oder Pankow-Saga IV (Ende)
„Ich bin rumgerannt, einfach rumgerannt, zu viel rumgerannt und es ist doch nichts passiert!“
Die letzte Vorwende-LP von Pankow „Aufruhr in den Augen“ lag anfang 89 in den Läden. Ein Vierteljahr zuvor war mit „I.L.D.“ von Rockhaus, die letzte große Ostrocküberraschung, passiert. Niemand hatte ernsthaft mehr mit Rockhaus gerechnet. Die hatten 1983 ein typisches NDW-Debut erlaubt bekommen: „Bonbons und Schokolade“; das war Prima Klima oder UKW auf DDRisch. Dann wurden sie geschlossen zur NVA einberufen, aber bekamen zuvor 1984 schnelle-mache-fix ein zweites Album, nun mit Rap-Anleihen, bissl schielen nach Spandau Ballet und späten Stones genehmigt und verschwanden von der Bildfläche.

le choc
„I.L.D.“ war ein deftig-dreckiges „Die Zensur schläft“- Straßenköteralbum. Noch ahnte niemand den kommenden Hype um Guns’n’Roses, da waren Rockhaus was Outfit und Attitude betraf schon auf eben diesem Level!
„100 000 Weiber! Das macht Spaß!“
„Bleib cool bleib cool! Und fall nicht vom Stuhl! Lehn dich zurück und genieß dein Glück!“
Gemessen daran war Pankows „Aufruhr in den Augen“ höchstens noch lauwarmer Durchschnitt.
Textlich hatten Silly Pankow längst entthront; nun ging auch noch das Stones-Flair auf Rockhaus über.
Pankows letzter Clou war die Tournee mit der Big Band der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland durch eben dieses. Naja, die östliche Hälfte. Anfang’89. Ausgerechnet jetzt! Im November zuvor war der „Sputnik“ verboten worden. Die „Alten Männer“ von Wandlitz ruderten auf Abstand vom ungeliebten Kreml-Mutterschiff. Sie ahnten den Sog bevorstehenden Untergangs. Ach, könnte man doch nur -in dieser peinlichen Gorbatschow-Zeit- jenen alten 50er Jahre-Spruch „Von der Sowjetunion lernen – heißt siegen lernen!“ vergessen machen! Auf ausgerechnet den berief sich nun plötzlich alles, was vor ’85 nicht ums Verrecken mit Russen hätte zu tun haben wollen!
Nun rissen sich alle um russische Veröffentlichungen. Die Nachfrage nach dem „Sputnik“ war explodiert, seit dort Artikel zu lesen waren, wie „Die Wahrheit über Katyn“ oder die „geheime Seite des Hitler-Stalin-Paktes“; lauter „verbotenes“ Wissen, das vor 1985 den Tatbestand der „Antisowjethetze“ erfüllt hätte. In Moskau war die Zensur im Schwinden. Ostberlin in Zugzwang geraten. Als gar die „Rolle Wilhelm Piecks bei den stalinistischen Säuberungen im Hotel Lux von 1937“ thematisiert wurde, war’s aus. Das nunmehrige Dissidentenblatt wurde „von der Liste zu importierender Zeitschriften gestrichen“. Ab da lief der Countdown: Noch 12 Monate bis zum Mauerfall! Heute weiß niemand mehr mit dem Namen Wilhelm Pieck etwas anzufangen.

aufruhr
Zehn Songs bieten Pankow auf „Aufruhr in den Augen“. Drei starke, zwei halbe und fünf verzichtbare.
Die Platte beginnt mit dem zuvor bereits gesendeten Titelsong: Der geht zwar stramm-, aber bemüht los. Man hatte sich vom Westen die Mode abgesehen, ob notwendig oder nicht, Promiunterstützung dazu zunehmen: Bläsersektion, Backing-Choir inclusive der damals zurecht sehr gelobten Ines Paulke, und Slide-Guitar by Heiner Witte von Engerling. Lockere Flockigkeit kommt so aber nicht zustande!
Der Aufruhr-Song geht als „gut“ in Ordnung, danach folgt die erste Graupe in Gestalt eines (Anti-)NVA-Songs namens „Einsam“; ein NVA-Soldat nimmt hier „fuck yourself“ ein bissl zu wörtlich…
Bloß gut, dass gleich darauf mit „Langeweile“ der beste Song des Albums folgt.
»Dasselbe Land zu lange gesehn‘ / dieselbe Sprache zu lange gehört.
zu lange gewartet, zu lange gehofft / zu lange die alten Männer verehrt.“
Wobei die „Alten Männer“ vom Silly-Texter Werner Karma erfunden wurden für deren LP „Liebeswalzer“:
„Die alten Männer tanzen nicht mehr, mit müden Augen sehen sie her…“
Mit „Straßenlärm“ und „Marilyn“ folgen dann sechs Minuten Unerheblichkeit. Der eine hätte von jeder anderen Truppe stammen können und Marilyn ist nur ein „Doris“-Aufguss von der LP zuvor, der dem dortigen Text nichts mehr draufsetzen kann
Mit „gib mir’n Zeichen“ wird die sich bereits breitmachende Enttäuschung wieder etwas aufgefangen: Zwar ist es ein weiterer Ermutigungssong, wie im Ostrock bereits zahlreich vertreten, man denke nur an „Ermutigung“ von Renft, „Halte durch“ von Karussell, „Raus aus der Spur“ und „Großer Träumer“ von Silly, aber immerhin ein guter.
Dumm nur, dass man die bessere Hälfte der Platte damit schon hinter sich hat. Die B-Seite geht mit „Ich bin ich“ ähnlich los wie die A-Seite mit „Aufruhr“; dann folgen wiederum zwei Aussetzer, bevor es mit „Ich bin bei dir“ leiser und textlich besser wird; das abschließende „wieder auf der Straße“ ist ein Rohrkrepierer: Angelehnt an den frühen Marius Müller Westernhagen und Keks, die 1985 verbotene erste offizielle Punk Band. Bei denen hieß es:
Im Kreiskulturhaus ist heut viehisch was los, da spielt seitm Jahr ne Band
Ansonsten läuft hier nur Konservenmusik und Disco-Publikum. Die sind ganz chic!
Wir lassen uns nicht schocken! Wir wolln rollen und rocken!
Zuschnäääälll kriegt man uns nicht klein!
Wir hauen weiter in die Vollen rrrrein!
Und nun bei Pankow deutlich müder:
Diese Rock&Roll Höhle heißt Kulturhaus (…)
Auf dem Plakat steht – keine Stars.
Doch fünf nach sieben geht im Saal das Licht aus.
Und das Kribbeln im Bauch heißt
jetzt geht `s los.
Nee, die Platte war kein großer Wurf. Rockt zwar gut ab, aber fünfmal weghören auf ner Pankow LP? Das hatte es zuvor nicht gegeben!
Ich sah die Band zum zehnten und letzten Mal live im Sommer’89; open air am Haus Auensee in Leipzig. Am Bass Ingo Giese, ehemals Rockhaus, der Ersatzmann für Resniczek, der nun bei Silly zupfte. Herzberg widmete „Ich bin bei dir“ all denen „die hier noch was verändern wollen; ansonsten verabschieden wir uns von immer mehr Freunden, die ihr Leben heute genießen wollen und nicht in tausend Jahr’n erst, wenn die bessern Zeiten losgeh’n; und die dann plötzlich woanders wohnen, wo man so schnell nicht hinkommt.“ Also eigentlich an Frank Hille.
Sie tourten, sie inizierten die Resolution der Unterhaltungskünstler, die den Gorby-Kurs einforderte, als erstes Blut geflossen war, weil der Staat anlässlich seines 40. Geburtstages meinte, noch einmal die alten Methoden „gegen Rowdys“ anwenden zu können. Flux unterschrieben von allem was Rang und Namen hatte auf den Ostrockbühnen des Ländchens. Rückzieher wie weiland bei der Biermann-Resolution von Manfred Krug 1976 gab es’89 keine mehr. Als letzte Nationalpreise der DDR vergeben wurden, schämten sich die Prämierten. Gerhard Schöne stiftete das Preisgeld den Opfern der Auseinandersetzungen des 7.Oktobers am Palast der Republik. Der Staat knickte ein. Der 4.November wurde möglich. Eine Massen-Demo der Unzufriedenen auf dem Alex. Von Wiedervereinigung war noch nicht die Rede. Fünf Tage noch…
Als die Mauer fiel verabschiedete sich Andre Herzberg in eine Solokarriere, die ihn vorübergehend untergehen ließ. Als zweiter ging Giese. Vielversprechend zu den Sisters of Mercy, dann nach Amerika. Aber auch er wurde kein Weltstar, sondern schließlich Bassist der Ulla Meinecke Band. Als dritter ging Kirchmann. Ehle fand jedes Mal Ersatz. Zwei LPs erschienen in Übergangsbesetzung. Weder gut noch schlecht. Die Konstante war die Keith Richard Guitar in Ehles Händen. Die Texte waren der Schwachpunkt. Bemüht oder banal, sie fanden den Stachel nicht mehr, gegen den es zu locken lohnt. Mit der Zensur war auch der Gegner abhandengekommen. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie dieser seeeeehr gute Song von der CD „Viererpack“ beweist:
Wie alle Ost-Bands mussten sie das lange Nachfrageloch der frühen 90er überstehen. Treulos entsorgten viele, viele Merkenichtse ihre Amiga-Vergangenheit in Kartons am Straßenrand:
„Von nun an nur noch Schdons un’Udooo!“
So das übliche Gossengeplärr. Kuriose und tragische Geschichten über Schlagerfuzzies und Rockstars mehrten sich via „Riverboat“ und „Super-Illu“: Keine Einkünfte, keine Tantiemennachzahlungen aus alten Amiga-Umsätzen, kein Airplay in den Ost-Sendern – da verzweifelte so mancher, während seine Frau eine Imbiss-Bude eröffnete, in der er mit aushalf; oder eine Strip-Schule, weil auch all die jungen arbeitslosen Näherinnen der Textilkombinate eine neue Existenz suchten. „Fensterputzer stürzt sich aus dem 10 Stock!“ Das der vormals Sänger in „Klock 8, achtern Strom“ gewesen ist, erfährt man erst weiter hinten im Artikel. Bimbo Rasym, der Stanley Clarke der DDR, verkaufte Autoputzmittel auf der Straße, als er den Puhdy-Job angeboten bekam. Dass der dafür viel zu gut ist, hört man auf der „Stundenschlag“ LP von Stern Meissen (1983). Aber vermutlich verdient er seither besser.
Bei Pankow zerfleischten sich derweil Herzberg und Ehle medial, weil Herzberg seine Stasi-Akte gelesen hatte… das heißt: Ehle schwieg; Herzberg lamentierte herum… dann Funkstille… jahrelang… dann Versöhnung. Denn wie zu erwarten war, musste Herzberg zugeben, dass Ehle zwar mit „der Firma“ über ihn gesprochen hatte, jedoch ohne ihn in die Pfanne zu haun. Es waren eher Rettungsaktionen a la „Der meint das nicht so. Der ist nur ungeduldig, der ist doch einer von uns!“
Es war zuvor schon ein offenes Geheimnis, dass jede Band, die ins NSW gelassen wurde, einen IM haben musste! Als das große Verblüffungsgesinge losging, so um 1992 herum, lösten die Puhdys das Problem am elegantesten: Sie gaben der Super-Illu ein Interview, indem zugegeben wurde, dass Peter Meyer derjenige war, der mit der Stasi sprach, dass aber alle intern davon wussten und ihm vertrauten, da sie anders nicht auf Westtournee gekommen wären. Also keine schmutzige Wäsche zu waschen — und aus. Da wünschte ich, Pankow wären die Puhdys!
So rauften sie sich Anfang der Nullerjahre erst wieder zusammen und versuchten es nochmal mit dem Plattenmachen in beinahe Originalbesetzung. Aber zunächst ohne allzu große Lust: „Nur aus Spaß“ klingt wie sie heißt. Unausgegoren. Nicht ernst gemeint.
Das bisher letzte Lebenszeichen „Neuer Tag in Pankow“ kommt deutlich besser rüber. Ein melancholischer Soundtrack zum Altwerden.
Ich wachte auf und war ein alter Mann!
und ich sah—- die Gefahr!
Ich war allein! Das war nicht neu!
Doch ich wusste von nun an wird’s für immer sein! Das war mir neu!
©Bludgeon
Danke für die sehr aufschlussreichen Beiträge, die das Allgemeinwissen zum Thema „Musikgeschichte“ sehr bereichern. Ich kann mich noch gut an die Serie aus der SuperILLU erinnern, als die Rockbands aus der DDR vorgestellt worden sind.
Ich bin erst nach dem Mauerfall mit der populären Musik in Berührung gekommen und habe kaum einen Bezug zu meinen musikalischen Landsleuten, außer Silly. (Von denen aber auch nur die Ära mit Tamara Danz.)
Liebe Grüße,
S.
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Danke gleichfalls – und Kompliment: Wer erst nach der Wende in den Ostrock fand und trotzdem zwischen Danz/Silly und Loos/Silly zu unterscheiden weiß – Hut ab!
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Anna Loos als Schauspielerin ist mir sehr sympathisch, aber ich kann mich nicht an sie als Sängerin von Silly gewöhnen. (Ich habe einmal aus einer Laune heraus die „Alles rot“ für 6,66 EUR gekauft und nach dem ersten Anhören habe ich mittendrin abgebrochen und die CD bei eBay verscherbelt…)
Und ich weiß auch, dass Tamara Danz mit dem Ritchie Barton zusammen war, aber als der Hassbecker dann zu Silly stieß, hat sie den Keyboarder für den Gitarristen stehen gelassen. So etwas kommt auch nicht alle Tage vor, dass Barton und Hassbecker nach wie vor (auf musikalischer Ebene) zusammenarbeiten können.
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🙂 Exakt! Ging mir mit der „alles rot“ genau so – allerdings kaufte ich sie hoffnungsvoll gleich neu und herumliegen tut sie hier auch noch. Anderthalb mal gehört.
In Weissensee ist die Loos okay; bei Silly eine Pleite.
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