Riffmaster ist schuld. Er veröffentlichte das hier.

the princess
Da kam es mir in den Sinn, mal an diese schöne alte Geschichte zu erinnern:
Ich war 18. Es war Sommer. (Ein Schelm, wer jetzt an Maffay denkt!) Da lief im Radio ein herrlich konkretes Interview mit einer, die ich nie zuvor gehört hatte. Sie fand auch im Fernsehen nicht statt. Bilder sah ich erst nach’89 von ihr, aber die Phantasie spielte mit: „Attraktiv, schlank, braun gebrannt und realy long hair“ erzählte Klaus Wellershaus oder Peter Urban im NDR2 und erschuf mit diesen spärlichen Informantionen vor meinem inneren Auge ein Bild – hart am Original, wie sich viele Jahre später endlich herausstellte.
Aber nu lasst Opa mal erzählen. Nich‘ vom Kriech, sondern von der Sehnsucht, von mehreren Sehnsüchten unterschiedlichster Leute. Vor vielen, vielen Jahren….Wie also geht die Geschichte vom kalifornischen Schneewittchen?
Ist das, was hier folgt, ein Märchen?
Ist es die Wahrheit?
Es ist eine Sage, die Legende von einer die auszog, den Erfolg zu finden…
In memoriam „Pocahontas“ (1952-1997)
Wenn du als 25jährige 1977 in Kalifornien dein Soloalbum aufnimmst und dir dafür Little Feat und die sonstige Session-Creme tagelang zur Verfügung stehen, dann musst du schon was Besonderes sein.
Allerdings fehlt Lowell George, der damals gerade mit Rickie Lee Jones, der Ex vom Tom Waits, im Nachbarstudio ist; dafür aber schauen bei dir noch Valerie Carter, Albert Lee und Klaus Voorman vorbei, was deiner Bedeutsamkeit zusätzlichen Zunder gibt.
Wenn sich dann noch zuträgt, dass da ein Song auf der Platte ist, bei dem der Leadgitarrist nicht genannt werden darf, weil er berühmt- und bei der Konkurrenzfirma unter Vertrag ist, verführt das zum Spekulationsmarathon und deine Wichtigkeit erlangt nahezu religiöse Ausmaße, aber:
Ausgerechnet Neil Young schenkt dir nun auch noch einen Song! Du machst daraus DEINE eigene Version (und die Single zur LP) und schneidest mit deinem Debut erfolgreicher ab als der edle Spender zeitgleich mit dem „Comes a time“ Album, welches eben diesen Song auch enthält – dann müssen alle Zweifler schweigen:
Nicolette Larson – du bist schon etwas sehr Besonderes!
Trotz allem kennt sie praktisch keiner.
2007 erschien überraschend die CD
„the lotta love concert – a Tribute to Nicolette Larson“.
Sie enthielt das Who is who des kalifornischen Musik-Adels der 70er, Jackson Browne, Crosby, Stills, Nash, Bonnie Rait, Joe Walsh usw. usf.
Nicolette Larson?
Die Backgroundlerche auf diversen Folkrock- und Countryalben?
Hat die Songs geschrieben?
War die jemals wichtig?
Ein Dutzend millionenschwerer Stars gibt einer verstorbenen Backgroundsängerin gleich eine ganze Kette von Tribute-Konzerten?
Das „Best of“ davon wird weltweit auf CD veröffentlicht?
Was ist das für ein Geheimnis um diese Frau?
Sie war eine attraktive –
(Quatsch) ganz hübsche –
(Blödsinn! Trau dich, Schreiberling!)
wirklich schöne junge Frau mit langem, seeeehr langem Haar
und verheiratet mit einem nobody, als sie mies bezahlte Backgroundsängerin für Commander Cody und Emmylou Harris wurde.
Mrs. Harris zeigte sich als erste verblüfft von dem musikalischen Talent dieses unbekannten Tausendschönchens. Jeder Song gelang im ersten Take, jeder Hinweis wurde prompt umgesetzt, mancher Spontaneinfall erwies sich als passende Bereicherung – so wurden aus den beiden Look-a-likes Freundinnen. Nur hatte eben die eine einen Plattenvertrag und die andere nicht.
Eines Tages anno 1976 saßen beide beim Kaffeeklatsch auf der Harris-Terrasse in Malibu, als das Telefon klingelte und der Nachbar anrief, er hätte da ein paar Songs fertig und bräuchte wiedermal die Stimme seiner Nachbarin für den Background…
Und ob die Nachbarin nicht noch eine zweite Fee wüsste, die mitträllern könnte.
Mrs. Harris gab zur Antwort: „Die Larson ist gerade hier, wir kommen gleich mal rüber.“
„Larson? Nicolette Larson?“, schallt es zurück, „du bist heut schon die Fünfte, die mir die Larson empfiehlt! Das muss was bedeuten!“
Pocahontas
Die beiden Frauen machten sich auf den Weg.
Als sie dem Nachbarn gegenüberstanden, riss der die Augen auf, der Blitz schlug ein und Emmylou Harris kam mit dem Vorstellungssatz „ Hi, this is Nic….“ nicht zuende, weil es aus ihm lallte: „You might be Pocahontas.“
„No way, Neil! I’m Nicolette.“
Der Rest ist Rockgeschichte:
Neil Young nahm mit beiden Frauen Songs auf, die auf „american stars’n’bars“ landeten.
Einer blieb übrig und wurde später auf „rust never sleeps“ verwendet.
Aber das war längst nicht alles: Das es knisterte, wenn Neil auf Pocahontas traf, konnte niemand übersehen, aber beide waren anderweitig verheiratet und beide Ehen blieben intakt. Ob nun er oder sie dafür zuständig waren, die Balance zuhalten – die Entscheidung überlasse ich dem Leser.
Es wird lediglich überliefert, dass Neil in jener Zeit aufblühte. Mehrfach fuhr er in die Pampa: nur er, sein Jeep, die Gitarre und sie – seine Muse, Pocahontas mit den langen Haaren und dem freundlichen Wesen.
Songs entstanden. Sie motivierte ihn zu Optimismus, holte ihn aus einer seiner vielen Depressionen, sang ihm fröhliche Varianten seiner Texte vor – daraufhin bestellte er sie auch wieder ins Studio und sie spielten „Comes a time“ ein. Aber von der Fröhlichkeit im Jeep ist auf der Platte relativ wenig übrig geblieben.
Lediglich „4 strong winds“ lässt die Beschwingtheit im Jeep noch ahnen.
Vor allem „lotta love“ sollte eigentlich ganz anders klingen, aber als die Bandmaschinen liefen, ließ Neil die Band in seiner gewohnten langsam müden Art spielen, sodass Nicolette ihn hinterher zur Rede stellte: „Warum hast du es nicht flotter aufnehmen lassen?“
„Mach doch selber!“
„Gibst du mir den Song?“
Es dauerte nicht mehr lange, dass auch der Chefetage von Warner Brothers zu Ohren kam, dass da irgendwie alle Musiker von so einem Schneewittchen-Virus befallen schienen und dass dieses Schneewittchen eigentlich Nicolette hieß.
Diese wiederum hing in den Tonstudios herum, kochte Kaffee und sang hier und da im Background mit: Graham Nash, Jackson Browne, Doobie Brothers… Sie schien die roten Köpfe ihrer Auftraggeber nicht zu registrieren, übersah auch den immer noch wortkargen Jackson Browne, der gerade Witwer geworden war, sich selbst die Schuld am Tod seiner Frau gab und der sie anstierte, dass es eine Art hatte.
Als er erfuhr, dass Warner der Larson einen Vertrag für ein Album gegeben hatten, wollte er es mit ihr einspielen – zu spät: Das machen schon Little Feat.
Als man nun so song by song vorbereitete, kam der Schaffensprozess bei „Can’t get away from you“ ins Stocken. Irgendwas klang daran nicht rund. Blackout bei den Beteiligten. Da erschien Eddie van Halen im Studio hatte einen spontanen Einfall – und so kam der Song schließlich mit van Halen Gitarre aufs Album. Im Booklet steht bis heute unter dem Posten Gitarre „guitar: ?“, da er nicht bei Warner unter Vertrag war.
Nicolette revanchierte sich später im Background der Van Halen LP „Women & Children first“.
Die LP „Nicolette“ erschien 1978, erreichte kurz Platz 8 des Billboard, stürzte zwar schnell wieder in die 20er Plätze hielt sich dort aber mehrere Wochen, vor allem wegen der gefälligen Version von „lotta love“. Neil Youngs Album verkümmerte seinerzeit in den 60er Plätzen und fuhr rätselhaft schlechte Kritiken ein, während es um Nicolette Larson zum Hype kam.
Album Nummer 2 wurde 8 Monate später nachgeschoben – „In the nick of time“.
Das Schnittmuster ist dasselbe: Bisschen Poprock a la „Rumours“ (Fleetwood Mac), bisschen Barjazz (kurze Zeit später von Sade erfolgreich aufgegriffen), und den „van-Halen-Kracher“ besorgt diesmal Ronnie Montrose.
Der schien allerdings immun gegen den Schneewittchen-Virus zu sein, denn er gniedelt lediglich uninspiriert auf dem Titelsong herum.
Für LP Zwo gab es herbe Kritiken und lediglich hintere Billboardplätze.
Ein Single Hit fehlt gänzlich.

Was bleibt?
Die Musik ist vielseitig und trotzdem wie aus einem Guss. Die Gesangsleistung ist der Schwachpunkt. Es zeigt sich nun – nach dem Hype – dass zwar jeder Ton getroffen wird, aber in einem relativ austauschbaren Stimmumfang der in den prächtigen Arrangements unterzugehen droht. „Fertige Bänder inclusive Backgroundsängerin – fehlt nur noch ein Solist, der die Lieder leuchten lässt.“
Also alles fauler Zauber? Schlechte Sängerin?
Nein. Nur falsch beraten. Hör dir mal die „Luxury Liner“ von Emmylou Harris an, vor allem die Bonus-Tracks, die neuerdings die ursprüngliche LP verlängern: Da hörste, was Nicolette eigentlich kann!
Auch Sade Adu wäre in diesen opulenten Arrangements der zweiten LP untergegangen.
Emmylou Harris (mit ähnlicher Stimme) ist dergleichem immer aus dem Weg gegangen.
Frau Larson ist keine Bette Midler und keine Stevie Nicks. Sie hätte das Zeug zu einer ausgeschlafeneren Norah Jones gehabt. Auch als amerikanische Annie Haslam hätte man sie sich vorstellen können. Duette mit Alice Cooper oder Joe Cocker wären reizvoll gewesen.
Zum Höhepunkt auf der „nick of time“ wird auch tatsächlich ein Duett – mit Michael McDonald. Ausgerechnet der ist nun aber auch kein klassischer Shouter.
Die Verehrung unter den Rocktitanen bleibt ihr zwar erhalten, aber ab LP Nr. 3 beginnt der freie Fall. Immer poppiger, immer belangloser wird, was da erscheint.
Auch privat geht einiges schief: Scheidung, zweite Kurzzeitehe, ebenfalls geschieden, bis sie dann einen ihrer dauerhaftesten Studioverehrer erhört: 1990 heiratet sie Russ Kunkel, den meistbeschäftigten Drummer Kaliforniens, und hadert mit ihrem Schicksal, warum Linda Ronstadt und Emmylou Harris scheinbar alles gelingt, (beide haben kurz zuvor im Verein mit Dolly Parton gerade für „Trio“ den Country Grammy eingefahren) und ihr nicht.
Sie stürzt sich ins Mutterglück, kann aber nicht gründlich genug verdrängen und kämpft mit der Depression.
Da bringt sich 1992 Neil Young in Erinnerung. Er hat sich darauf besonnen, dass seine erfolgreichste Platte die „Harvest“ von 1972 war und die schönste Zeit einer Aufnahmesession überhaupt war die von „Comes a time“. Deshalb will er nun 20 Jahre nach „Harvest“ den „Harvest moon“ folgen lassen. Außerdem soll das Ganze hinterher wie eine Trilogie erscheinen.
Hatte Nicolette ihn einst aus dem Seelental geholt, so versucht er nun umgekehrt dasselbe.
„Harvest moon“ atmet den Geist von’76. Schon im Opener klingt die Erinnerung an die Ausfahrten von damals an und nebenbei ergibt sich für den nicht eingeweihten Hörer die Assoziationsmöglichkeit zum Kinoerlebnis „Grenzpunkt Null/Fluchtpunkt San Francisco“. In einer Szene macht der Gumball-Raser Kowalsky Halt in der Wüste bei einem Hippie – und dessen Freundin kommt auf einem Chopper daher gecruised: Lange Haare im Wind und – nackt.
Ein Karriereschub für Pocahontas wird „Harvest moon“ jedoch nicht.
Es folgen lediglich:
– ein TV-Auftritt im italienischen Fernsehen,
– eine Mutterliedplatte im Selbstverlag….
– und eine sich langsam aufstauende Krankheit.
Von Krebs war die Rede, von Anyrisma, von Tablettensucht – was auch immer; klar ist, dass es 1997 eine Kopf-Operation gab, die misslang.
Nicolette Larson starb 45jährig und hinterließ eine 7jährige Tochter sowie – typisch amerikanisch – eine horrende Arztrechnung, die leicht der Ruin der Restfamilie hätte sein können, aber wieder sprangen die Verehrer von einst ein.
Wer der Initiator der ersten Konzerte war, ist nicht überliefert, aber es gab 1997/98 gleich ein paar davon. 2006 kam dann der Gedanke auf, des bevorstehenden 10.Todestages wegen nun endlich doch eine CD daraus zu machen.
Die Plattenfirma war dann lediglich ein bisschen zu schnell mit der Veröffentlichung in Amerika. Aber bis sich nach Europa herumsprach, dass es die Tribute-CD gibt, war Silvester vorbei und 2007 tatsächlich da.
So blieb also erhalten, wie sich das anhört, wenn treue Verehrer trauern…
… und Freundinnen – wie Emmylou Harris und Bonnie Rait.
Aber einer, der die CD sicher heimlich gekauft hat, fehlt – – – NEIL YOUNG.
Sanfter Poprock, angenehm produziert und interpretiert. Vielleicht etwas zu soft, um damit Ende der 1970er – Anfang der 1980er Jahre wirklich abzuräumen.
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Leider wahr. Es war die Zeit der Rock-Lady-Inflation: Zu den gestandenen Linda Ronstadt, Emmylou Harris und Patti Smith kamen plötzlich all die neuen Namen im Blondie-Zugzwang der Plattenfirmen: Women are the next big thing! Helen Schneider, Rickie Lee Jones, Karla Bonoff, Dyane Diamond, Ellen Foley, Rachel Sweet, Laura Allan, Genya Raven, Joan Armatrading… und Kinderstar Tanya Tucker wurde erwachsen und brach die Countryregeln für zwei Rockalben (äh, falsch: ein gutes Rock-Album „TnT“und ein flaches Pop-Album; dann war sie wieder im Country). Die Tucker wurde übrigens genauso schlecht beraten, wie die Larson: Beide hätten mehr gekonnt; die stimmlichen Fähigkeiten waren da.
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Der Name hat mir zwar was gesagt, aber lange nicht so viel, danke für die Geschichte. Wenn Onkel Neil so ein Fan war muss ich die wohl mal anhören, hat neugierig gemacht
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