Wie woar Weihnachten?

Olda Moa, du bist scho hundert Joahr! Sags mir, wie des woar – wie woa Weihnachten?

Ja, wie war Weihnachten eigentlich? Bevor es mit strangulierten Weihnachtsmannatrappen an Hausfassaden in amerikanischem Lichteroverkill verkam?

Bild (9)Weihnachten – das war früher eine dunkle und anheimelnde Zeit. Kein „Jingle Bells“ Geplärr in den Läden. Echte Kerzen am Weihnachtsbaum. Das Christkind kam und brachte Geschenke, aber niemand hatte es je gesehn. Im Kindergarten redeten einige vom Weihnachtsmann. Das fand ich blöd. Die verwechselten da was mit Nikolaus! Auf der letzten Seite des „Struwwelpeter“ war das Christkind immerhin deutlich abgebildet! Irgendwann im Dezember war einen ganzen Tag lang das Wohnzimmer abgeschlossen. Die Wohnzimmertüre hatte so einen unverkennbaren Quietscher, wenn man sie bewegte, aber immer wenn ich den an diesem Tag hörte, kam ich zu spät in den Flur: Das Christkind war nie zu erwischen. Abends bimmelte dann so eine Art Kuhglocke – na eigentlich eher Kälbchenglöckchen – ganz hell. Jetzt durfte ich in den Flur und die Wohnzimmerklinke betätigen: Quieeetsch! Sie ging auf! Vorsichtig eintreten und Augen aufreißen!

Ein weihevoll geschmückter Baum! Riiiiiesig (für einen Steppke von knapp einem Meter Körpergröße)! Darunter wie jedes Jahr diese herrlich bunte Krippe aus Lineol-Figuren, mit der ich gar nicht (oder nur unter sehr strenger Aufsicht von Großmutter:

„Nur hier a‘m Tiisch! Und ne a’m Boden! Da tussts no‘ a’trampln!“)

spielen durfte und die mystischer Weise, bald nach Weihnachten auch wieder verschwand. Die behielt ihre Anziehungskraft auch später noch, als ich weder an Christkind noch an Weihnachtsmänner glaubte. So sehr, dass ich manches Jahr regelrecht zu den Geschenkpaketen geschubst weden musste: Da, wickel‘ doch erst mal die andern Sachen aus!

Ich wollte die Krippe und zwar für’s ganze Jahr! Die Königsfiguren hätten so gut zu den Indianern gepasst! Denen baute ich gern Paläste aus Holzklötzen (später PeBe-Steinen) und die hübsche Maria wurde von bösen Cowboys entführt, aber der schicke blonde Engel holte die Indianer zu Hilfe und verriet ihnen das Versteck… Ein Mist aber auch, dass kein Petrus mit Schwert dabei war! Der hatte da so einem „Bösen“ ein Ohr abgeschlagen, hatte Großmutter erzählt! Das war das ganz große Manko dieses Figuren-Ensembles: Unbewaffnet und einige kniend – die konnten sich bei Gefahr alle nicht selber helfen! Da hatten Chingachgook und Toka-ihto viel zu tun!

In der Zwischenzeit waren Umzug ins Eigenheim und die Einschulung passiert. Aus der letzten Kindergartengruppe waren nur der zapplige Andreas und der fiese dicke Bernd in meine Klasse geraten, da die andern alle Hortkinder wurden, wir aber nicht. Die fremde Mehrheit war sich einig, dass der Weihnachtsmann kommt und nicht das Christkind. Die kannten das gar nicht, zeigten mir’nen Vogel – und so vollzog auch ich den Glaubenswechsel schnell und eigentlich problemlos. Ohnehin war der nur noch für ein Jahr nötig, denn einer von den anderen Andreassen klärte uns in der 2.Klasse auf: „Alles Quatsch! Das sind die Eltern!“ Dann war DIESE Mystik hin.

Aber es gab auch gewisse kindliche Ängste auszuhalten: Nicht vor der Rute oder eventueller Unbeschenktheit – nein – vor dem Thomaner-Chor! Zu Weihnachten sang der ewig lange im Fernsehen. Und sang er nicht, dann wurde er per Vinyl-LP eingespielt. Jedesmal lobten dann die Erwachsenen „die geschulten Stimmen“ und das „Gott sei dank gepflegte Erscheinungsbild“ (Gemeint war die konstante Abwesenheit von männlichem Langhaar!) und ich wusste: Mutti hat bisweilen eigenartige Bekannte mit abstrusen Erziehungstipps! So war ich schon in jene Schwimmlagerfolterfalle nach der 2. Klasse geraten und so wäre auch möglich, dass ihr irgendwann irgend so eine Tante was vorflötet, vom „Vorsingen in Leipzig“ – schwups müsste ich Thomaner werden, im Internat leben und auf lange Zeit weiter so scheiße aussehen wie die; und auch diesen ganzen alten Kram plärren „Jauchzet! Frohlocket! Mist ist erschienen!“ Mir graute davor. Zwischen 11 und 13 war es am schlimmsten: Wann würde der Satz fallen:

„Na? Hättste nicht Lust, da auch mal zu stehen?“

Aber dazu kams nie. Vielleicht lags an der fast täglichen Akkordeon-Marter, die in meinen Erzeugern die Wahrnehmung reifen ließ: Also belesen isser – aber leider völlig unmusikalisch!

So blieb die Vorweihnachtszeit bis in die Wendejahre anheimelnd schön. Die Stadt war dezent geschmückt. Der Verfall wurde uns, die wir in ihm lebten, nicht bewusst. Wir waren mit leben beschäftigt. (Heute erschrecken wir manchmal, wenn wir Fotos von damals sehen). Das Leben floss gemächlicher und abgesicherter dahin. Nie war das so spürbar, wie im Dezember. Damals hatten eigentlich alle gute Laune, kauften Geschenke, stöberten in den Läden – die zu dieser Saison auch deutlich besser bestückt wurden als sonst; da muss es irgendwo Depots gegeben haben, die für die Leipziger Messen und die Vorweihnachtszeit der Umgebung Vorrat hielten. Die Eis-Diele in der Herrenstrasse wurde alljährlich für die 4 Adventswochen Spielzeugladen! Der 6. In der Stadt! (Heute: Ein einziger kleiner widerborstig Überlebender!)

Älter werdend vollzog sich der Schwerpunktwechsel von den Spielwaren-Läden zu „Kohlmann“, dem Buchladen auf dem Markt. DER wurde praktisch mein zweites Wohnzimmer. Links die Regale mit den Jugendbüchern. Davor die Tische mit der Erwachsenen-Literatur. Rechts die Tische mit den Bildbänden und dahinter – das Land Kanaan! Die antiquarischen Angebote! Vier Schränke! Magnetisch. Suchterzeugend! Ab ungefähr 14 war ich dort fast täglich. Ich sah sofort, welches Buch vom Vortag inzwischen verkauft worden war. Und kannte mich phasenweise besser aus als der Chef.

Er (halblaut zu sich selbst): „Ich hatte doch neulich 2 Bände Hauff hier eingestellt? Sind die noch da?“

Ich: „Da drüben. Zweiter Schrank. Zweites Regal.“

Er: „Öh. Ach da! Nicht zu fassen!“

Wenn ich nicht gerade Kassetten brauchte, blieb mein Taschengeld bei Kohlmann. „Der Zug der Cimbern“, „Die Derwisch-Trommel“, Brachvogels „Oberst von Steuben“, Walter von Molos „Fridericus“, Reinwaldts „Walter von der Vogelweise“ ….

Und auch der schien Waren zurückzuhalten für Weihnachten!

Zu Hause dann im Halbdunkel der Kinderzimmer-Mansarde diese alten Schmöker lesen, begleitet von Pink Floyd- oder Genesis-Chorälen. War kein Lesestoff zur Hand, wechselte auch der Sound. Um Weihnachten herum packten mich meistens die 50er: Vorwiegend Doo Wop Aufnahmen aus Werner Voss‘ Rock&Roll Museum: Dumpf und bullig wiedergegeben über ein altes Holzkastenradio, auf dessen Senderskale noch Städte verzeichnet waren wie Königsberg und Breslau. Das passte!

Da jede Adventszeit – mal mehr, mal weniger früh-  Oma und Opa aus Frohburg bei uns einzogen, und manchmal auf mein Betteln hin bis Februar blieben, ergab sich nach manchem Abendbrot das gemeinsame Abtauchen der Erwachsenen in Erinnerungen aus „guter alter Zeit zu Hause in der alten Heimat“, was sich hinterher bei „Red sails in the sunset“ , „Tellstar“ und „we‘ll always remember Buddy Holly“ hervorragend musikalisch verarbeiten ließ, denn sowohl die Erlebnisse all der anderen, als auch diese Wirtschaftswunderklänge waren ja „vor meiner Zeit“ gewesen.

Auf Tonleitern stieg ich in sie hinab: Bei diesen Klängen sah ich dann meinen blinden Opa jung, schlank und sehend aus der Schule kommen und den Bäckerlehrling darauf hinweisen, dass der gerade „Bäkerei“ ohne „c“ über das Schaufenster des Ladens pinseln wollte. „All I had to do is dream“. Ich sah meinen Vater mit und ohne HJ-Uniform die Bubi-Kutsche durch den Ort lenken, der heute diesen unaussprechlichen tschechischen Namen führt. Ich sah ihn mit verschwollenem Gesicht bei Zittau über die Grenze schleichen. „Running like a dog to the everglades“; Großmutter hinterher. „Still as the night, cold as the wind“. Ich sah den Keller mit den von den Russen zerschossenen Einweckgläsern und hörte sie feiern, „Tallahassee Lassie“, während ich von Mal zu Mal mehr begriff, wie jene Höllennacht im Mai’45 vermutlich abgelaufen war, über die jedes Jahr ein Detail mehr zum Vorschein kam: „thats when you learning the game“… Es gruselte auch im Nachhinein noch, aber zugleich ließ es mich die Geborgenheit der Mit70er intensiv empfinden. Zum Abstellen dieser untoten Geschichten reichte es ja, das Tonband zu wechseln: Neuzeitlichere Klänge „Carry on my wayward son!“ – und weg war der Spuk!

Mit kalten Füßen unter ABBA-Beschallung auf irgendwelchen Weihnachtsmärkten herumzustehen und sich Glühwein einfüllen zu lassen, bloß weil irgendwer das für „kuhl“ erklärt hatte, wurde nie „meins“.

Bis in die Wendezeit blieb es im Wesentlichen in diesem anheimelnden Rahmen: Alle schienen Zeit zu haben. Alle suchten und fanden Harmonie im Kreise der Ihren oder gut gelaunter Kollegen bei Weihnachtsfeiern der Betriebe. Die Weihnachtsferien allerdings waren unter Ulbricht moderater gelegen als unter Honecker. Zu Unterstufenzeiten begannen sie, wenn das 18. oder 19. Fensterchen im Adventskalender geöffnet wurde, anschließend war bis zur Bescherung noch reichlich Zeit zum Schlitten fahren und Fernsehgucken. In der Ära Honecker schlich der Ferienbeginn immer näher auf den 24. zu, bis er dort mitte der 80er auch ankam. Letzter Schul- bzw. Studientag 23. 12. – Sauerei!

Auch der siegreiche Klassenfeind beließ es in den 90ern dabei. Und legte noch einige böse Schippen drauf: Hatte man Ulbricht einst alle Jahre wieder unterstellt, dass er im nächsten Jahr „sicher“ das russische „Jolkafest“ übernehmen würde, was Weihnacht und Sylvester auf einen Tag zusammengeführt hätte, so war das eher jetzt eingetreten: Zwar blieben die Feiertage alle an ihrem Platz, aber der Jahresend-Stress mit Arbeit an den Wochenenden plus „Pflichtfeiern“, wie „Weihnachtssingen“ und unmotivierten „Teamfeiern“ mitten im Jahresend-Abrechnungswahn machten Vorfreudestimmung zunehmend unmöglich. Am 24. schmeißt man sich schließlich ein paar Geschenke zu, guckt sich um – und Weihnachten ist vorbei.

Die schleichende Übernahme der amerikanischen Hyperillumination ganzer Häuser lässt die Kluft zwischen schönem Schein und innerer Leere immer heftiger empfinden. Der Small Talk, den man so mitbekommt, tut ein Übriges: Wer alles, wie sehr, von den Besuchszwängen genervt ist, was gar nicht der Fall wäre, würde man sich gesellschaftlich etwas Zeit zur Besinnung und zum Abtouren zugestehen…

Hasse ich Weihnachten? Nein! Keinesfalls. Ich vermisse es!

„Pass auf , Burli! Weihnachten! Das woar das scheenste Fest im Joahr!

 

 

10 Gedanken zu “Wie woar Weihnachten?

  1. Jaaaa, ich mag es und wie, was Du hier schreibst!!!
    Ich kann Dich so gut verstehen, ich vermisse es auch, dieses Weihnachten … und weißt Du was, ich glaube, es ist noch nicht zu spät, es auch jetzt noch zu feiern. Ich glaube daran, es beginnt im Herz und man braucht vielleicht ein paar kleine Geheimnisse und ein wenig Papierrascheln, Kerzenlicht, Fernseher aus! …Christbaum mit echten Kerzen und Zeit, Geschichten zu erzählen ein paar alte Lieder zu singen …
    Hab Dank für Deine zauberhafte Geschichte, die Waaahnsinnsmusik … alles so wunderbare Herzöffner, ich bin sicher, man kann es rufen, das Christkindl … heimlich natürlich und es kommt, wenn man reinen Herzens ist, und es sich stark genug wünscht.
    Ganz liebe Grüße G.

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  2. So war es damals auch im Westen, all das Gerenne und Gehetze kamen erst später, ja, ich vermisse sie auch, die langsamen und freudigen Schritte um mich herum. Ich selbst gehe sie und bemühe mich so viel leise und beschauliche Töne wie möglich den Enkelkindern zu schenken, die noch an den Weihnachtsmann UND das Christkind glauben, sie sind da ganz pragmatisch: zu Oma M. und Opa H. kommt das Christkind, zu dir und uns der Weihnachtsmann.
    herzliche Grüße, Ulli

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  3. Ist schon eigenartig, wie sehr das bis ins späte Erwachsenenleben irritierende Gefühl für richtig und falsch sich anhand fiktiver Figuren anerziehen lässt, sei es nun religiöse oder nur brauchtümliche.

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  4. Schön geschrieben ! Und ich muss gestehen das ich Weihnachten immer gerne arbeite und aufräume…und dann wenn alle schon in ihren Häusern sind langsam nach Haus wander, Umwege mache und in die erleuchteten Fenster schaue und hier draussen die Ruhe geniesse und ab und zu Essengerüche erschnupper und obwohl ich mit der Kirche nicht viel am Hut habe…an diesem Tag klingen Kirchenglocken schön..Dann schliesse ich die Tür auf und der ganze Familienwahnsinn geht los…hat auch was…
    Lieber Gruss, Jürgen
    PS : ein Weihnachten habe ich besonders in Erinnerung, tatsächlich viel am frühen Nachmittag des 24ten auf einmal Schnee…und da der Hamburger bei Schnee nicht Auto fährt aus Angst sein SUV könnte Kratzer bekommen…war es tatsächlich einmal still in den Strassen…das war dann das eigentliche Weihnachtsgeschenk…und so was hat erst der G20 Gipfel wieder hinbekommen 🙂

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  5. POTZBLITZ … Das ist wieder mal so ein Beitrag, der sich gewaschen hat !

    Erneuten Glückwunsch meinerseits zu Deiner Sprachgewalt ! Diese Mischung aus persönlich erlebtem, eingebettet in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist eine kleine Hymne meinerseits wert.

    Deine Worte haben etliche Assoziationen in mir ausgelöst … alle jene kindliche Vorfreude und Spannung auf das Weihnachtsfest, aber auch schmerzliche Erinnerungen, dass mir meine Eltern irgendwann mal verboten haben, bei den Weihnachtsliedern mit zu singen, da ich angeblich oder tatsächlich falsch sang … na ja … zur Strafe habe ich dann später ne Rockband gegründet *ggg*

    Und ich wiederhole mich da gerne: Die Wucht Deiner Worte fängt mich immer wieder, ein ums andere mal ein … dafür ein herzliches Dankeschön !

    Und solltest Du jemals ein „Best Of“ Deiner bisherigen Beiträge planen … dieser Beitrag müsste unverzichtbar Bestandteil dieser Compilation sein !!!!

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  6. Jo, das kenne ich auch, den Weihnachtsmann habe ich nur ein einziges Mal gesehn, auf dem Hamburger DOM. Sehr imposante Erscheinung damals. Ist sicher auch heute noch so, aber jedes Mal wenn ich mit meinen Enkelkindern spazieren gehe verpassen wir den. Nächstes Jahr gehen wir einfach zehn Minuten früher haben wir abgemacht 😀

    Aber Jesus, Maria und Chingachgook? Ernsthaft? Die drei Weisen aus dem Morgenland könnt ich noch unterbringen irgendwie und den Esel. Hat Dir wenigstens eine mitfühlende Seele zu Weihnachten eine Playstation mit Red Dead Redemption geschenkt? Dann könntste endlich mal richtig Cowboy spielen :))

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    • Playstation in den 60ern? Da hieß das noch Plasteflinte und selber schießen. Und ich hatte dann irgendwann sogar nen Metall-Colt aus dem Westen! Ranponiert zwar, die Zündplättchen konnte man sich sparen und die Inletts an den Griffen fehlten, aber der sah aus wie „echt“. Der war solange in, bis Vater seine Fuchsschwanzsäge opferte und mir aus dem Holzteil und einem Besenstielstück eine Mauser baute, wie sie in all den Filmen über die Oktoberrevolution benutzt wurde.

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      • Nee ich meinte schon das aktuelle Geschenkfest 😉
        Einen „fast echt“ aussehenden Colt hatte ich auch mal, der lag schlussendlich auf der Terrasse und diente den Ameisen als Kletterburg. Hat irgendwie schnell seinen Reiz verloren.

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