In memoriam Pawel Kortschagin
(Silly-Saga III)
Die nächste Silly-LP: Würde der Hattrick gelingen? Aller guten Dinge sinder dreie? Aber was hat das diesmal alles zu bedeuten?
Bataillon d’amour? Wofür steht das?
Manhattan Transfer: Chanson d’amour – ra-tata-tata….
Waggershausen: Wir sind’n klarer Fall von touché d’amour…
Sind das die richtigen Assoziationen?
So oder so ähnlich muss es vielen gegangen sein, die diese Platte erwarben. Damals.1987.
Es handelt sich um das erfolgreichste und missverstandenste Silly-Album.
Zugegeben: Schwierig, ein zweites Stagnationsalbum zu erschaffen, wenn sich doch seit dem letzten Album die Zustände nicht verändert haben.
„Der alte Fritz von Preußen reitet auf der Stelle los.“, Stillstand galt noch immer.
Der Umgang mit Silly in den öffentlichen Medien trieb jedoch neue Blüten: Ostsender und Zeitschriften gaben preis, dass ein gewisser Micky Meuser (BRD) mit Hand angelegt hat, das Album zu mischen, ja dass zumindest die Bänder zeitweilig in Berlin(West) im Preußen-Tonstudio zur Kur gewesen sind. Reichten unsere Amiga- oder die Rundfunkstudios nicht mehr? Pankow und City hatten fast zeitgleich ernstzunehmende Konkurrenzplatten ohne Weststudio hinbekommen. Was wie „Weltniveau erreicht“ klingen sollte, ging bei mir jedenfalls nach hinten los. Wer so viel erlaubt bekommt, musste Zugeständnisse machen, oder?
Und was bitte soll dieses „kein geringerer als…“ Jim Rakete schoss die Coverfotos. Woher sollte man den denn als Ossi kennen dürfen? Vom Nina-Hagen-Band-Cover etwa oder von Interzone? Ach so, nee, da gab es ja noch Nena und Spliff. Na herzlichen Glückwunsch, toi-toi-toi…
Damit schien die Band nun absolut arriviert.
Als das Album erschien, mochte ich es nicht.
- fehlten mir die sofort ersichtlichen Sensationen, die die beiden Vorgänger auszeichneten.
- Pankow mit der LP „Keine Stars“ und City mit „Casablanca“ verdrängten die „Bataillon d’amour“ schnell und dauerhaft von meinem Plattenteller.
- begann via Jugendradio DT64 der DDR eigene Underground bekannt zu werden: die Skeptiker, WK13, die anderen, Sandow … viel böser und unverblümter als die „Staatsrocker“,
aber am schwerwiegendsten schien
- Plötzlich mochten ALLE Silly; jeder Depp schwärmte von der „Bataillon d’amour“; die LP fand sich in Wohnzimmer-Schrankwänden zwischen Karel Gott und Frank Schöbel! – Ja, jetzt wo der Westen Interesse zeigte – da wurde die Silly-Platte im Osten für viele so etwas wie Ersatz-Mugge für unerreichbare Modern Talking!
Anna Loos bekennt heute in so ziemlich jedem Interview, dass sie damals 15jährig ihre erste Silly-LP kaufte und seither Fan war. Was mag sie damals aus den Texten herausgelesen haben? 15jährig, weiblich, blond?
Bataillon d’amour: Knutschen im nächtlichen Treppenhaus;
Josef und Maria: grabschen in der Bar,
Schlohweißer Tag: Ödnis nach der Liebesnacht;
EKG: der überaus notwendige Song zur Reihenuntersuchung?
So vielleicht?
Die B-Seite machte gleich vollends einen zusammengeschusterten Eindruck:
Der Panther im Sprung rockt ja noch ganz gut los, aber sonst?
Mitten auf der Seite heißt ein Song „PS“, müsste der nicht ans Ende, wie es sich gehört?
Welche Funktion hat die abschließende Instrumentalversion des Titelstücks außer Zeit zu schinden?
Inzwischen jedoch fiel die Frucht der Erkenntnis:
Heute sage ich: Die Bataillon d’amour ist vielleicht sogar die böseste, nihilistischste Platte unter den Karma-Alben, denn:
Wie oben bereits erläutert gab es jene Delikat-Ex & Intershop-Haltung, die auswucherte, bei denen, die es sich leisten konnten und zu so einer Art „Möchtegern-Wessi-Haltung“ am Abendbrottisch führte: „Ist das hier Zonenwurst oder ist die aus dem richtigen Deutschland?“
Bei denen, die sich die überteuerten Waren nicht oder nicht regelmäßig leisten konnten, wuchs ebenfalls der Frust auf den angeblich andauernden „Sieg des Sozialismus“, der inzwischen auch in Mecklenburg gern sächsisch ausgesprochen wurde: Der Sozialismus siecht und siecht…
„Zone, Scheißosten, im Westen wär’das nicht passiert“ – war alltäglicher Tonfall.
Inzwischen kannte auch so ziemlich jede Familie jemanden, der Ausreiseantrag gestellt hatte.
Die Funktionäre wurden zunehmend kleinlauter, lobten Gorby, um in der Masse noch einigermaßen Anklang finden zu können, zuckten aber mutlos mit den Schultern, wenn man sie fragte, wo denn der Reformkurs bliebe…
Klammheimlich verschwand ein Standartwerk der Pflichtliteratur aus dem Unterricht:
Nikolaj Ostrowskis „Wie der Stahl gehärtet wurde“ mit dem Haupthelden Pawel Kortschagin.
Jener Kortschagin wurde jahrzehntelang den 8.Klässlern als Musterbeispiel des „neuen Menschen“ angepriesen, der in den Revolutionswirren kämpft und leidet, an den schwierigsten und armseligsten Baustellen des Sozialismus schuftet, Hungerjahre und Typhus erträgt und als blinder Invalide im Krankenbett mittels einer Gitterschablone, die er ertasten kann, noch sein erfülltet Leben schildert. Das ganze gab’s auch als Film.
Warum nicht mehr in den späten 80ern?
An der allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit hielt man doch fest bis’89?!
Zweifel an der Machbarkeit hatte es vereinzelt schon vorher gegeben:
„feiern den Sieg der Revolution/die Amputierten auf der Station/…draußen spazieren sie lang/die neue Menschin – der neue Mensch/der sieht aus – wie er war!/außen und unterm Haar: WIE ER WAAAAAR!“ (Demmler/Renft; Nach der Schlacht; 1974)
Silly widmen diesem Thema die gesamte LP!
Wo sind alle Ideale von besserer Gesellschaft, Humanismus, Fairness hin?
Warum wuchern Egoismus und Frust so ungebremst aus?
WAS IST NOCH REFORMIERBAR?
Bataillon d’amour: Das ist KEIN Liebeslied! Das ist ein Euphemismus für den Front-(Stadt)-Puff! Du kommst mitternächtlicherweile nach Hause und siehst die kleine Tochter der Mitmieter da herumknutschen, „…sie ist kaum 13 Jahr und hat schon Nacht im Haar…“, also Untergang vorgegeben, Verwahrlosungsansatz, zu früh zum Freiwild geworden. Wer mag die Mutter sein? Die mit den schlaffen Titten, die selber laufend auf der Walz ist und die auf der „Liebeswalzer“ als „so ne kleine Frau“ besungen wurde? Also übt hier der Nachwuchs der „wilden Mathilde“ von der „Mont Klamott“?
Josef &Maria: Alter geiler Bock macht aufgedonnerte Mieze an der Bar an und blitzt ab; Normalzustand in den Tages- und Hotelbars in Berlin Mitte oder in Leipzig während der Messe …einsamer Geschäftsreisender sucht…. Abenteuerlustige Studentin machts für…
Nee, nicht für jenen dummen Josef. Der darf höchstens später das „unbefleckt Empfangene“ aufpäppeln… so einen lässt man erst ganz zum Schluss ran. Noch wartet man auf den „Panther im Sprung“.
Schlohweißer Tag: Auch kein Liebeslied „schau dich doch an/ das schleckt und schleckt sich die Pfunde ran“; alles ist zu leerem Ritual verkommen, nichts geht mehr…
EKG: apropos nichts geht mehr: wozu zu den Reihenuntersuchungen gehen, wenn bei immer mehr festgestellten Defekten nicht mehr geholfen werden kann (medizinischen Fortschritt gibt es keinen mehr – Dialyseplätze? Spendernieren? MRT-Geräte? Herz-Lungen-Maschinen…)
Ärztliche Hinweise auf maßvolleres Leben? Wofür denn? Für noch mehr schlohweiße Tage?
Dein Cabaret ist tot: Ein Cäbäräy wie im Liza Minelli Film? Kurz vor dem bösen Ende? Oder ein Kabarett? Was ist gemeint? Wessen Veranstaltungen sind mittlerweile so sinnentleert, dass man „keine Büttel mehr schicken muss, die das Gestühl zerschlagen? Wem wurde da der letzte Clown vom Zirkus abgeworben?“ Der neu eingeweihte Friedrichstadtpalast mit seinen protzig schönen kostspieligen, aber altmodischen Revuen könnte passen. Oder der Kessel Buntes, der in den 70ern noch gepfefferte Kabaretteinlagen kannte. Anfangs die 3 Dialektiker, dann nur ab und an eine Gastmoderation mit Pfiff, sorgte ein Vorfall Anfang der 80er für dauerhafte Kesselentschärfung: O.F. Weidling als Moderator in der Live-Übertragung noch vorhanden, wurde aus der Sendungswiederholung herausgeschnitten, weil er Missstände gar zu deutlich vor geladenen Funktionären der 1. Reihe angesprochen hatte. Was blieb, war eine Nummern-Revue („Aber lass mich trotzdem rein“) ohne Nachfrageproblem. Und die Gitarre weint herzzerreißend fein am Schluss und macht das Lied zum besten Song der Platte.
Panther im Sprung: Der Tanz auf dem Vulkan in der nächsten Umdrehung: Vorhin noch ist „Joseph“ abgeblitzt, aber nun hat’s einer geschafft „sie“ rumzukriegen. Sah er gut aus oder hatte er nur die besseren Mitbringsel dabei? „…und sein Drink ist pink/wie mein Haarshampoo/ und es schäumt auch soooo!“ War’s am Ende nur die alkoholische Vorbereitung, die den Tagesschein-Wessi im One-Night-Stand zum Stoß kommen ließ?
Ballhaus-Ballett: Gleich der Nachschlag zum angeblichen Weltniveau: „…hinter Blazern aus englischem Tuch/pulst das Wellfleisch satter Erwartung/vor dem kommenden Gottesfluch“ einmal mehr Devisen zahlende Gäste auf der Suche nach Beute fürs Bett. Dazwischen tanzt „black&white new wave noblesse“ die Schickie-Mickie-Szene der Hauptstadt, Messerformschnitt, Schulterpolster, Strohhut oder Schiebermütze, schmaler Schlips – die sich aufgewertet fühlt zwischen all den weltgewandten Besuchern, denen man mal später für 5 Mark(West) ein Taxi ordern darf.
„..and fashons its! Putten on the Ritz!“ Tacos One-Hit-Wonder klingt im Mittelteil kurz an.
Dann das Post Scriptum: Was muss da an Auseinandersetzungen zu Hause abgelaufen sein, wenn Tamara in dem kurzen stillen Liedchen Mutter und Vater um Verständnis bittet, sie sei doch kein abtrünniges Familienmitglied, sondern „bin wie du geworden…. Bin zu jung um schwach zu sein/ zu blind um aufzugeben.“
Vielleicht hörte sich die Vorgeschichte von PS ja so an:
„Kind! Wie du rumläufst! Wie du redest! Aus dir spricht der Klassenfeind! Warum machst du mit deiner Mischpoke unsere Sache so herunter?“
„Papa! Wir bringen in unseren Songs die Wahrheit ans Licht, die nicht in der Zeitung steht. Wir hoffen noch auf Reform! Du hast auch Parteistrafen hingenommen, statt zu kuschen, ich bin wie du.“
PS….Schlusswort….aber auch: Pferdestärke…
Danach folgt „jeder“: DIE Abgehnummer der Platte („jeder ist wie jeder ist“) Fazit: Also macht halt jeder, was er will. Ein Schrei nach Freiheit? Ich halte mich da eher an Tamaras Gesangsstil bei diesem Song: So scheiße kann Individualismus klingen! Denn wenn jeder das macht, was er will, dann kommt das raus, was die vorangestellten Songs beschreiben.
Kleinen Mannes Sonnenschein ist ficken und besoffen sein.
Adieu Pawel Kortschagin. Hast umsonst geschossen und gebuddelt.
Willkommen im Etappen-Puff Ostberlin, wo sich die Frontkämpfer der Marktwirtschaft und die des nicht mehr wahrnehmbaren Klassenkampfes, all ihre Alltagstraumata abrammeln können, denn da wartet immer irgendwo eine Mit20igerin auf ne neue Westjeans oder’n 6er Pack 8×4 – oder am Ende gar auf einen Platz im Kofferraum.
….wortlose Reprise des Bataillon d’amour-Themas … das Treppenhaus ist leer…und aus.
(Nachtrag zu den Coverfotos: Jim Rakete scheint mir hier sehr clever Parallelen gesetzt zu haben: Da ist zum einen jener bedenkenswerte Rote Strich (oder die rote Linie, die es NICHT zu überschreiten gilt?) Das Tamara-Portrait in Gänze auf der Frontseite erinnert an Heiner Pudelkos Portrait auf dem Interzone-Debut und damit an eine weitere seeeehr böse (west)berliner Platte, die Rückseite erzeugt in der Kontrastierung Untergangsstimmung – Götterdämmerung.)
©Bludgeon