oder: Pankow-Saga II
Pankow waren in den 80ern eine Bank für Provokation und gute Musik. Ein paar zu spät Geborene, die erst in den 80ern anfingen, sahen das anders: Für die waren Pankow schon sowas wie Puhdys oder Karat, weil sie nur noch die Independent-Bands gelten ließen: Feeling B & Co. – Ignoranten! Never talked about Milchbarts.
Zeitchen zurück: Ich hatte 4x „Paule Panke“ live gesehn, da stand das 5.Mal bevor: Live at the BaHu Leipzig! – sozusagen. Bauhochschule. Keine Punk-Hochburg. Ich bekam den Tipp, dass dort was sein sollte und fand mich hin, alleine diesmal, im annähernden Elvis Costello Outfit der Zeit: Hindenburgbürste, Sakko des Hochzeitsanzuges meines Vaters (1958); Uhrkette im Parteiabzeichen-Knopfloch; Lenin-Pionierabzeichen, 950 Jahre-Nbg-Medaille; lange Lederhose, Turnschuhe – und ich kam unter die „Gestrigen“: 08/15 Kunden-Outfit: Jeans, Hemd, Vokuhila oder Günter-Netzer-Gedächtnisscheitel. Aber Großstadt sei Dank. Null Aufsehen.

die besten 3
Pankow hatten inzwischen (muss annähernd Frühjahr‘83 gewesen sein; noch immer war keine Platte erschienen) einen Merchandising-Stand mit Aufklebern von sich und Mona Lise; somit erfuhr ich von der ersten Mädchenband der DDDDR.
Die Frau vom Basser (Liese Resniczek) war dort die Chefin. Naja, später stellte sich heraus, die hatten zwar ‘ne hübsche Antje an der Gitarre, aber textlich/musikalisch war das — Schwamm drüber, honey.
Ich deckte mich mit Pankow-Aufklebern ein und ärgerte mich, dass die immer noch nicht auf den Trichter gekommen waren, Sticker (sagten wir damals; meinten aber Badges) machen zu lassen.
Dann setzte ich mich im dunklen Saal irgendwo hin und der Typ neben mir sah mich meine Einkäufe ins Portemonnaie verstauen:
„Du bist woll Fan von dänn?“
„Jou!“
„Un? Spiel‘n die nur Scheise?“
„Warum bisdn dann hier?“
„Weil sonst nüschd is.“
Oh! So sahen diese DDR-Dauer-Blueser das also. Das kann ja was werden!
„Wart‘s halt ab.“ prophezeite ich mutig drauf los. Und seit diesem Abend halte ich mich für a kind of Moses und ließ mir einen Vollbart stehen, denn:
Die Band spielte gegen einen Saal voll Skepsis an und drehte die Stimmung innerhalb der ersten halben Stunde um 180 Grad.
Spätestens bei „Sitz!Ung!“ johlte und applaudierte alles und bei „Komm ausm Arsch“ erhoben sich die ersten für jenen historischen Alki-Mitklatsch-Boogie-Pogo. Ich vermutete nun gleich das Ende – wie bisher; aber der Abend hatte noch eine Überraschung! Als erste Zugabe spielten sie nicht Honky Tonk Woman, sondern gleich alle Songs der nun bald in den Läden liegenden ersten LP: See(h)nsucht, Gabi, Ilsebilse, Stadtpark, ich bin lieb… Ich weiß nicht, wieviele jener zukünftigen Betonplattendompteure da wussten, was ich wusste:
„Ich bin lieb“ wurde anlässlich von „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik uraufgeführt. Die Kulturoberen wünschten sich zur Unterstützung der Friedenspolitik ihres Generalsekretärs und Staatslenkers Erich I. von ihren Protegés ein Friedenslied pro Band, was einem Befehl gleichkam. Gegen Frieden hat niemand was, aber gegen Staatsnähe schon. Die Bands und Berufstexter saßen in der Zwickmühle und erschufen mehrheitlich platt Peinliches. Pankow jedoch brachten eben diese gesungene Befehlserfüllung des typischen Mitläufers – und André der Freche, sang sie in NVA-Uniform, der die Hoheitsabzeichen fehlten. Welche Art von Army war also gemeint? GENIAL!
Beim Gehen fragte ich meinen Nebenmann grinsend:
„Na? Voll Scheiße?“
Er strahlte völlig euphorisiert zurück: „Hattest recht! Affengeil!“
Es war ein Konzerthighlight. Eine selbstsichere Band dreht eine Saal-Atmosphäre zu ihren Gunsten – sowas erlebt man nicht oft. Und Erlebnisse wie diese sind es, die dann LPs in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen:
„Pankow sind eine Live-Band, die nebenbei auch Platten macht und Silly sind eine Studioband, die nebenher auch Konzerte geben muss“.
So fasste es mal jemand ende der 80er in der „Melodie und Rhythmus“ zusammen. Dem schließe ich mich an.

eine fehlt
Dass „Kille kille Pankow“ 1983 als gute LP empfunden wurde, hat mit den eigenen Live-Erlebnissen und den NDW-Hörgewohnheiten der Zeit zu tun. Heute hör ich die eher nicht mehr. Auch „Hans im Glück“, ihr zweites Rockspektakel, kam auf der Bühne fast noch perfekter rüber als „Paule Panke“, durfte auch als LP rechtzeitig erscheinen, ja musste sogar erkämpft werden, wie die letzte Strophe des letzten Tracks andeutet, aber auf dem Plattenteller wirkte das irgendwie steif.

diese hier
Erst „Keine Stars“ von 1986 (Including „Anders sein“ und „Zauberwort“) geriet zeitloser und wurde mein Plattenfavorit von ihnen. Die „Aufruhr in den Augen“ erschien anfang 1989. Sie ist okay. Textlich aber zuwenig originell, um gegen Sillys „Februar“ (including „SOS“) oder Engerlings „So oder so“ (including „die 48“) punkten zu können, die zeitgleich erschienen.
Und dann waren da ja noch die „anderen“ Bands und ihre gewagten Messages: Immortality , born in the GDR, stille Invasion, gelbe Worte, pogo im VPKA, …
Musikalisch war das meiste zwar zwischen Westberliner Zatopek (So scheiße können Bläser klingen) und besoffenen Madness angesiedelt. Sie hatten fast alle so ein Faible für durchgeknalltes Saxophon; jedoch:
Lass das Hirn dir amputieren
Leg es ein in Wodka pur
Ballast nur wir balancieren
Auf straff gespannter dünner Schnur
Auf den Straßen geht ein Mann
Der alles weiß und alles kann
Schreibt gelbe Worte an die Tür
Und liegt am Abend neben dir…. (aus „gelbe worte“/die anderen; 1988)
Textlich war das schon eine andere Hausnummer. Aber Pankow öffneten die Tür:
Trinkerheilanstalt (aus „Hans im Glück“; Rockspektakel 1984)
©Bludgeon
Musikalisch nicht mein Fall, aber interessante Texte. Es war bestimmt mutig und provokant sowas in DDR-Zeiten zu veröffentlichen.
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Als ich neulich auf Arbeit kam,
nahm mich Frankie in den Arm,
weil wir unsre Erfindung durchgedrückt hatten
gegen Kleingeist und Bürobaracken
in einem sochen Augenblick
fühl ich – Glück.
Der Schlussvers aus „Hans im Glück“
Ja, die haben riskiert und nicht diese rätselhafte Unterstützung gefunden, die z.B. Silly hatte.
4 LPs voller widerborstiger Denkanstöße trotzdem durchbekommen, durch alle Genehmigungsverfahren. Die 5. zählt da nicht mit, die wurde ja erst 1990 – im Zusammenbruch – herausgehauen, als sich längst keiner mehr kümmerte. Dabei hätte die 5. die erste sein sollen: „Paule Panke“, die 82 erst fast den Kunstpreis bekommen sollte, dann nicht einmal erscheinen durfte, weil irgend ein Bonze doch noch Anstoß nahm, dass der Arbeitsalltag zuwenig optimistisch dargestellt würde.
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Interessant, wie gewisse Evolutionstufen der Popmusik in in der DDR eine bestimmte Eigendynamik entwickelt haben. Man wusste halt noch genau wo der Feind steht, auch wenn man sich oft nicht getraut hat, ihn beim Namen zu nennen.
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Und die richtig guten Texter verstanden fast immer die brauchbare Brücke zu finden zwischen Band und Publikum. Nicht „als ich zur Probe kam“, sondern als ich zur „Arbeit“ kam – daraus folgt, dass nicht nur die Künstlerzensur „einen weg bekam“, sondern die Arbeitswelt aller Berufe , die alle dasselbe Problem hatten: Es gab alljährlich die „Messe der Meister von Morgen“, hochangebunden und medial belobhudelt: Tüftler made in GDR! Aber all die schönen Neuerungen, die da zu besichtigen waren, wurden nie Massenprodukt, erreichten nie Serienreife. Taktstraßen umstellen? Auf andere Materialien umsteigen? Kein Geld da in diesem 5-Jahr-Plan. Und im nächsten war’s wie von selbst vergessen.
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