…die Barrikaden sind leergefegt…(T.Danz)
Silly-Saga (V; und Schluss)
1. Wendewirrwarr
Fast 5 Jahre zwischen „Februar“ und „Hurensöhne“
5 Jahre, die die Welt… in Taumel versetzten…; in Deutschland, in Russland, auf dem Balkan und am Persischen Golf.
Die frühen 90er sind in Ostelbien die Jahre, die viele als Befreiung, als Lebenshöhepunkt empfanden. Berufsmusiker der DDR jedoch nicht. Sie hatten allen Grund, in jener Zeit mit dem Schicksal zu hadern:
Im Herbst’89 sorgte abgesehen von den Leipziger Ereignissen vor allem ein Aufruf der Rockmusiker für Aufsehen, für Zivilcourage und somit für mehr politischen Druck:
Kritik am miesen Krisenmanagement nach der Grenzöffnung in Ungarn, Forderung nach Erneuerung durch Verjüngung der Machtzentrale Politbüro, her mit Glasnost und weg mit dem Demonstrationsverbot.
City, Silly, Pankow brüteten den aus und verlasen ihn vor ihren Konzerten.
Herolde – oder Zauberlehrlinge der Revolution? Zunächst ging noch alles in ihrem Sinne:
Die Stasi drohte mit Entzug der Spielerlaubnis.
Zahlreiche andere Musiker unterschrieben in wenigen Tagen. Schauspieler und Regisseure schlossen sich an.
Würde sich wiederholen, was 1976 mit den Unterzeichnern der Biermannresolution geschehen war?
Statt Einschüchterung und Mundtotmachung erlebte die staunende Republik den 04.11.1989!
Eine geschätzte halbe Million Leute sprach sich auf dem Alex selbst Mut zu…
5 Tage später war alles anders: Schabowski/Mauerfall/Begrüßungsgeld/… der bekannte Ablauf. (Goethe zum zweiten. „Wehe! Wehe! Beide Teile steh’n als Knechte völlig fertig in die Höhe!/Helft mir ach ihr hohen Mächte!“ Der aktivierte Menschenschwall schwappte nun in ungeplante Richtung und niemand konnte es abstellen.)
Deshalb Aufruf Nr.2 „Für unser Land“: Unter den Unterzeichnern nach wenigen Tagen fast die ganze DDR-Prominenz. Ein verzweifelter Versuch des Gegensteuerns, als „Wir sind das Volk!“ zu „Wir sind ein Volk!“ wurde. Das „Fenster, das (am 4.11.) in Deutschland aufgestoßen worden war“(Heym), flog krachend wieder zu und ging in Scherben. So dachte auch ich damals. Unterschrieben habe ich den Aufruf nicht. Die privilegierten prominenten Erstunterzeichner mussten sich vorwerfen lassen, selbst reisen gedurft- und Vorteile genossen zu haben, die sie der Masse nun ausreden wollten. Diese hatte eben erst Begrüßungsgeld geholt und die Auslagen Westberlins gesehen. Am 3 oder 4. Tag des Aufrufes unterschrieben Krenz und Schabowski – damit war die Aktion endgültig korrumpiert.
Somit waren die Fackelträger des Aufruhrs die Dummen. Die Revolution fraß ihre Kinder auch diesmal wieder. Zuerst und offensichtlich die Bürgerrechtler. Fernab von der Öffentlichkeit aber auch die Musiker. Für sie begann eine Durststrecke ohne Publikum, während alle anderen damit beschäftigt waren, Nachholkäufe zu tätigen, Anschluss an zeitgemäße Motorisierung zu finden, unbekannte Weltteile zu erschließen, gingen hochqualifizierte, diplomierten Berufsmusiker Klinkenputzen für die ganz-ganz miesen Jobs. Warum?
Auf den Straßen verrotteten die Trabis, dazwischen in Pappkartons Amiga-Platten aller Art.
Geschichtsloses Volk entsorgte seine Vergangenheit.
Konzertveranstalter, die Gastwirte der Kultkneipen, sagten Konzerttermine ab. Sie wussten, dass ihr Klientel jetzt anderswo beschäftigt war:
„Nie wieder Kremlrock! Von nun an nur noch Schdohns un’ Udo! Na gut … und Renft, falls die s’ch widdor zusamm’raufen sollten; sin’ja Helden.“
Es schien, als habe man statt der Folterknechte von Hohenschönhausen und Schwedt(Militärgefängnis) ausgerechnet die Musiker der Auslöschung preis gegeben.
Das Wasser stand ihnen bis zum Hals und darüber:
Schlagersänger, Popsternchen, Rockmusiker, – bisher im TV und auf den Live-Bühnen der Pressefeste der Republik zu Hause- fanden sich plötzlich wieder, als Kioskbetreiber oder sogar nur –aushilfe, als Anpreiser von Autoreinigungsmitteln auf Parkplätzen, als Fensterputzer…
…während zu Hause noch der DX7 oder die Gibson Les Paul vor sich hinstaubten, die man in den 80ern zu Schwarzmarktpreisen um die 20 000 Ostmark per Kredit (zusammengeborgt bei Freund und Feind) gekauft hatte; …. Die wollten alle noch ihr Geld!
Mancher wählte den Selbstmord, weil er diesen Absturz aus dem trügerisch privilegierten Künstlerhimmel nicht ertrug.
Andere gaben später zu, mit dem Gedanken durchaus umgegangen zu sein
(„Du hast jetzt einen von 3 Auftritten in diesem Jahr – du fährst 300km zum Veranstaltungsort – dort erwartet dich Halbplayback – allein auf der Bühne – wo früher eine Band hinter dir stand. Du bekommst 500 DM – bist 35 Jahre alt – kannst deine Familie nicht mehr ernähren … fahr da vorn vor den Brückenpfeiler… Tempo 130 dürfte reichen und Ruhe is’.“ Radiointerview mit? Rate mal! Wem traustes zu?)
Nichts hatte sie auf diese Situation vorbereitet. Sie waren die Paradiesvögel der Republik gewesen. Superinstrumentalisten ohne Ahnung vom geschäftlichen Prozedere. Denn erstens lebten sie ja in der Planwirtschaft und zweitens wurden sie durch die Konzert-und Gastspieldirektionen ferngesteuert.
Dann war da noch die Hoffnung, nun marktwirtschaftlich an Umsätzen für Plattenverkäufe beteiligt zu werden. Aber dazu gehört, dass man Platten eben auch verkauft:
Nachfrage nach Ostrock – null. 1990…1991…1992…1993
Was ist mit den Rechten an Songs auf alten Amigaplatten? Die müsste man doch zurückerhalten, um damit selber auf die Suche nach einem Vertrieb gehen zu können:
Nix da! Das Gesamtpaket Amiganachlass wurde mehrfach verhökert… immer der, der gerade verklagt werden sollte, besaß es schon nicht mehr.
Das hinterfotzigste Verhalten legten die Rundfunksender Ostdeutschlands an den Tag: Wenigstens Gema-Einkünfte für das eine oder andere gesendete Lied wären vorstellbar gewesen, Osthörer hätten gewiss nicht weggeschaltet, wenn ein Pankow-, Kerth- oder Lift-Song gelaufen wäre, obendrein hätte man die Ostidentität damit ein wenig streicheln können – aber die Sender waren nun in der Hand von West-Intendanten, und die wiesen an: Keine ehemals staatstragende Kommunistenpropaganda! Und das betraf einfach alle, die nicht abgehauen waren.
Musiker und Moderatoren kannten sich aus Vorwendejahren. Konnten da nicht wenigstens private Beziehungen helfen?
„Kannst du uns in deiner Sendung nicht spielen?“
„Würde ich gerne! Aber die schmeißen mich raus, wenn ich das tue.“
Willkommen bei den freien Medien!
Klar, dass diese Art Erfahrung reihenweise die Troubadoure der „Revolution von gerade eben noch“ zurückverwies auf den „alten Meister“ PDS. Wenn überhaupt noch irgendwo musikalisch Geld verdient werden konnte, dann auf Pressefesten der „Jungen Welt“ oder Kundgebungen der Partei.
Und Silly?
Würden die den 5.Meilenstein in Folge erzeugen können?
Oder hatte auch hier die Identitätskrise zugeschlagen?
2. „Hurensöhne“ (Die Schwergeburt nach der Wende)
Von Jahr zu Jahr wurde erzählt, dass eine neue Platte in Arbeit sei. Von Jahr zu Jahr wurde aufgeschoben. Stattdessen erschienen die beiden Gundermann-Alben „Einsame Spitze“ und „der 7.Samurai“ mit freundlicher Unterstützung von Barton, Hassbecker, Junck und Resniczek. Sein Baggerfahrerimage, seine klar verständliche Sprache, sein Outfit in Fleischerhemd, Jeans und Jesuslatschen plus Resthaarzopf machten ihn zum Sprachrohr der Enttäuschten.
Und deren Zahl wuchs. Die Krise von 1994 stand vor der Tür. Die 5jährige Existenzgründerschonfrist lief ab. Die Pleitewelle der Existenzgründer von 1990/91 kam ins Rollen. Damit weitere Verunsicherung, ob es den eigenen Arbeitsplatz morgen noch geben würde. Das Heer der Verlierer nahm zu.
Unfähig zu Selbstkritik und ohne jedes Aufbaukonzept für den Osten prügelte die Politik lediglich auf die PDS ein und meinte, damit ein brauchbares Ventil für Ossifrust gefunden zu haben. Aber der Wind hatte sich gedreht. Die nassforschen Wendesprüche der Mehrheitsparteien zogen immer weniger. Eierwurf auf Kohl und Weizsäcker!
„Unten in der Kanalisation, da üben schon wieder die Ratten Karate!“ (Gundermann)
Für die Konzerte stellte er eine eigene Band zusammen und gab ihr den damals provokanten Namen “Seilschaft“. Nebenbei half er nach wie vor bei Silly in der Textschmiede aus.
1993 stand dann das „Hurensöhne“-Album in den Läden und – – – enttäuschte.
Hassbecker bezeichnete es als das härteste Silly-Album. Kann man so sehen, wenn man schafft, die textliche Schwächelei zu verdrängen. Die Gitarrenparts klingen Steve Vai-, Satriani-like. Aber das Album hat keine Grundatmosphäre wie seine Vorgänger. Es ist eine ruppige Songsammlung.
Es gibt musikalische Perlen wie „bye, bye“ „Traumpaar“, „Hass(becker)“, „Neider“.
Besonders letztgenannter Track ist das Highlight der Platte. Da flackert die alte Meisterschaft auf!
Aber die Platte will zuviel belehren und zerfranst zwischen
Wiedervereinigungsschelte(Halloween) – klischeehaftem Antidrogensong (Rot wie Mohn) – Ökologischem Verantwortungsappell(Fliegender Fisch) – Kapitalismuskritik inclusive Selbstermutigung (Diebe, hinten vorn, Loch im Kopp, Kriminelle Energie) – Sehnsucht nach der nächsten Revolte(weit bis Nachhaus) und Schlagerschnulz(Hurensöhne, High Heels)
Teilweise sind die Texte von Tamara Danz selbst, wie auch schon auf der allerersten „Familie Silly“ LP. Tamara Danz kann schreiben. Besonders „Traumpaar“ und „bye, bye“ überzeugen.
Aber ihr passieren auch Texte wie „High heels“ und „Hurensöhne“. Wo soll Silly in Zukunft hin? Neben Bap und Stoppok oder neben Howard Carpendale und Rosenstolz?
Auch zwischen Auftreten und Aussage liegt nun eine Kluft.
Provokante Texte und exotisches Auftreten bildeten vor’89 eine perfekte Einheit.
In den nun angebrochenen Nachwendezeiten passen die neuen entsagungsvollen Inhalte erstaunlich schlecht zum durchgestylten Habitus: Die Band tritt auf wie das fleischgewordene Klischee von Megastars: wasserstoffgebleichte Mähnen, lange Mäntel, bling-bling an jedem unbedeckten Körperteil, dazu der Prunk der Instrumente – alles das scheint zu schreien:
Wir haben’s geschafft! Wir sind Millionäre!
Und dann singen sie „…seit ich nicht mehr mitlaufen will/brauch ich keine Schuhe mehr.“ Das kann bei Gundermann im Konzert funktionieren, weil es zu dem Typen passt. Und dort kommt so was in angemessenem Independent Schrammelrock herüber.
Aber die, die es hier aufführen, kleiden derartige Texte in Bombast und sehen eher aus wie Bülent Ceylan, wenn er die Millionärsgattin Anneliese spielt.
Und somit funktioniert’s halt nicht.
3. „Asyl im Paradies“ (Der 2. Versuch des Fußfassens)
Ein paar Jahre weiter, hat sich die Lage der Ostrocker allgemein verbessert. Vor allem die Sender im Süden der Ehemaligen haben eingelenkt. Radio Rockland in Sachsen-Anhalt sei Dank, die den Stein ins Rollen brachten…
1995 berappeln sich Silly erneut: Die „Paradies“ wird eingespielt. Nur ein paar letzte Mixe sind noch nötig, als Tamara zum Arzt geht… Krebs.
Im Frühjahr 1996 erscheint das Album. Eigentlich ist es deutlich besser als der Vorgänger.
Mit „Asyl im Paradies“, „wo bist du?“, „Instandbesetzt“, „Flut“ und „Vollmond“ enthält es 5 sehr gelungene Songs. Gänsehaut – wenn man bedenkt, wie es beim Aufnahmetermin bereits um die Sängerin gestanden haben muss. Erinnerungen an Freddy Mercurys Ende werden wach.
(Kompositorisch misslungen ist „Hut ab!“, schade um den Text. Skip. „Downtown“ käut thematisch wieder, was auf Bataillon d’amour schon besser abgehandelt wurde. Skip. Der Rest ist „ganz okayer Durchschnitt“.)
Wenn bloß der Song „Köter“ nicht wär‘. Ist das ein harmloses Liebesfrustabladeliedchen? Kann man so sehen. Aber: Als ich damals im Laden in die CD reinhörte, brach ich das Reinhören schon bei diesem Song ab und verzichtete auf die Anschaffung, denn:
Zeitgleich mit Tamaras Diagnose wurde die IM-Tätigkeit von Gundermann bekannt. Eine Doppelkatastrophe für das Silly-Gebäude. Aber die Art des Umgangs mit dem IM-Fakt ließ mich an Vernunft und Fairness zweifeln. Von Gundi war durch den Hype zuvor allerhand Biografisches bekannt. Er war ein verpeilter Idealist, ein notorischer Traumtänzer und Weltverbesserer und er erfüllte alle, einfach alle DDR-Klischees: Singender Baggerfahrer, davor Offiziersschüler, der geschasst wird, trotzdem in der Partei bleibt, ausgeschlossen und wieder aufgenommen wird … ein livehaftiger Gatt(Neutsch) oder Stanislaus Büdner(Strittmatter), ein Hannes Balla (aus „Spur der Steine“/Neutsch) – outfitmäßig „letzter Kunde“ – da fehlte bloß noch der IM. Er hatte Petzberichte geschrieben. Enttäuschte, eingeschnappte Kollegen aus der Tagebauzeit machten sich Luft; Schädigungen kamen jedoch keine ans Licht.
Die Petzerei lag Jahre zurück, dann erfolgte die lange Phase seiner couragierten Dichtkunst. (Ein anerkennenswerter Ausgleich früherer Verirrung, in meinen Augen.) Er rettete Sillys „Februar“-Projekt. Seine erfolgreichen ersten beiden Nachwende-CDs spülten harte Währung in die Silly-Kasse – und dann spucken sie ihm den Köter-Song vor die Füße?! Peinlich.
In jeder privilegierten Band musste einer mit der Stasi reden. Nach und nach wurden die Fälle bekannt. Nur bei Silly nicht. Tamara „konnte verblüffend gut“ mit dem Büttner von Amiga, bei dem andere Künstler auf Granit bissen, heißt es in Alexander Osangs „Tamara“-Biografie. Ist das schon die ganze Wahrheit? Sind Silly die einzige Band, die nie im Glashaus saß und deshalb mit Steinen werfen darf?
Zeit zur Klärung des Verhältnisses Gundi-Danz blieb nicht.
Am 22.06.1996 stirbt Tamara. Sie wurde 42 Jahre alt. Zwei Jahre später Gundi mit 43.
Silly hinterlassen zu diesem Zeitpunkt 5 Vorwendealben, 2 Nachwendealben.
Die Vorwendealben sind die stärkeren.
Soundtrack eines Jahrzehnts.
Zeitlose Zeitzeichen.
Historisch wertvoll.
Die Wiederbelebung der Band mit Anna Loos 2010 war mutig und wie sich zeigen sollte – falsch. Auf „Alles rot“ überzeugte wenigstens noch der Title-Track, der Rest – Karma hin oder her – hört sich an, wie der übrig gebliebene Ramsch, den seinerzeit eventuell schon Tamara verworfen haben könnte. Die Nachfolge-Platten fuhren Umsatzerfolge ein in der Unverbindlichkeitsliga eines Maffay oder der Puhdys.
©Bludgeon
Oh, neue Erkenntnis! „Köter“ war auf Gundermann bezogen? Das lässt das Lied nun in einem anderen Licht scheinen.
Und von wem stammt die Aussage in dem oben erwähnten Radiointerview? Verrätst Du es uns?
Vielen Dank für diese Serie!
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Naja, es war MEIN erster Einfall, als ich es damals hörte – denn die Wogen schlugen grade hoch, dass der große Barde der ostdeutschen Seele nun doch „Dreck am Stecken“ haben sollte und dass sich Silly und Seilschaft nach Veröffentlichung der gemeinsamen Konzert DVD unsanft getrennt haben sollen.
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