oder: Pankow-Saga III
Ich sag! Ich sag!
Babe, Babe! Sei bitte still; achte mal drauf, was ich dir sagen will:
Das Zauberwort heißt Rock&Roll! Vom Blablabla hab ich die Schnauze voll!“ (Pankow 1986)
Bäm!
Zeitlos. Ist es noch immer so – oder schon wieder?!
Vielleicht liegts am bevorstehenden 30. Jubiläum in diesem Herbst; vielleicht an der Vielzahl Deja vus, die mich heimsuchen, dass ich derzeit so bei Pankow hängen bleibe: Will the circle be unbroken? Ich spüre die gleiche Lethargie der Verhältnisse wie 86/87; möchte laufend auffahren: Das stimmt doch nicht! Und das auch nicht! Was schreiben die da? Was erzählen die da? In wessen Auftrag? … und sehe dann immer so (auf verständnisvoll geschaltete) Bonzengesichter, schräg über mir; spüre ihren Griff an meine Schulter und höre ihre freundliche Mahnung:
„Es ist schon so, wie Sie sagen. Aber lassen Sie mal. Darum kümmern sich berufenere Kader als Sie. Beschränken Sie sich auf Ihren Wirkungsbereich. Helfen Sie so der guten Sache zum Sieg. Wir haben doch seit 1949 so viel erreicht, oder?“
„Mein Wirkungsbereich? Ja aber auch da stinkts doch an allen Ecken zum Himmel! Zum Beispiel…“
Nun wird der väterliche Blick des Allesverstehers kälter, der Griff fester:
„So? Kollege! Da muss ich mich doch sehr wundern! Das will ich mal nicht gehört haben!“
Ich erwache. Stehe auf. Und geh zur Arbeit.
—

keine stars
Zeitsprung: Mitte 1986 lag die dritte LP in den Läden. „Keine Stars“ verblüffte allein schon mit dem Coverfoto: Hille ist weg und dafür dieser „Jemand“ mit dem Schnäuzer. Dohanetz heißt der. Wo ist der Hille hin? 1986 fiel die Antwort nicht schwer: Im Westen! Wenn öffentlich vorab in keiner Radiosendung was zu solchen Umbesetzungsgeschichten gesagt wurde, dann konnte das nur heißen: Ausreiseantrag oder „Drühm jebliehm“ nach ner Tournee. Letzteres traf zu.
Pankow hatten zuvor ihre erste West-Tour genehmigt bekommen: Ehle und Hille waren schon als Mitglieder der Vroni-Fischer-Band im Westen gewesen, also bereits „bestätigte NSW-Reisekader“, aber die beiden „Jungspunde“ Kirchmann und Herzberg, die waren die nicht erprobten Westreisenden.
Seit die Puhdys im Klassenfeindgebiet anfingen „abzuräumen“, seit Karat diese Überraschungserfolgsserie einfuhren mit dem Maffay-Ansinnen die „7 Brücken“ zu covern und dann noch ner Goldenen Schallplatte für den „Blauen Planeten“ waren die Devisenbeschaffer auf den Trichter gekommen: Fahren lassen, 90% der Gagen abnehmen; lohnt sich für beide Seiten. Personalverluste mussten halt verschmerzt werden. Solange nicht komplette Bands „abhauten“, schienen die Schlagzeilen beherrschbar.
Und es erfasste wirklich alle:
Uwe Schikora, der Bandleader der Schöbel-Band war weg,
Vroni Fischer war weg,
Holger Biege war weg,
Neumi vom gleichnamigen Rockzirkus ebenfalls,
Regine Dobberschütz, die Stimme von „Solo Sunny“,
Biebl hatte man die Ausreise genehmigt.
Karussell hatten 2 Bandmitglieder per Westtournee verloren,
Ute Freudenberg & Elefant nur eins, und zwar die Ute selbst.
Es läpperte sich…. Aber den Oberen war es seltsam egal. Immer mehr Bands und Schlagerfuzzis bekamen die Erlaubnis zur musikalischen Devisenbeschaffung.
Vor Pankows Tour wurde der „Ensemble-Chef“ Ehle mit Sicherheit verwarnt, dass er jaaaa auf diesen unzuverlässig-provokanten Herzberg aufzupassen habe, dass der keine DDR-herabwürdigenden Ansagen macht und vor allem wieder mit nach Hause kommt. Und der andere da an den Tasten ist ein seltsam unbeschriebenes Blatt und „stille Wasser sind tief….“ und eventuell auch plötzlich weg, also Obacht auf die beiden! Beim Heimreisetreff am Tour-Bus in Westdeutschland nach individueller Einkaufstour waren beide zur Stelle, nur der „Reisekader Hille“ fehlte.
Der war zu seiner Mutter nach Westberlin gereist und hatte beschlossen zu bleiben. Die Band handhabte den Vorfall anders, als ihre Vorgänger. Sie überschritten gemeinsam die Aufenthaltsgenehmigung und reisten nach Westberlin, um ihren Trommler umzustimmen. Vergebens. Sie mussten ohne ihn heim. Ärger. Aussprachen. Sperre bis auf weiteres für weitere Touren ins NSW. Was sollte nun aus der halbfertigen Platte werden, die in ihrer Abwesenheit die Zensurinstanzen durchlaufen hatte. Keine Ahnung, ob die Schlagzeugparts neuaufgenommen werden mussten, oder ob dies nur behauptet wurde – Hilles Tantiemen-Anteile mussten ja irgendwie vermieden werden, andernfalls wären sie in „West“ nach „drüben“ zu überweisen gewesen.
Jedenfalls drang nichts von dieser Querele an die Öffentlichkeit, sondern wurde erst nachwendlich in Interviews enthüllt.
Das Flucht-Phänomen der DDR-Künstler, vor allem der Musiker, ist das, dass sie alle keine abwägenden Philosophen waren, die zur sachlichen Einschätzung ihrer Möglichkeiten im Westen in der Lage gewesen wären. Von Frank Hille kursiert heute das Bonmot im Netz: „DDR-Stars gehen im Osten auf und im Westen unter“. Man weiß nur nicht, wann er zu dieser Weisheit gelangte. Vor- oder nach seinem Absprung. Dass soviele gingen, zeigte den Grad an Verdruss über die Verhältnisse:
„Ja um die Texte gab es dauernd Gezanke“, geben zahlreiche Ostrocker ihre Erfahrungen heute preis, ohne näher auszuführen, um welche Stellen konkret es ging. Sie wissen keine mehr oder wollen sich nicht erinnern. Für sie war das ein lästiger Nebenkriegsschauplatz. Sie wollten rocken und „ran an die Mädchen“. Was die Berufslyriker ihren Sängern da in den Mund legten, war dem bandeigenen Basser oder Drummer sowas von wurschd, aber die Vorladungen aller, die bandinternen Palaver zum Thema „Text ändern oder Song weglassen“ blieben lästiger Alltag. Selbst bei Renft und Silly waren es immer nur 2 oder 3 von 6 Bandmitgliedern, die hinter der Botschaft standen.
Das war bei Pankow anders. Die Band machte am ehesten den Eindruck einer funktionierenden Familie, wie auch jener Überredungsversuch im Fall Hille bewies. Die LP überrascht mit einem Feuerwerk an Spitzen. Gut, Pankow eben. Da erwartet man kein Allerlei. Aber ihr Erstling „Kille kille“ klang damals zwar im Sound sehr extrabreit-westlich, textlich jedoch braver als die beiden Rockspektakel „Paule Panke“ und „Hans im Glück“. Nun wiederum Einzelsongs, von denen der Rundfunk zuvor nur „wetten du willst“ und „Isolde“ bekannt gemacht hatte. Für beide gab es auch eine Art von Video im Fernsehen, wobei besonders „Isolde“ durch so ein nachgemachtes „Stray Cats“ Feeling bestach: Nacht, Nebenstraße, Mülltonne, Ehle mit Gitarre auf dem Bordstein, Herzberg kommt vorbei ….
„Endlich ein Telefon das — funktioniert. Ich steckn Groschen rein, mal sehn, was passiert….“
Wie jeder weiß, der alt genug ist, sich an Telefonzellen zu erinnern: Meistens waren die Apparate kaputt. Im Osten musste man mindestens 20 Pfennig zum Starten einwerfen. Aber gang und gäbe war (bei jungen Leuten): Einen Groschen rein. Faustschlag von oben auf den Kasten. Überraschen lassen: Entweder die Verbindung gelingt oder der Eisenklunker rattert kurz auf und lässt unten Münzen rausfallen, die du oben wieder einfüllen kannst, um für lau zu telefonieren. Und nu singen die da diese bekannte kleinkriminelle Andeutung schon seit einiger Zeit im Rundfunk und Adlershof spendiert auch noch nächtliche Videokulisse!
„Wetten du willst“ ist dagegen eher unauffällig. „Ich fass dich auch da an, wenn du willst.“ Naja. Inge Pawelzik (light) sozusagen. In Sachen Sex kommt es auf der Platte mit „Doris“ wesentlich konkreter:
„Meine sollte blond sein und große Brüste haben und sollte mich trotzdem verstehn….“
„Doriiiis! Ich hatte es noch nie gemacht! Du hast es mir – beigebracht!“
Aber der eigentliche Wert der Platte erschließt sich durch die Dreifaltigkeit „Lied vom Anderssein“; „Nebel“ und „Trübsal“ – exakt das Twen-Lebensgefühl 25+; von all den jungen Besen, die im Berufsleben angekommen waren, kehren wollten, aber nicht gelassen wurden. Was haste dir nicht alles erzählen lassen über den gesetzmäßig siegenden Sozialismus – und nun? Haste geglaubt, die Welt hat ausgerechnet auf dich gewartet? Träumer du! Dich umgab lähmendes „weiter so“ – „das haben wir bisher so gemacht“ – „das bleibt so“… Und irgendwann machste halt mit. Ankunft im Leben.
„Die Jungen wollen fliegen und machen dabei Wind, da stören sie die Alten, die schon gelandet sind.“ (Ed Stuhler/Arno Schmidt 1988)
Gorbatschow-Reden im „Neuen Deutschland“ wurden gelesen, seziert, zur provokanten Argumentation genutzt … und verpufften.
„Wir blasen, wir blasen, aus Augen, Mund und Nasen – Trübsal.“
Her mit Konterbande! Egal woher! Wann würde jener lähmende Erkenntnisnebel sich endlich lichten?
„Wann gehst du endlich wäääg? Wann komm ich endlich wieder aus’m Dräääck!“
Die Platte war vor der Tour eingespielt worden. Nun, nach Maßreglung wegen des personellen Abgangs Hille, nicht nur nicht mit Veröffentlichungsverbot, sondern mit Gewährung all dieser unbiederen Aussagen sogar scheinbar noch belohnt zu werden, mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Jedoch ist 1986 eben auch das erste Gorbatschow-Jahr rum. Der scheint durchzuhalten da in Moskau; tadelt „reaktionär erstarrte Kader der Partei“ und zwangspensioniert sie, um Platz zu schaffen für neue Leute im ZK. Dort wehte also bereits ein Wind der Veränderung. Wie lange würde da das „Alte Männer Gremium“ in Berlin noch verharren können? Wann und wie würden sie abtreten? Danach würden auch hier neue Wege ausprobiert werden und dann will man nicht als der letzte Stalinist gelten! DESHALB gab sich die Zensur zeitweilig (aber immer öfter), als ob sie schliefe. Man wollte beim hereindräuenden „Neuen Kurs“ eben Bönzchen bleiben oder im Ruhestand wenigstens nicht laufend lesen müssen, dass man nun zum Aushängeschild des Poststalinismus avanciert sei.
Die Dosis erlaubter Kunst-Fre(i)chheit wurde somit ständig erhöht, wenn auch die Übertragung in den Alltag weiterhin ausgebremst blieb:
Call it stagnäjschn, Bäybä! Wir glaubten, die gleichen Platten zu hören, glaubten, die gleichen Bücher zu lesen. Glaubten, die gleiche Vision zu haben. Aber taten wir das wirklich? Schon der erste wirkliche Wahlkampf 1990 brachte an den Tag, wie vielfältig die politischen Vorlieben tatsächlich waren, wie unüberbrückbar plötzlich kleinste Nuancierungen zu Klüften wurden.
Noch aber wussten wir all das nicht. Noch war 1986. Am Horizont schien die Glasnostch-Sonne aufzugehen. Also wagten wir uns mal vor beim allmontäglichen Rotlichtnachmittag, bekamen eins drüber, hörten abends dann Pankow, Silly oder (wer hatte) Danzers „Traurig aber wahr“ und am nächsten Morgen stand man auf und ging zur Arbeit. Weitere 3 Jahre lang.
„Guck nich‘ so komisch! Ich bin doch kein Star!“(Pankow)
„Geh! Mein großer Träumer! Geh! Wenn du meinst, dass deine Sehnsucht dich wieder trägt.“ (Silly)
Das Silly-Pankow-Ping-Pong hielt uns auf Trab. Damals.
©Bludgeon
Schön geschriebe Serie, und das macht für mich als Wessi die Situation damals im Osten begreiflich…auch wenn es eine mir fremde Welt bleiben wird ! Grüsse von Jürgen
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Ihr „Traum“ spricht mir aus der Seele. Das Wunderbare auf dieser Welt (zumindest in der mir Bekannten): Auf der Universität und von anderen berufenen Stellen hörst du immer wieder „Ein Mensch in der heutigen Zeit muss lernen, kritisch zu denken und verantwortungsvoll zu handeln“, du lernst es vielleicht erfreut, gehst hinaus in die weite Welt und musst feststellen, irgendwie kommst du nicht so recht weiter, wenn du dauernd das Maul aufmachst. Dann hörst du vielleicht: „Ja, aber wir haben schon….erreicht, schau dir Land „…. an, dagegen sind WIR wirklich fortschrittlich und es geht UNS wirklich gut“ und musst dich vielleicht irgendwann entscheiden: Maul auf, Hirn an und unzufrieden leben oder dich der Oberflächlichkeit hingeben, nur deinen Job erledigen und Nerven und Energie sparen. Und dann fragst du dich vielleicht, wer sich erlauben kann, von oben herab so idealistische Bildungsziele vorzugeben.
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Wow. Heute auf Arbeit und auf Handy den Kommentar gelesen. Der rettet mir den Tag. Danke.
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