Fehler im System VII

Ein Liebeswalzer in den Kohlegruben der Stagnation

1984: Die neue Silly-LP „Auf unbefahr’nen Gleisen“ und eine gleichnamige Tour waren angekündigt. Plakate hingen bereits – blaugrau, in seltsamer Wasserleichenoptik.

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Eine Tour nach einer LP zu benennen war ein weiteres Zeichen für heimliche Verwestlichung. Die Dauertourneen der Ostrockbands hatten bisher keine Namen.

„Die Ferne“ lief im Radio und gab einen Vorgeschmack auf das Album, was die Hoffnung auf ein weiteres großes Werk nährte. „Die Ferne ist wo ich nicht bin/ ich geh und geh und /komm nicht hin…“ Erklärung überflüssig. Nur Verwunderung, wie das die Zensur hatte passieren können. Warum durften Silly scheinbar alles?

Andere Bands bekamen für weniger brisante Ideen Schwierigkeiten und gaben genervt auf:

 

– Hansi Biebl stellte Ausreiseantrag nach 2 erfolgreichen LPs und im Streit um eine Dritte,

– Hans-Jürgen Neumann (ehemaliger Karat-Sänger) hatte mit Neumis Rockzirkus absolut unpolitische Showerfolge feiern können und gab nach der 1.LP ebenfalls per Ausreiseantragstellung auf,

– die Hardrock Band „Magdeburg“(ehemals „Klosterbrüder“, was zwar nicht englisch aber zu „religiös“ war und deshalb zur Umbenennungsnötigung führte) hatte die Dauergängelei satt und stellte einen kollektiven Ausreiseantrag,

– Karussell fuhren zu sechst auf Westtournee und kamen nur zu viert zurück,

– Ute Freudenberg und Elefant „vergaßen“ ihre Sängerin in Hamburg,

– Bayern 3 meldete, dass ein neuer Songwriter namens Holger Biege für seine 1. LP (im Westen) einen Kritikerpreis erhält – der war vorher mit 2 sehr erfolgreichen LPs der Elton John(Ost) und hatte mit seinem Wunsch nach Genehmigung eines Doppelalbums bei Amiga auf Granit gebissen. Nun war der also auch fort.

 

Und Silly eilen von Rekord zu Rekord?

Sollten sie Aushängeschild einer problembewussten, „modernen“ DDR sein?

Seht her, wir lassen auch was zu! Glasnost brauchen wir nicht!

Jedenfalls wurden für sie Vinyl- und Pappe-Ressourcen reserviert, die andere nicht bekamen.

 

Was damals niemand erfuhr: Der Schallplattenindustrie fehlte Vinyl, die Lektorate mussten Ablehnungsgründe für LP-Konzepte erfinden.

Eine Wirtschaftsrevision 1981 in der Sowjetunion hatte an den Tag gebracht, wie es um die tatsächliche Wirtschaftlage der Supermacht stand. Jahrzehntelange Schönfärberei war aufgeflogen. Verzweifelter Rettungsversuch: Den Bruderländern wurde der Ölhahn halb zugedreht. Sie fuhren von nun an auf Verschleiß.

Weniger Öl bedeutete mehr Kohlebergbau: Die Niederlausitz und die Gegend um Espenhain, südöstlich von Leipzig zahlten den Preis: Abraumhalden, Dauersmog, Asthma, Hautekzeme.

Die traditionellen Chemiestandorte Leuna und Wolfen verrotteten bei laufendem Betrieb.

Noch aber winkten Honecker & Co von den Ehrentribünen, so als sei alles in Ordnung.

 

Ein Witz aus jener Zeit: Was bedeutet SED?

Das ist das Wirtschaftskonzept der DDR: Shop, Exquisit, Delikat.

 

Intershops, in denen man für Westwährung Westwaren bekam,

Exquisit-Boutiquen, wo man zu kräftigen Aufpreisen, aber in Ostwährung Klamotten kaufen konnte die (fast) westlich aussahen,

Delikatläden – wo es ebenfalls für kräftigen Aufpreis Westfressalien und –spirituosen gab.

 

Damit griff die DDR den Geldmengenüberschuss trotz zunehmender Versorgungslücken ab und Otto Durchschnitt hatte die Chance, sich ein bisschen Westglanz in die schwammige Altbauhütte oder in den zugigen Plattenbau zu holen.

Die verbliebenen Ostrocker lieferten den Soundtrack zum Sambalita-Trunk für die, die nicht 120 Ostmark pro Westplatte opfern wollten oder konnten. Westlich beeinflusste Musik, sehr stylische Outfits – das boten auch Puhdys und Karat. Spandexhosen und Haarspray hatten ihren Weg über die Mauer gefunden. Diese Bands blieben jedoch brav und bieder. Musik aus dem HO-Regal sozusagen, wie die preiswerten Weinsorten Rosenthaler Kadarka, Cabernet und Bärenblut. Silly hatten den textlichen Pfeffer zu bieten, sie waren Mugge aus dem Delikat. Gewissermaßen der Cotnari oder Murfatlar.

Das Orwelljahr ging hin. Der Nachfolger des „Mont Klamott“ ließ auf sich warten. 1984 erschien er nicht.

Die Platte, die 1985 dann in den Läden stand, hatte ein ganz anderes Coverfoto, als das bereits an Litfaßsäulen und in Bahnhofshallen klebende. (Lediglich die nekrophil ausgeblichene Färbung war geblieben.) Und sie hieß auch nicht „Auf unbefahr’nen Gleisen“, sondern irgendwie einfallslos „Liebeswalzer“. Das hört sich nicht gerade nach Sensation an. Immerhin – „die Ferne“ war tatsächlich drauf.

Track 1 blieb mir lange ein unverständlicher Brocken. „Psycho“. Irgendwie absichtsvoll auffällig in Anführungszeichen, wie Bowies „Heroes“. Klar kennt man Hitchcocks Film. Am Schluss wird auch auf ihn verwiesen. Aber das ständig wiederholte „Tausend Augen“ , „tausend Männer, die zu Kreuze kriechen“ – macht irgendwie keinen Sinn im Zusammenhang mit jenem Mutterleichenkonservator, denn der war ja immer allein.

Berliner Frühling. Anfangs auch kein Bringer. Eben eine Momentaufnahme aus dem Großstadtleben.

„Gullies werden leer gemacht vom Geröll der Winterschlacht.“ Augenzwinkern auf den immer noch martialischen Frontberichterstatter-Ton der Zeitungen trotz zu meldender Nichtigkeiten: Erntekapitäne, Ernteschlacht, Kapitäne der Streufahrzeuge, Kommandeur der Winterdienstflottilie, Helden der Arbeit usw. Das fiel einem ja schon gar nicht mehr auf.

Am Schluss die Zeile: „Und der Alte Fritz von Preußen reitet auf der Stelle los.“ Schon besser. Wohin? Auf der Stelle! Stillstand überall. Statt Weiterentwicklung Entstaubung von bis eben verfemten historischen Persönlichkeiten: Friedrich der Große, Martin Luther, Karl May…

Dann die Ferne; wunderbar klar in der Aussage: festgetackert in der größten DDR der Welt lugst du in die Ferne „mit deinem Doppelglas“. Kann ein Fernglas sein. Muss aber nicht. TV-Bildröhren hatten ebenfalls zweierlei Glaswände.

Dann die alten Männer.(…tanzen nicht mehr, mit müden Augen sehen sie her…) Karma prägt hier den Ausdruck für Politbüro, der volkstümlich werden sollte. Man kann den Song auch ganz harmlos auffassen, als geschmäcklerischen Generationskonflikt. Pankow werden ihn anfang’89 in ihrem Song „Langeweile“ drastischer wieder verwenden: „…zu lange die alten Männer verehrt“.

„Am Sonntag latschen wir zu zweit/die grünen Trampelpfade breit…“; was sich liest und anhört, wie ein verspäteter NDW Song, bringt am Schluss der ehemaligen A-Seite die ärmliche Alternative zum Vorschein, die dir bleibt, mit dem Stillstand klarzukommen. Das Idyll in der Nische.

Die Band 1985

Die Band 1985

Seite 2 kommt mächtig sexuell aufgeladen daher.

Liebeswalzer: „Ich bin so schwer von der Liebe/ich lass nie mehr von der Liebe…“ ist jetzt noch keine Sensation an sich. Wenn du aber das Video dazu siehst, mit der von hinten angeleuchteten Tamara, so ganz allein im Grau und an das Heroes-Video von David Bowie denkst…. Weiste Bescheid, Schätzelein! Und erinnerst dich vielleicht an „Schüsse reißen die Luft, doch wir küssen als ob nichts geschieht.“

Nester der Nacht! Tamara wieder ganz Marktweib „Deine kosmetische Kanüle dringt mir zwischen die Gefühle“ und als ob das nicht schon reicht geradezu überschnappend „…und holt mich heim-heim-heim in unser Reich!“ Ä-hm. Woher stammt nun dieser Wortschatz? Der Song heißt Nester der Nacht! Sensäjschänälll!

So’ne kleine Frau „… hat schon Kinder dreie und immer noch kein Glück….vom Zigaretten holen kam kaum ein Kerl zurück …“ Aber Kopf hoch. Frustriert sein gibt’s nicht. Weiterprobieren. Die wilde Mathilde von einst musste lernen, Konsequenzen zu tragen.

Das Thema wird im Titelsong der nächsten Platte und in „verlorne Kinder“ auf der „Februar“ noch zugespitzt. Zufall?

Abschließend aber kommt dann DER Sillysong überhaupt: Der große Träumer.

Man muss der Zensur richtig dankbar sein, denn ursprünglich hätte die Nummer einen ganz anderen Text haben sollen(siehe unten), weil aber geändert werden musste, kam hier keine schnelle Notlösung, sondern ein treffendes Zeitzeichen für die Stagnationsepoche heraus:

Der strauchelnde Weltverbesserer, der naive Berufseinsteiger, der ungeduldig die Perestroika Herbeisehnende – frisch gemaßregelt, wiedermal nicht zum Zuge gekommen mit gut gemeinten Vernunftargumenten – findet Trost in den Armen von Freundin oder Frau und tankt neue Kraft:

„Na du großer Träumer….hat dich die Meute wieder geschafft?…Wen hat dein lautes Lächeln gestört?… Machs an mir…ich verdau’s…solange ich weiß, für wen ich es mach. Geh! Großer Träumer geh!…wenn du meinst, dass deine Sehnsucht dich wieder trägt.“

Hier nun ist es an der Zeit vom Sound der Platte zu sprechen.

Hab ich die „Mont Klamott“ schon gelobt, ist aber auf diesem Nachfolgewerk absolut beeindruckend, wie viel Steigerungspotential da noch war. Einerseits ist vermutlich das Equipment ganz entscheidend aufgestockt worden. Die Arrangements strotzen nur so von eingebauten Geräuschgimmicks: „Gullies werden leer gemacht…“(Blubb-blatsch); oder dieser Hanclapeffekt, den manche Musiker so stupide einsetzen, dass es sich anhört als würde der Sänger rhythmisch geohrfeigt, der hier nur zum Einsatz kommt, wo die Textohrfeige bemerkt werden soll: Watsch! Haste das mitgekriegt?

Andererseits hat sich eine weitere Umbesetzung ergeben: Michael Schafmeier ist „gegangen worden“. Wohl eher nicht so sehr deswegen, weil er ein schlechter Trommler gewesen wäre, sondern, weil er unglücklicherweise der Sänger des „letzten Kunden“ war und die nun ernsthafte Band, den Rest des alten Geikel-Images loswerden wollte. Für ihn war Herbert Junck gekommen, Trommler der Hansi Biebl Bluesband und seit kurzem ohne Job wegen… (siehe oben). Junck gehört neben Hille, Behm, und ein paar anderen zu den Superdrummern des Ostens und wird auf der Plattenhülle ganz zutreffend nicht mit dem Kürzel (dr), sondern (perc) benannt. Er zeigt, wie phantasievoll vielfältig man ein typisches 80er Jahre Rumms-Drum-Kit einsetzen kann. Man hört der Platte an, wie viel Liebe zum Detail allein ins Arrangement der Drumsounds eingeflossen ist. Ich kann mir vorstellen, wie Barton und Junck noch im Studio zusammengehockt haben, wenn alle anderen schon feiern gingen, um hier noch ein bisschen Tambourineffekt zusätzlich draufzuspielen, dort lieber wieder ein bisschen den Rumms reduzieren, hinter jenen Vers dafür noch’nen einzelnen Extrawumm, eine Strophe weiter doch nicht so strait durchkloppen, sondern „Break!“ und absichtlich verschleppen – damit die Chose wirken kann.

Viel Arbeit, die fast umsonst gewesen wäre, denn wer die Bonustracks der heutigen CD-Ausgabe zur Kenntnis nimmt, kann ermessen, das 1984 doch noch ein Silly-Verbot gedroht haben muss: Die „unbefahr’nen Gleise“ waren fertig eingespielt, sollten nun zur Endabnahme vor der Pressungserlaubnis und da war der Teufel los:

Track 1: hieß 1984 nicht Psycho und hatte keinen Hitchcockhinweis, sondern „Tausend Augen“ und Verse wie „tausend Augen hinter der Tapete….tausend Augen seh’n in meinen Pass…“, das war der Renftschen Ottoballade ebenbürtig – das ging ja gar nicht!

Einmal misstrauisch geworden ging auch Track 2 nicht: Unglücklicherweise der angekündigte Titelsong. Aber den Kontrollgewaltigen erschien die Metapher der unbefahr’nen Gleise nun als Hinweis auf die verunkrauteten Schienen im Todesstreifen zwischen den Mauern.

Danach die Ferne, naja, die war ja nun schon im Rundfunk gelaufen, die alten Männer, der Sonntagsong, der Liebeswalzer schienen nach dem gefährlichen Einstieg harmlos… aber dann wieder:

Track 9 „Nur ein Lied“ (wo meine Lieder leiden…leide auch ich…)! Das klang zu deutlich nach Bettina Wegner „Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen“ und das war auch ein Anti-Zensursong. Karma zum Rapport! Silly vor der Auflösung….

Aber noch so eine Renftlegende wollte man nicht erzeugen. Außerdem hatte man schon genug Rockprominenz auf der Ausreisewarteliste. Seit 1975 hatten auch die Funktionäre dazu gelernt: Schnellstens neue Texte für die 3 Songs her! Und dann raus mit der Platte und loben, loben, loben – je mehr Lob sie kriegt, umso weniger subversive Wirkung wird sie haben. Also „Platte des Jahres“ und ähnliche Preise her, damit alles wieder stimmt!

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Die „Liebeswalzer(zwischen unbefahrenen Gleisen)“ ist mir heute die liebste von Silly. Inclusive der ehemals verbotenen Stücke passt sie nach wie vor in die Zeit:

– die verblasste Covergestaltung als Ausdruck der Agonie,

– das Outfit der Musiker als oberflächliche Westtünche über den Unzulänglichkeiten des Ostens,

– der Sound, der dir die wortgewaltigen Wahrheiten um die Ohren prügelt

– und schließlich die Texte unverschliessen aktuell.

Assoziationsmöglichkeiten endlos – zumal in Ostdeutschland.

©Bludgeon

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2 Gedanken zu “Fehler im System VII

  1. Danke für die Beiträge zu Silly. Sie ist meine liebste Band aus der ehemaligen DDR, obwohl ich erst kurz vor Tamara Danz‘ Tod auf sie aufmerksam wurde. (SUPERillu war damals eine sehr angenehme Lektüre, auf die ich mich wöchentlich freute.) Ich habe mir dann aus der Bibliothek die Nach-Wende-Produktionen „Paradies“ und „Hurensöhne“ geliehen, gehört, gelesen und für gut befunden. Natürlich sind sie nicht mit den Vorgängeralben zu vergleichen. Mittlerweile habe ich alle Studioalben von Silly auf CDs – aber nicht die mit der Anna Loos!

    Ich höre gerade „Paradiesvögel“ in mir und frage mich, was wäre, wenn der Krebs Tamara Danz nicht zu früh aus dem Leben gerissen hätte…

    Gefällt 1 Person

    • Auf „Paradies“ und „Hurensöhne“ sind noch sehr schöne, aber auch ziemlich verunglückte Songs drauf.Selbst diese Band hatte eben arge Orientierungsprobleme ab 1990. Wohin mit sich, wenn die Gorby-Ideale plötzlich nicht mehr gehen? „Bye bye“ ist herrlich. Aber bei „Halloween in Ostberlin“ hätte Tamara mal lieber nicht „gesächselt“. Nichts ist schlimmer, als einen Dialekt zu immitieren, den man nicht kann. Und dann ist da noch das „Köter-Problem“ auf der Paradies. Aber das kommt noch.

      Gefällt 1 Person

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