Erstens hält sich das Drehbuch ziemlich exakt an der literarischen Vorlage und zweiten sind die beschriebenen Ausartungen meisterhaft filmisch umgesetzt…

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  7. Bukowski und Selby…beide gelesen , teils Pflicht in der Schule im Deutschunterricht …nicht wirklich verstanden weil das katholische Westmünsterland doch sehr weit entfernt ist von diesen Welten…dann als Fotograf einige Zeit in Brooklyn gearbeitet, mit Leuten vor Ort…seitdem habe ich fast alles nochmal gelesen und auch wenn es dort heute nicht mehr so extrem ist…heftig genug für uns Europäer …ich bin dann später ausgestiegen , bei Herrn Bret Easton Ellis mit seinen Romanen : American Psycho und : Unter Null , die fand ich dann so richtig…nicht toll . Grüsse von Jürgen

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    • American Psycho sagt mir irgendwie dunkel was. Gabs das nicht auch als Film? Gelesen hab ichs nicht. Buk & Selby in der Schule? Huch! Mutiger Lehrer. Oder eben noch keine Helikopterelternplage – damals
      Plage mich gerade ein wenig mit dem „Liebesleben der Hyäne“ (Zweitlesung). Hatte mir durch meine Schreiberei neulich gerade selber Lust auf ne Bukowski-Renaissance gemacht. Also mit 30 las sich das anders als jetzt. .

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