Fehler im System I

oder: die Pankow-Saga I

Der folgende Text ist eine Nachwehe zum „Mutmaßungen-Projekt“ im Graugans-Blog. „Was heißt Deutsch sein?“ – war dieses Jahr dort Thema. Und ich ging es zunächst mutig an. Ich habe keine Probleme das komplette Mittelalter für mich in Anspruch zu nehmen: Die Ottonen, Markgraf Gero, Kaiser Rotbart, Luther, Münzer, die Fugger … (mit mittlerweile bissl Bauchschmerzen) auch den Alten Fritz … quasi alles Vorfahren unter „ferner liefen“ … auch das leidige NS-Kapitel lässt sich nicht wegdrücken. Aber dann?

Adenauer und Brandt waren nie meine Kanzler. Das Wirtschaftswunder und die 68er sind nicht meine Geschichte. Ich hörte zwar die gleichen West-Bands wie meine Altersgenossen „drüben“ via Radio, aber live eben andere. Meine Konzertschlüsselerlebnisse passierten nicht in der Gruga-Halle oder auf der Waldbühne, sondern im Theatersaal des „Hauses des Volkes“, das im Volksmund immer die „Reichskrone“ blieb, weil das angrenzende Hotel früher mal einfach so hieß. Meine Sticker auf dem Tonbanddeckel stammten nicht von den Stones oder gar von Yes; – (ich hätt‘ was drum gegeben, wenn’s so gewesen wär‘!) – sondern von Prinzip, der Stern Combo Meissen und Pankow. Ich bin „anders deutsch“. Ostdeutsch.

Ich habe ein ähnliches Problem, wie durchschnittliche Südstaatler nach dem Bürgerkrieg und der damals dort verhinderten Spaltung. Mancher dort war nie Sklavenhalter, sondern vielleicht sogar Abolitionist; Sklaven-Express-Sympathisant. Aber dann stand plötzlich General Sherman mit den Siegertruppen in seinem Vorgarten – da interessierte sich niemand für die Haltung des Eigentümers: Du bist aus dem Süden? Du bist der Arsch! Freunde von mir haben sich wieder eine DDR-Fahne zugelegt; oder T-Shirts auf denen das DSF-Logo prangt. Das man das mal freiwillig tun würde, hätte sich früher keiner von denen prophezeien lassen.

Mit Anfang 20 galten andere Maxime:

„Wie weit die Kiste schwimmt/und welchen Kurs sie nimmt/geht mich nichts an/ich bin ein Mann, der sich noch treiben lassen kann.“ (Bootsfahrt/Gaukler Rockband; DDR 1979)

Du kriegst es heute nicht mehr gebacken, wenn du das hörst, zu ermitteln, warum das mal Kult war!

Zensur-Umgehung heißt das Zauberwort. Fatalismusbefürwortung. Du gründest ne Band, weil du um die 20 bist und es eben doch lieber als Künstler versuchen willst, statt als Betonfacharbeiter in Marzahn Arbeiterschließfächer „hochzuziehen“ oder als Hausmeister irgendwo dein Leben zu verdämmern. Du magst die grade angesagten neuen Trends zwischen den Pistols und Ian Dury aus dem Westradio. Du würdest der Band gerne irgendeinen provokanten Namen geben: „Bonzenschreck“ oder „Handshake“ (in Anspielung an das Parteiabzeichen); aber ersteres verbietet sich von selbst, wenn du jemals eine Einstufung packen willst, um einen Musikerberufsausweis zu bekommen, und letzteres ist Englisch – und DAS geht als Bandname sowieso nicht. Nichtmal „Lenin rules!“ würden die von der Kommission durchgehen lassen!

Also Gaukler Rockband. Nahe an Till Eulenspiegel. Deshalb gehen eventuell ein paar deftige Sprüche eher als volksnah durch. Relativ schneller Aufstieg und 3 Titel auf einer Nachwuchsförder-LP namens „Kleeblatt“ (1980) waren gebongt. Würde es bald eine eigene LP geben?

Jedoch als die 3 Titel erschienen, gab es die Band bereits nicht mehr.

„Ey! Die ham die Gaukler jetze och verboten!“, mein Platten-Dealer in Prora brachte die Information von irgendwoher an.

„Und Veronika Fischer is im Westen“, wusste ich; dank Kurzurlaub und einem Zeitungsartikel in der „Jungen Welt“, in dem Reinhard Lakomy ihr ein paar Verwünschungen nachrief.

Beide Neuigkeiten sollten sich später als Quell einer ganz großen Erfolgsgeschichte erweisen: PANKOW!

Was wir nicht wussten: Franz Bartzsch, Vronis Chef-Komponist und Keyboarder, war vor ihr gegangen. Da die DDR Musik abgehauener Künstler generell „verschwinden ließ“, weil sie keine Gema-Gebühren in Westgeld bezahlen wollte, stand die Rocklady Nr.1 nun ohne Repertoire da. Vier preisgekrönte LPs nicht mehr aufführbar! Also folgte sie dem Bartzsch und sang im Westen Schlagerkram.

Ihre Reste-Combo saß derweil im Osten auf dem Trockenen. Und die Gaukler suchten ebenfalls Unterkommen in neuen Projekten. Glück im Unglück: Die alten gestandenen Bands merkten zu der Zeit gerade, dass sie dabei waren, ihr Publikum zu verlieren. Sie sahen in ihrem Hippie Style mit beginnender Altmännerplauze in New Wave Zeiten einfach nicht mehr flippig genug aus. Stern Combo und Karussell holten sich jüngere Frontmänner in die Band. Die Puhdys immerhin einen jüngeren Drummer.

Die Vroni-Reste-Truppe hatte in dieser Welle von Umbesetzungen zunächst Rainer Kirchmann, den Keyboarder von Prinzip abgeworben und schließlich Andre Herzberg, den Sänger der Gaukler gewonnen: Mangels Material übernahmen sie das Rumpf-Repertoire der Gaukler; ergänzten es um ein-zwei Zugeständnis-Songs, so dass es „ausgewogener“ wirkte und – fertig war die Sensationsgeschichte der 80er: „Das junge Tanzmusik-Ensemble, das den verpflichtenden Namen Pankow trägt.“(Herzberg; mit ironischem Unterton)

Mai 1981; kaum von der „Asche“ zurück, erstreckte sich jener schöne lange Sommer der Freiheit bevor das Studium losgehen sollte, und mitten in die NDW (West) platzt im Ostrundfunk:

„Machs gut! Inge Pawelczik! Du wilde Wahnsinnsmaus! Wir ham die ganze Nacht geliebt, in deinem Hinterhaus!“

Hick! Ost-Band? So deutlich? Auf Stimme der DDR? Wieso geht das?

Paar Wochen später:

„Mit der ersten Band hats ooch geklemmt! Wir hatten kein Glück! Mit unsrer Musik! Doch das war uns egal! Wir wollten endlich mal! Egal egal!“

Pankow zum zweiten! Was würde als Nächstes kommen? Lange geht das nicht gut!

Dann: Pankow sind für den Kunstpreis der FDJ vorgeschlagen.

Hä?!

Du hast als Ostrockliebhaber das Renftverbot‘75 mitbekommen, dich ans Interpretieren von Songzeilen gewöhnt, den philosophisch angehauchten „Weltall-Erde-Mensch-Rock“ von Lift und Stern Combo schätzen gelernt und jetzt kommst du von der Fahne zurück und plötzlich geht — Klartext?

„Pankow führen in ihren Konzerten das erste Rockspektakel der DDR auf. „Paule Panke – der Alltag eines Lehrlings“ zeigt in realistischen Texten und zeitgenössischer Musik den Reifeprozess junger Leute heute und hier.“

So und so ähnlich las sich das allüberall in „Melodie und Rhythmus“ und „Neuem Leben“ und so hörte es sich an, wenn auf „Stimme“ über die Band berichtet wurde. Das einzige Stück, was dann aus jenem Spektakel gesendet wurde, war „Ich komm nicht hoch“, der Kampf ums allmorgentliche Aufstehen. Es war einer jener 3 Gaukler-Songs von der „Kleeblatt“ LP und somit war die Spur gelegt: Pankow verwenden da was von einer „verbotenen“ Truppe!

Herbst 81: Einzug ins Studentenwohnheim in Leipzig. Der „Jörgen Schmidtchen“ (Jugend-Club) ist einen Katzensprung weit weg. Er mausert sich mehr und mehr zum Konzert-Mekka vor der Haustür. Und die Erlebnis-Reihe beginnt ausgerechnet mit: Pankow!

Ich will nicht alleine hin, bequatsche meine beiden Raumteiler, erzgebirgige Hirschbeutel-Blueser, doch mal mitzukommen, auch wenn’s nu nicht der Diestelmann (soeben abgehauen) oder der Hansi Biebl (noch da) ist. Sie kommen mit.

Wir stehen umgeben von anderen vor der Bühne: Schlagzeug, Boxentürme, Stahlrohrbett…

Licht aus! Spot an! Herzberg in Jackett, mit Hornbrille und Zettel tritt auf und markiert eine jener steifen langen Ansagen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Sein Gesabbel wird ausgeblendet, während die Band im Dunkeln ihre Stellplätze gefunden hat und nun dazwischen fährt! Rumsbumms! Herzberg wirft Brille und Jackett ab, ist von nun an Paule Panke und schmeißt sich aufs Bett:

„Ich komm nicht hoch! Nicht nochmal umdrehn!“

Die Show beginnt und hat uns vom ersten Ton an! Wir kennen alles, was da besungen wird. Ob Lehrling oder Student: Am Schraubstock stand jeder schon mal und sei es nur im UTP oder im Ferien-Job.

„Werkstattleben, das ist hektisch! Das macht Meister Falk elektrisch! Und er scheppert her und hin! Da ist irgendwie Leben drin! LE!-BEN!-DRRRIN!“ Im Wortlaut optimistisch positiv, dank Vortragsart jedoch purer Zynismus.

Selbstverständlich kommt dir prompt „Sonne wie ein Clown“ von Renft in den Sinn:

„Arbeitszeit schreit die Sirene! Ich komme wiedermal etwas zu spät! An die alte Drehmaschine! Wo nebenan mein Meister steht! Nacharbeiten! Sagt mein Meister! Deine Bummelantenzeit! Und wärest du mein eigner Sohn! Gnade Gott! Es tät dir leid!“

Aber die wurden verboten – und die hier bekommen jetzt’n Preis?

Weiter on Stage: Das Bettgestell ist nicht nur Schlafstatt, sondern Berufsverkehr-Bus, Werkbank, Sitzungsgestühl, Straßenbahn. Herzberg singt in allen erdenklichen Körperhaltungen. Jürgen Ehle on Guitar gibt die männliche Gitarrenballerina im Gymnastikanzug und Turnschuhen; Kirchmann stoisch an den Keyboards, Hille hinter den Becken der Schießbude kaum zu sehen, Resniczek springt von der Bühne, soweit ihm das die Strippe seiner Bassguitar erlaubt. Die Band hört schlagartig auf. Nur noch Bass: Dumm, di dumm, dum, di dumm…

Dann Chorus von allen:

„Pause, Pause, Paul trinkt seine Brause, Pause, Pause….“

Erst Gelächter – und ab der 6. Wiederholung – Massenchor.

Dann kommt eine Durchsage des Werksfunks: Heute nach der Schicht noch Sitzung zwecks Plankonkretisierung

„Och Meesta! Heute essen wir zeitig!“ (Der Discoabend gerät in Gefahr!)

Die Band brüllt: SITZ! ZUNG!

Auf’s Stichwort schaltet die Light-Show auf Rot. Erkennendes Massengelächtergrölen! Rotlicht-Bestrahlung hießen jene öden Dinger, in denen immer irgendwelche Potemkinschen Strategien zerredet wurden, alle zu irgendwas am Ende brav die Patsch-Hand hoben und dann endlich gehen durften.

Herzberg alias Paule denkt in dem Song erst darüber nach, ob er was sagen- oder das Maul halten soll, aber sein Schwarm Mathilde kommt ihm zuvor, spricht ein paar Misstände an, die dem Chef-Redner wie üblich nicht in seine Planübererfüllungs-Eloge passen und die prompt weggelobt werden. Paule schweigt und weiß, dass er deshalb Ärger mit Mathilde kriegen wird.

Er trottet heim, duscht und hofft trotzdem auf die Disco und das schöne Wochenende:

„Heute ist Freitag! Heute passierts!“

und

„Bist du öfters hier? Wie findstn die Musik ey?! Bist du öfters hier? Wie findstn die Musik ey?“ zu absolutem Disco-Bums Silver Convention Style

folgen.

Den Abschluss bildet DIE Abgehnummer „Komm aus’m Arsch“; ein Song in Sachen Selbstermutigung:

„Lauf endlich grade! Es wär doch schade! Du kriegst’n Buckel und hängst am Nuckel – dein Leben lang!“

Frenetischer Schlussapplaus. Zugabenforderung. Es erklingen noch „Inge Pawelcyk“ und „Egal, egal“. Noch hat die Band die Songs ihrer späteren ersten LP nicht geschrieben. Sie haben also kaum Stücke.

Zugabe-Zugabe!

Sie kommen nochmal und es ertönt: Komm Karlineken, komm Karlineken komm und geht über in Honky Tonk Woman!

Stones auf der Bühne! 1981! Strikt verboten seit Waldbühne’65! Welt im Wandel!

Erst 1983 wird eine Lizenzplatte bei Amiga erscheinen und dann wagen sogar die Puhdys im Interview davon zu träumen: „Was wir noch erreichen wollen? Ein Konzert als Vorgruppe von den Stones in Peking.“

Wir hingegen träumten’81 nicht von den Puhdys, sondern vom nächsten Pankow-Konzert!

Uns war auch viel egal! Wir wollten endlich mal! — Was dürfen!

37 Jahre später: Was bleibt? Die Band besingst’s hier. (Klick it!)

So ist das mit dem (ost)deutsch sein.

(PS: Um Verwirrung vorzubeugen: „Paule Panke“ wurde rund 2 Jahre live gespielt und medial gelobt; als LP wurde das Spektakel zwar produziert, durfte aber nicht erscheinen; statt dessen erschien mit einjähriger Verspätung 1983 die Debut-LP „Kille kille Pankow“;
Die Giftschrank-Platte „Paule Panke 1982“ wurde als AMIGA-LP 1990 in der Modrowzeit fix nachträglich auf den MArkt geworfen und ging unter.)

©Bludgeon

5 Gedanken zu “Fehler im System I

  1. Ich fand die seinerzeit von den bei uns im Dachbodenradio gespielten Ost-Bands am wenigsten schlimm, das ist leider das einzig positive was ich über Pankow sagen kann. Hätten wir damals am Mikro einen eloquenten Erklärbären wie Dich gehabt wäre das möglicherweise anders ausgegangen.

    Gefällt 2 Personen

    • Thänx für die Blumen. 🙂

      Übrigens wollte ich neulich und vorneulich also im Abstand von mehreren Wochen bei dir kommentieren und da stellte mir google wieder derart intensive Fragen, dass ich’s gelassen hab. Es ging ja vorher auch immer ohne Doppelanmeldung. Dein Junggesellenzimmerfoto fand ich schick, (mal abgesehen von der Fussballfahne. 🙂 )
      Und dieverbale Dresdenfandresche versteh ich voll und ganz, aber beim Fussball sammelt sich doch „solches Volk“ praktisch immer, die ihren Gladiatorenkomplex abrügeln müssen und die 3. Halbzeit brauchen.

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      • Da bist Du falsch informiert, es sei denn man würde 2 von 17 Spieltagen als „praktisch immer“ bezeichnen wollen. Außer Dresden und Magdeburg ist das praktisch immer Familientauglich ;).

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      • Hm. Meine über Eintracht F. über Stuttgart und Dortmund schon auch von klassischen Hool-Problemen gelesen zu haben. Das ist vermutlich das Ding der höheren Anziehungskraft von Bundesligavereinen für den Plebs. Da haben dann die kleineren Vereine eher Ruhe.
        Der Osten hat ja keinen Verein mehr oben außer Leipzig und der hat immernoch an seinem Kunstproduktimage zu knabbern.
        Dresden und Magdeburg waren zu Ostzeiten Großvereine, die nun mangels Sponsoren nicht hochkommen, weil sie keine Talente kaufen können. Ohne sie ist dieses „bestimmte Klientel“ identitär heimatlos. Jena fehlt noch in der Aufzählung – ganz ähnliches Problem. FC Carl Zeiss Jena und Dynamo Dresden – das waren mal „unsere“ Bayern und Dortmund.

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  2. Pingback: André – der unvollendete Rebell | toka-ihto-tales

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