Komm geh mit mir auf Reisen in dieses alte Legendenland. Wo die Orte komische Namen tragen, wie Ashgash, Sakamoe, und einst Leute in Tipis lebten, die den Bär und den Büffel jagten für Nahrung und für Hausung. Sie müssen sehr musikalisch gewesen sein, denn ihren Stämmen gaben sie Namen, die eine Melodie ergeben: Comanchen, Apachen, Delawaren, Cree, Pima, Oglala Dakota, Shawnee…
Die meisten von ihnen haben das Diesseits längst verlassen; wie lange es die anderen noch geben wird, weiß Gott. Aber selbst wenn sie alle hinüber sind, werden die Namen all der Ortschaften und Flüsse noch an sie erinnern.
Wir sollten ihnen dankbar sein, dass wir hier unser Glück suchen konnten, auch wenn die Hilfsmittel nicht die feinsten oder fairsten waren. Unsere Leute suchten das Glück mit ihren eigenen Mitteln, die sie mitbrachten von dort, wo sie herkamen.
Beginnen wir in Kentucky. In den Bergwerken da. Kohle suchen, Bergwerke gründen, angeheuert werden und Kohle schippen, Kohle schippen – wurde Schicksal für viele junge Burschen dort.
Vater war ein Bergmann, er ernährte die Familie. Tag ein Tag aus fuhr er ein und kam müde zurück. Dreckig-grau und abgekämpft. Als ich 17 war, sah er mich an und sprach:
„Du bist nun alt genug. Groß und grade gewachsen.“
Er gab mir die Schaufel.
„Von jetzt an bist du dran.“
Ich hatte keine Lust. Aber was blieb mir übrig? Kohle schippen, Kohle schippen. Wie alle um mich herum.
Wenn dir dieses Schicksal zuwider ist, dann geh mit mir auf Reisen. Etwas besseres findet sich überall. Lass uns nach was umsehen in den Great Plains am Fuße der Black Hills. Vielleicht versteckt sich da das Glück. Es gibt viele Goldsucher, Strauchdiebe und Glücksritter da.
„Meine Mähre ist alt und nicht mehr viel wert. Mein Sattel dagegen ist unversehrt. Ich schone sie beide, mich treibt nichts mehr um. Reite langsam, ganz langsam, ziellos herum. Muss mich nicht beeilen, das Ziel ist noch weit. Egal wann ich ankomm‘ ich hab ja Zeit.
Die Frau hamse mir erschossen, meine Töchter sind weg. Die eine in Denver, die andre – verreck…“
Wenn du seinem Lamento weiter lauschst, erfährst du noch, dass ihm so ziemlich alles egal geworden ist. Aber für den Tag des Sterbens hat er eine ausgefallene Idee: Man möge ihn in den Sattel setzen und festbinden. Das Pferd richte man nach Westen und gebe ihm einen Klaps. Es wird wie gewohnt lostrotten. Langsam ganz langsam. Aber es wird den Flecken Erde finden, wo sie beide hingehören. Das alte Pferd und er – der Slow Rider.
Nein, in den Plains ist es also auch nicht, was du suchst. Fahren wir eben nach Neuengland rauf. Dort wachsen die Bäume in den Himmel. Und die Menschen da sollen immer gut gelaunt sein.
Vater nahm mich mit in den Wald als ich 17 war. Sein Boss fragte mich, ob ich „Highclimber“ werden wolle. Ich hatte keine Ahnung, was das ist. Aber ich bekam eine Axt in einen Rucksack und lernte schnell. Immer die Bäume hoch und die Äste kappen, damit der Stamm später sauber fällt und nicht splittert. Tag ein, Tag aus. Viel zu wenig Pausen.
Versuchen wir es im Süden. Fahren wir nach Bogalusa/Louisiana hinunter. Da gibt es Gegenden, die sind so paradiesisch unberührt, wie am ersten Tag. Alligator und Schlange geben sich ein Stelldichein am Rande der Sümpfe, und die Mädels sind schwarzhaarige braune Schönheiten voller Kajun-Trotz.
Meine Dorraine traf ich auf dem See, dem Ponchartrain gegenüber von New Orleans. Wir ruderten wie zufällig an einander vorbei. Dann fasste ich mir eines Tages ein Herz und grüßte. Sie kicherte zurück. Wir alberten ein bisschen. Ich schenkte ihr so eine Schießbudenrose und sie steckte sie sich ans Kleid. Right upon the Heart, you know? Wir flachsten herum und knutschten schließlich von Boot zu Boot. Wären fast gekentert. War aber egal, denn nun wussten wir, dass wir uns lieben. Anderntags trafen wir uns wieder „reiiiin zufällig“ und alberten weiter. Ich fragte schließlich, ob sie mich für Geld heiraten würde – da schnappte sie ein. Sie ruderte los wie wild quer übern See und achtete nicht aufs Wetter. Ich ihr zuerst hinterher, aber die Wolkenwand hieß mich umkehren. Sauer war ich nun auch. Das Unwetter brach los, als ich das Ufer erreichte, aber was würde nun aus Dorraine werden? Würde sie das andere Ufer noch erreichen? Nach schlafloser Nacht ruderte ich am Morgen über die wieder beruhigte Wasserfläche – und ich fand – ihre Ruder. — und ein Weilchen später – die Schießbudenrose. Ich fischte sie aus dem Wasser. Sie ist das einzige, was blieb. Von ihr. Meiner Dorraine vom Ponchartrain.
Fahr mit mir nach Pine Ridge/Mississipi. Dort findest du immer Arbeit. Mies bezahlte zwar, aber Party am Samstag! Immer! Sieh dich vor, vor schlechtem Gras und leichten Mädchen. Die bringen Ärger. Ratzfatz hast du eine Kugel am Fuß und eine Schaufel in der Hand. Willkommen in der Chain-Gang. Nun schufte bis zum Umfallen für ein Verbrechen, an das du dich nicht einmal erinnern kannst.
Gibt es noch Wasser, Leroy? Gib mir noch Wasser!
No!
Ich bring die Norm nur mit Wasser, das ist nun einmal so!
Ich schufte hier alle Tage aber eines Tages komm ich heim.
Das wird der schönste der Tage und das wird in Memphis sein!
Ich geh nach Memphis! Nur Memphis!
Wenn du nun mit mir weiterfährst, zu irgendeiner dieser Landwirtschaftsmessen im Nirgendwo, dann triffst du immer auf Leute, die gut drauf sind, weil sie dem Alltag für diesmal ein Schnippchen schlugen. Endlich mal wieder unter Leuten! Der einsamen Ranch für einen Tag (oder zwei) entkommen.
Papa spannte die Pritsche an und nahm mich mit auf den Bock. Wir fuhren zur Messe und wie alle Kinder in meinem Alter nervte ich ihn: Isses noch weit? Wie weit denn noch? Sind wir bald da? Ich konnte es nicht erwarten, denn ich wusste, dass nach all den Meetings und Geschäften, am Abend dort immer Tanz war und Papa und ein paar andere bildeten die Band. Der alte Kaleb spielte Maultrommel, Joey Banjo und Papa die Dobro wie ein Gott! Wenn ich lang genug genervt hatte und Papa guter Laune war, drückte er mir die Zügel in die Hand, holte die Dobro unter dem Kutschbock hervor und sprach: Ich kann ja für heute Abend bissl Üben.
Yeah! Ich fühlte mich dermaßen groß auf diesen Fahrten zur Messe! Ich lenkte die Kutsche und Papa spielte Dobro wie ein Gott!
Zu einsam da? Weiter nach Diaz/Arkansas. Ins Baumwoll-Land. Die wächst hier echt gut. Baumwolle und Mais soweit das Auge reicht.
Papa hatte hier 1855 eine der größten Farmen und seine Sklaven waren gut erzogen. Arbeiteten ohne Aufseher. Papa war stolz auf seine Regel, die er ihnen eingeprügelt hatte: Bei Sonnenuntergang von den Feldern zurück sein und vor der Hütte sitzen. Er wusste, dass sie einen Heidenrespekt vor seiner Peitsche hatten, wenn sie nicht pünktlich waren. Eines abends aber fehlte der alte Moses. Dass er geflohen sein könnte, konnte sich niemand vorstellen. Also wurde ich losgeschickt um ihn zu suchen und zu bestrafen. Ich fand ihn am Feldrand. Ganz verträumt. Er sah der Sonne beim Versinken zu und lud mich ein, mich zu ihm zu setzen.
Ich fuhr ihn an: „Moses! Kennst du nicht die Sonnenuntergangsregel? Du weißt, was dich jetzt erwartet!“
Er aber wies wieder nur auf den Platz neben sich und sprach: “Jawoll, Boss Jack. Dunkel isses unser ganzes Leben lang. Und Prügel gibt es mal für dies und mal für das. Aber manchmal kommt ein Engel vorbei und schenkt dir einen Trost. Heute war einer bei mir. Ich schlief hier nach der Arbeit müde ein und da bekam ich diese Melodie.“ Er fing unvermittelt an zu singen und ich hörte an diesem Abend „Swing low sweet chariot!“ zum allerersten Mal. Dann sah er mich an und sprach: „Nun bin ich bereit für die Strafe.“ Aber der Moment da am Feldrand, das Lied, der Sonnenuntergang, diese Melodie – ich konnte ihn nicht schlagen.
„Gehen wir!“
Als ich später die Abendrunde zwischen den Hütten machte, hörte ich ihn singen. Aber er sang nicht „Swing low…“, er sang ein zweites neues Lied und es handelte von mir. Boss Jack war von nun an sein Held, der alte Sklaven nicht schlägt, sondern sie ganz sicher eines Tages frei lässt. Ich stand da draußen in der Nacht vor seiner Hütte, sah den Sonnenuntergang am Feldrand vor mir, und heulte.
Ein gefährliches Pflaster wie du siehst, also lass uns weiterfahren, rauf nach Idaho. Da waren wir noch nicht. Dort wohnt ein Haufen Iren, die von England rüber gespült wurden.
Wir hatten eine Kartoffelfarm bei Cork. Aber die Engländer machten uns das Leben unmöglich. Immer mehr Steuern, bis wir pleite waren. Die Familie bettelte eine Weile in Cork. Schließlich beschloss Vater die Überfahrt zu wagen. Die Eltern schufteten dann an der Ostküste, um die Überfahrt nachträglch bezahlen zu können und fürs Startkapital in Idaho. Hier leben viele von uns. Da hilft einer dem anderen. Aber keiner hat was zu verschenken. Jeder lebt hier von der Hand in den Mund. Abhängig vom Wetter, den Stürmen, den Bränden, den Indianern. Die gesamte Familie rackert auf der Farm und auf den Feldern. Von Jahr zu Jahr kommen wir besser klar. Geht aber nicht allen so. Der Tod ist immer mit am Tisch. Bevor du aber abkratzt, kommt noch Doc Brown vorbei und versucht dich mit seinen Wunderpillen zu heilen. Und manchmal schafft er es tatsächlich. Er hatte einen sehr guten Ruf. Er wusste viel. Und er sah nicht aufs Geld. Wenn du zu arm warst oder zu geizig, dann ritt er nach getaner Heilung einfach wieder weiter. Alle mochten ihn. Alle glaubten an seine Fähigkeiten. Dann starb er selber. Als sie ihn fanden und sein Haus durchsuchten, fanden sie ganze 50 Cent. Wie sollte nun Doc Brown unter die Erde gebracht werden? Wie ein Hobo – ohne alles? Ratlos standen sie an seiner Leiche. Da nahm einer den Hut von der Brust und hielt ihn dem Nachbarn hin. Der verstand und knüllte einen 5 Dollarschein hinein. Der Hut begann zu wandern. Er füllte sich wie von selbst. Jeder gab nun das, was er entbehren konnte – und am Ende des Tages reichte es für Sarg und Grabstein und Totenmesse – für ihren Doc Brown auf seiner letzten Fahrt.
Mit dieser Geschichte endete die Original LP „Ride this Train“ von Johnny Cash aus dem Jahre 1960.
Die 70th Birthday Edition der Platte hat noch 3 Songs mehr. Einer von den dreien passt wie ein missing track dazu: „Der Harfenweber“; aber das ist schon wieder eine Geschichte für sich.
PS: Wer hat nochmal gleich die Konzeptalben erfunden? Die Beatles 1967? Oder die Who(same time)? Small Faces? Beach Boys? Hahahahahahahahahah…. Vergiss es!
Und wieder etwas neues gelernt. Dachte bis heute, das Album „Epitaphios“ von Mikis Theodorakis (1964) wäre das erste Konzeptalbum gewesen… Das erwähnte Album kenne ich nicht, aber über Cash braucht man mit mir nicht zu reden – einer der grössten überhaupt. Jenseits allem, was über ihn geschrieben wurde (vor allem in der Zeit seit 1990) spüre ich seine Empathie für Aussenseiter in seinen Songs und seiner Stimme mehr als bei jedem anderen (Folk)-Musiker. Einmalige Aura. Gleichzeitig herausgefunden, was Country noch alles sein kann: Mitteilungen von Menschen, die wirklich was zu sagen hatten, die wirklich über das Leben sprechen konnten. Alles entdeckt vor wenigen Jahren, seitdem ewig eingebrannt.
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Wow! Was für ein Ostergeschenk und was ich noch alles erfahre über meine alte Liebe Johnny C. und wie es Progger schon so gut gesagt hat: …was Country noch alles sein kann… ich liebe es, was Du da grad veranstaltest, wie ein Fest … und wie Du die herbe und wahrhaftige Poesie des Johnny Cash mit Deiner verwebst und verdichtest, Mann, Mann, saugute Arbeit, kann ich da nur sagen! Und sobald ich mit Osterzopfbacken und Eierfärberei fertig bin, werd ich alles nochmal lesen und vor allem viel hören, freu mich auf alles, was noch kommt!!! Servus!
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