Schutzschild-Mugge

I was born and raised on (Saale)-River,

I see it all, like it was yesterday…“ („Steel River“/Chris Rea)

Der INF Vertrag ist down. Der Kalte Krieg kehrt zurück.  Schröder will ein Comeback für Gabriel und pullert die Nahles an. Der „Einbrecher“ (Wortspiel) schreit „Haltet den Dieb!“ Trump hat ein Medien-Echo wie weiland Reagan. Putin gibt den klügeren Breschniew. Und Friedensbewegung fällt aus… …doch nicht alles gleich wie 81/82!

Die jetzige Deutsch-Pop-Winselei als neue NDW verkaufen zu wollen, erübrigt sich. Revolverheld sind nicht Interzone. Giesinger kein Mitteregger und „uns Helene“ ist keine Nina. Aber: Keine Atempause, Geschichte wird (trotzdem) gemacht… Kohl ist tot, kein Freispiel drin!

Das Deja Vu kommt diesmal als Mixtur aus frühen und späten 80ern gleichzeitig. Vertreter aller Parteien „entdecken gerade den Ossi“. Sie verhalten sich wie weiland Krenz & Genossen im Angesicht des Zorns: Recht geben, laufen lassen, aber nichts ändern! Sogar die arrogante ZEIT „trainiert“ Verständnis.

Sowas hier find’ste allerdings weiterhin nur in obskuren Blättern. Schwamm drüber, honey!

Die Karusseit ist tot. Nach Krug, Thate, Hoppe der 4. große Name der DEFA im Jenseits. Der Cast von „Wege übers Land“ und „Daniel Druskat“ dort fast schon wiedervereint. Ein Zeitgeist früherer Prägung löst sich auf. Armin Müller-Stahl hält sich noch zäh im Diesseits. Und natürlich die Domröse und die Waller. Und dann? Auch in dieser Branche sind erfolgreiche Ossis Auslaufmodell.

All summer long we were happy we were one
We didn’t think of an ending to our play
All summer long nights of wine, days of song
It couldn’t last, our aging sun had to go
I will always remember you (Chris Rea)

Dieser Tage geriet mir mal wieder die „Shamrock Diaries“ zwischen die Finger. Ursprünglich Stagnationsmugge der 80er. Und plötzlich schien für eine Plattenlänge alles wieder hinzuhauen. Es ist Februar 2019. Draußen schneit es ein wenig. Kein wirklicher Winter hier herum, aber es reicht, um (Sound&Vision)  im Kopf die Bilder vom Februar ’88 oder ‘89 wieder heraufzuholen:

Winterferien in einem müden Land. Bald wird es hinweggerafft. Aber das konnten wir nicht wissen. Wir saßen in der „Kanzlei“ in der schönsten Stadt der Welt. Eine soeben eröffnete Kellerbar unter dem Gerichtsgebäude und gleich neben dem „Delikat“. Schummrige Wohlfühlatmosphäre; vermutlich in der ehemaligen Folterkammer der alten „Stadtfreiheit“. Katakomben-Style. Die Gefühlslage ein Mittelding aus Politfrust, Stolz, weil der Einstieg in die Praxis nun geschafft war und Größenwahn, weil:

Wer kann uns -?!

Sabinchen(23) hatte was zu feiern. Ihr Ausreiseantrag war nach 5jähriger Wartezeit nun „durch“! Sie war beim Packen und letzte Westplatten verscherbeln, um von Kopf bis Fuß in „Exquisit“ gekleidet endlich ihrem Lover da im Ruhrpott in die Arme fallen zu können. Er war seit 5 Jahren „drühm“ bei seinem Vater und hatte sie reichlich mit Vinyl versorgt. Romeo und Julia zuzeiten der „deutschen Frage“.

Nun aber standen ihre Zeichen auf Vorfreude pur. Sie strahlte in die Runde ihrer Unterstützer und Plattenstammkunden. Bei dem einen hatte sie Obdach gefunden, als ihre Eltern sie wegen des Antragstellens verstießen, der andere war ein Klassenkamerad und Freund ihres Mannes in spé; die beiden übrigen hatten ihr soeben wiedermal Westvinyl abgekauft. Das romantische Kellergewölbe der Bar wurde dezent mit der „on the beach“ von Chris Rea berieselt, was bei ihr prompt für Assoziationen sorgte:

„Danke nochmal für eure Hilfe in der langen Zeit. Aber dass kenor meine Chris Rea Platten will, schmerzt örchendswie.“

„Nö, danke.“ Kopfschütteln ringsum.

„Da wärrn nochema zwee Paar Schuhe ausm Ex dringewesen. Abor die werch nu woll Volkmar sooo dalassn, wennse keenor will.“

„Offnehm ging ja noch, wemmor’s’ch was zusamm’stellt. Abor 4 LPs von dähm brauchd wörklich keenor.“, musste Bludgy zum wiederholten Mal klugscheißen, obwohl er sich immerhin eine „Private best of-“ zusammengerippt hatte.

Die andern nickten. Und auch Bernd wiederholte sich: „Haste eehne, haste alle. Der klingt soooo gleiiiiich!“

Wir ordern noch eine Runde Gin Tonic, das Gesöff der Zeit, und politisieren ein bisschen herum. Wann kommt nu‘ Glasnostch? Sabinchen meint: Nie! Wir andern zucken die Schultern und hoffen weiter. Ein paar Zeitzeichen gibt es ja: Die Silly-LPs, die so herrlich unzensiert wirken. Das „Parocktikum“ auf Jugendradio DT64 mit all den frechen neuen Bands: Big Savod and the deep Manko, Sandow, Expander des Fortschritts, die Art… Strittmatters „Laden“ (Band 1 und 2), der mit all seinen Nebensatzseitenhieben noch den „Wundertäter“ toppt … die spürbare Lethargie des Machtapparates, der sich kaum noch aus der Deckung traut; last not least die zunehmende Courage vieler Kollegen in den Rotlichtbestrahlungen(Sitzungen) in unseren Einrichtungen und Betrieben. Und Gorbi grinst vom Sticker am Revers.

Wendegesänge

LiedGut

„Wir können bis an unsre Grenzen gehen. Hast du schon mal drüber hinweg geseh’n?“ (Sandow)

Schnitt. 1991. Letzter Tag des Jahres. Inzwischen gehen wir bis an die Grenzen und drüber hinaus. Volkmar und ich fahren unsere ersten Westautos. Das macht Feten-Hopping zwischen mehreren Ortschaften möglich. Seine Neuigkeit ist: Sabinchen ist zurück, mit Mann und Schwiegereltern, die die Firma hierher verlegt haben, weil ja hier nun DAS WIRTSCHAFTSWUNDER ZWO erwartet wird. Er weiß auch, wo sie feiern. Wir treffen sie somit mehr oder weniger „zufällig“ in einer Dorfgaststätte, reichlich angetüdert und den „Westinvestor“ herauskehrend. Peinlich für alle, außer für sie selbst. Ex-Ossis, die aber deutlich früher „raus sind“, spielen hier Großkotze pur. „Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Sabinchen tritt noch am normalsten auf. Bludgy und Frau entscheiden sich für schnellen Aufbruch. Man sah sich nie wieder.

All summer long nights of wine, days of song
It couldn’t last, our aging sun had to go
I will always remember you… (Chris Rea)

Die Chris Rea Zusammenstellung auf dem Tonband hatte da bereits wider Erwarten ein recht nachhaltiges Eigenleben entwickelt. Im Sorbenwald zündeten zunächst „Texas“ und „Candle“ als Heimweh-Melodaien. Du sitzt im bürokratischen Alltagseinerlei in ostdeutsch Sibirien und träumst dich entweder zurück ins Saaletal, nach Plauen zur Abwicklung weiterer Platten-Deals oder gleich in jenes märchenhafte Gojko Mitic Amerika… wo die DEFA-Dakota-Schönheit auf dich wartet: Burn a candle, a candle for you… Später dann schien der Sound jenes Couragefeeling vom Verabschiedungsumtrunk in der „Kanzlei“ konserviert zu haben. Bist du „down“ und hörst den Rea gehts dir hinterher besser! Kein Wunder also, dass nach Mauerfall und CD-Playeranschaffung Mitte der 90er dann die „Watersign“ von irgendeinem Grabbeltisch abgegriffen wurde. Die Tonbänder (Typ 130) fingen bereits an zu quietschen, was das Ende dieser Abteilung Tonarchiv rasant beschleunigte. Nun fehlten jedoch die Nuggets von den anderen LPs, vor allem „Steel River“, „Josephine“ und „All summer long“… aber Zeitchen verging, bis auch die „Shamrock Diaries“ noch Einzug hielt.

Als es soweit war, lief es beruflich gerade eher schwierig; da wiederholte sich, was mit dem Tonband zuvor schon an der Neiße geschehen war: Reas lakonisch vorgetragene Miniaturen wirkten tröstend, heilend, belebend. Die Englischkenntnisse hatten sich rasant erweitert und das gewachsene Textverständnis konnte nun retten, was das unvermeidbare 80er Jahre Schlagzeug teilweise verhunzt. Überwiegend jedoch ergänzen sich die melancholischen Botschaften in ebensolcher Musik. Songs – wie Schutzschilder; vor den Zumutungen von außen. Chris Rea wäre mir, gefragt nach Favoriten, im Leben nicht eingefallen. Wichtig ist er durchaus. Erst in der Not zeigt sich, was rettet. Aber niemand „liebt“ die Medizin, der er zu Dank verpflichtet ist.

Sometimes I feel just like a hired gun
I feel just like a hired gun
Always on the run…

I dream of comfort and friendship long
But I can’t trust you or anyone
The scars still hurt me and I don’t let them heal
Each one’s a lesson, each one’s a shield (Chris Rea)

 

Nick Cave schrieb neulich (hier) über den Unterschied von „favorite Songs“ und „hiding songs“, die dir überleben helfen. William erlaubte mir, die Idee zu verwenden. In meinem Fall handelt es sich nicht um einzelne „hiding songs“, sondern um ganze „hiding records“.

12 Gedanken zu “Schutzschild-Mugge

  1. Jetzt wollte ich doch gleich mal die Shamrock Diaries auflegen, aber die habe ich tatsächlich nur auf Vinyl. Na, denn nimmste halt die Wired to the moon denk ich, aber nur auf CD vorhanden, nix auf der Festplatte gerade außer seinem Bluesgeschrammel und der Water Sign, die ich mir wegen I can hear your heartbeat geholt habe damals – und die Tennis gleich mit (1 mal gehört im Leben, was für eine Enttäuschung).
    Der Mann hat ja durchaus die eine oder andere halbwegs gute Platte gemacht, zum dösen auf dem Sofa oder bei Damenbesuch, aber einen Langzeiteffekt hatte der bei mir nie. Krönung war ein Konzert in der Musikhalle Mitte der 80er, das fing sooo gut an und hatte sooo guten Sound, aber irgendwann isses halt Chris Rea und man versucht krampfhaft wach zu bleiben oder sich nach dem Sofa zu sehnen. So ab dem dritten Stück hatte ich wirklich Mühe mit schweren Augenlidern..

    Colosseum Live war denn auch ne bessere Wahl gerade 🙂

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      • Yep. Musikalisch schon, aber da war eben auch immer die eine oder andere gute Textzeile, die sich gleich festkrallte und die Frage aufwarf: Was bedeutet der Rest?
        Burn a candle : Stell eine Kerze ins Fenster – war ja in den 50ern auch mal so eine Empfehlung bei euch „drühm“ im Gedenken an uns arme „Brüder und Schwestern“ …
        My little Texas, das vor allem eine Frau meint: „Sie ist mein Zuhaus“ – sang wenig später „unser“ Arno Schmidt (der Jüngere) … usw. Da gabs eben immer auch Parallelen. Zwischen ihm und mir.

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    • Versteh ich gut mit dem Wachbleiben im Konzert. 🙂 Aber in puncto „Watersign“: Wenn ich die höre, programmier ich „Heartbeat“ vorher weg! Die Nummer ging bei mir noch nie! Das war so typisch’84 – musikalisch ein Jahr der Katastrophen: Bohlen und so….

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      • Ich mochte den Gitarrenpart bei dem Ding, auch heute noch, nur der Rest ist leider wirklich etwas 80er. Aber für Rea’sche Verhältnisse ne echt schnelle Nummer *g*

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  2. Früher immer wieder mal gehört, jetzt eigentlich gar nicht mehr, aber: Künstlerisch für meine Begriffe total unterschätzt. Ein Gitarrist vor dem Herrn, ein authentischer Blueser, ein hervorragender Texter, nur leider zu oft auf den Softrock-Markt geschielt. Hat die „zweite Karriere“ nach seiner Genesung ja genutzt, um die künstlerisch „versauten“ Jahre wieder nachzuholen. Kenne ihn von meinem Vater her, der die „Dancing with Strangers“ (als Cd) gerne hatte. Habe mir das Album als Vinyl selber gekauft, in der Hoffnung auf besseren Sound (gehöre der Fraktion an, die den Klang der LP den der Cd vorzieht und daher fast ausschließlich dieses Medium nutzt), leider kaum Unterschiede, dafür ein tolles Stück weniger…. Auf jeden Fall vor allem aufgrund der Verbindung mit meinem Vater wichtig in meinem Leben. Und zu „Tell me there´s a heaven“ tatsächlich schon Tränen vergossen.

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  3. Ich muss ja gestehen, ich finde den total toll…so im Sinn von : erstmal nebenbei hören und ein paar Tage später ertappt man sich seine Stücke in der Strassenbahn vor sich hin zu summen was allemal besser ist als die BILDzeitung des Sitznachbarn mitlesen zu müssen…und ein paar Jahre später hat man dann sein Rea Sammlung zusammen…bei mir passte das nicht auf eine C90 Kassette, da musste dann die teure C100 Metallcassette her um JürgensReaspezialtapemix komplett draufzukriegen …und die funktioniert 20 Jahre später immer noch…muss wohl doch was an seiner Musik sein 🙂
    LG Jürgen

    Gefällt 1 Person

    • 45 Minuten wie 1989 würden heute bei mir auch nicht mehr ausreichen für eine „private best of“. Um sein Bluenotes-/Delmonts-Projekt schleich ich immernoch ganz begehrlich herum. Ich liebe solche spinnerten Ideen, und die Umsetzung ist ja wirklich spitzenmäßig – wie er da den früh60erSound faked. Alle Achtung!

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  4. Nun, ich weiß nicht, was zu diesem Titel zu denken. Offenbar ist es in Ordnung, aber es sei denn, der Autor kann nicht mit dem Ende
    dieses Themas und schüttet Wasser bewältigen. Herr
    Autor, überprüfen Sie bitte sorgfältig alles, und nur
    dann veröffentlichen. Ich ging hier die spezifische Lösung zu finden, dass ich sofort
    verwenden könnte, aber ich habe es hier nicht finden.

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    • Antwort an „schilderemaille.de“: Der Text handelt nicht von Schildern. Er handelt von Musik und Jugenderinnerungen. Mugge = Slangwort für Musik.

      This Post is not a story about „Schilder“ like Adress-Signs on Houses. This Post is a Story about Music as a shield, that can give you a hiding place to carry your courage to live your life in problemtimes.

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