When the Walzer gets the Blues…

Der CD-Lift sinkt in den Player. Quälende Sekunden des Einlesens dehnen sich zu Stunden, Vinyl ging früher schneller los.

Dann: Rhythmisches Ticken, sowas ähnliches wie Kastagnetten werden dazu gemischt und — STREICHER!

                   Cinematoscope – Breitwandsound

Bild (6)kopKreischweiberbackground deireckt from the Black Messiah Rebirthing Church und „grummel grummel“ mischt schließlich ER sich dazu: Barry. Der dicke schwarze Autoreifendieb, der dann -behind vergittert windows- sein Elvis-Erweckungserlebnis gehabt haben soll. Die Chronisten sind sich uneins, ob es „Its now or never“ oder „in the ghetto“ war. Jedenfalls soll er die Message auf sich bezogen haben, aus dem Knast gekommen sein – und von Stund an war er ein Topkomponist, Toparrangeur,  Toporchesterchef. …. Wie das so geht im Land der platten Klopse, weiß ich auch nicht.

Immer, wenn dieses „Philly-Gedöns“ läuft, entstehen filmische Collagen in meinem Kopf. Ganz gleich ob es deren Bestandteile wirklich gab, oder ob sie lediglich der eigenen Phantasie entspringen. Philly war „mein first cut“. Musikalisch betrachtet. Im Dauerdudel des Deutschlandfunks der frühen 70er lief fast nur Trost-Mugge für die „Generation Großdeutschland“. Bert Kaempfert, Freddy Quinn, Heino, Roberto Blancos „Puppenspieler“, Katja Epsteins „Wunder gibt es immer wieder“ usw. Ab und an aber verirrte sich George McCrae oder Barry White ins Sendekonzept. Bild (8)Aufhorcher! Papa wusch in der Einfahrt unterm Fenster den Mosquitsch, der DLF plärrt dazu und plötzlich kommen da diese Philly-Einsprengsel: Wolkenkratzer-Assoziation, Vorspannmusiken aus Kino und TV. Damals schon. Heute kommt noch mehr dazu:

Es war die Zeit der Vorabendserien, „Eddies Vater“, „Partridge Family“, „Elefantenboy“; des zunehmenden Aufbleiben dürfens, wenn Kojak kam – der begann erst um neun! Immer häufiger blieb der Kanalwahlknopf des Fernsehers (statt auf der 6) zwischen 9 und 10 (also Klassenfeindsender) Werbefernsehen für „Männer“: Heiiiiii-ßes Wasser! Stiiiiiiiiebl eltron. Die General-Putzfee tanzt sexy durchs Haus. Rumms kam die Faust mit der Uhr durch die Scheibe! Timex!

(Der Sohn vom Nachbarn probierts am Schuppenfenster mit seiner Ruhla-Uhr, kaum, dass er sie bekommen hat….klirr, kaputt and bloody fingers!)

Lass uns frischwärts gehen! Hey is’das ein Ding… Die Pyramide aus „Westbüchsen“, deren Getränke-Inhalt längst durchs Gedärm der Vorbesitzer zirkuliert war, wuchs auf dem Bücherschrank, auf dem das Spulentonband noch fehlte. Die Haare durften endlich wachsen…

Die Erinnerungslawine wächst von Jahr zu Jahr. Leg ich sowas heute auf, dannnnnn…

…kommt da ein Muscle Car um die Ecke geschwebt, hält vor einem Wolkenkratzer, irgendwo in Deutschland. Sagen wir Berlin. Es entsteigt – Kojak, schiebt sich den Lolli in den Mund und winkt mit dem Kopf dem 70er Jahre Mercedes hinter ihm. Der überholt darauf hin und fährt weiter. Im Abrollen erkenne ich, der ich im 20. Stock die Szenerie da unten überblicke, die Tränensäcke und Derricks Hundeblick zu mir herauf auf dem Beifahrersitz…

Ich ahne, Kojak will zu mir. Aber er kommt zu spät. Er wird unten von Polizisten aufgehalten. „Sie haben den Fall nicht mehr“.

philly b„Wer dann? Frankie Cannon? Rockfort?“

„Inspector Columbo. Is‘ bereits oben. Rufmordkommission L.A.“

„Ennnn-zückend, Baby. Warum hab ich mir dann den Weg gemacht?“

Kojak dreht bei, steigt wieder in den Wagen und entschwindet in seinem rollin‘ Flugzeugträger lautlos um die nächste Ecke, um die zuvor „Harry“ schon seinen „Stephan“ geschaukelt hat.

Ich wende mich vom Fenster weg meinem Gast zu, der wiederum mir den Rücken zuwendet und meinen CD Schrank inspiziert.

„Was wollen Sie nun eigentlich?“, erkundige ich mich noch freundlich nichts ahnend.

„Nichts-nichts. Nur eine Formsache. Sie wissen doch Hassmails, Shitstorm, Rufmord, wie das alles heute heißt…“

„Ja; is‘ mir bekannt. Ich hoffte bisher, mich zurückgehalten zu haben.“

„Nun. Ein paar Fragen hätte ich da. Darf ich anfangen?“

„Bitte.“, es klingt mauliger als ich wollte.

„Sie haben on the prog path geschrieben. In ihrem Blog. Richtig?“

„Ja.“

„In zwei anderen Texten outen sie sich als DDR-Möchtegern-Punk, richtig?“

„Richtig.“

„Sie mögen Ostrock und schreiben bisweilen so, als wäre ihr zweiter Vorname „Renft“; habe ich das richtig interpretiert?“

Ich nicke nur noch genervt. Nun will er schlichten:

„Ach wissen Sie Engerling! Die kenne sogar ich! Mein Schwager ist doch so ein großer Mitch Ryder Fan und Engerling sind bei dem …“

„Mr. Columbo! Sie rauben meine Zeit!“

„Entschuldigen Sie. Nun ich komme wieder zur Sache: Es ist ja schon komisch, dass sie, wenn sie, wie sie sagen YES mögen, auch Elvis-Fan sind. Hinzu kommt nun noch, das mit dem Punk. Aber, verzeihen Sie- “

„Jadoch.“ seufze ich genervt.

„Wenn ich in ihr CD Regal schaue, finde ich 8x YES; 8x Elvis; aber 5x Barry White und 12 verschiedene Philly-Sampler!“

Ich erröte nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei.

„Den White hab ich seit Jahren; bei Elvis haben Sie sich übrigens verzählt, da stehen noch welche in zweiter Reihe; die Sampler stammen aus meiner Revivalphase vor 2 Jahren. Ich dachte mir, wenn ich all meinen Phasen ein Denkmal setze, dann darf die allererste nicht fehlen. Ist das ein Verbrechen?“Bild

Er hebt abwehrend die Hand: „Nichts Menschliches ist mir fremd Mr. Bludgeon. Wissen Sie, meine Frau stand ja auch immer auf dieses Phillyzeugs.“ Er pfeift kurz Van MyCoys „to the huzzle“ an.

Ich geh drauf ein, will mich sicherheitshalber einschleimen und imitiere Shirley & Company:

„Can’t stop me, Muck! Can’t stand that stop. My feet want to move, so: Get out my way…“ ich übernehme beide Stimmen, kreische also auch, wie jener Hippie da in der „Schaubude“ vom NDR ’75 und bemerke zu spät seine Kopfbewegung an die beiden Constables in meinem Rücken.

„Abführen. Das isser.“

Und zu mir gewandt: „Das tut mir leid Mr. Bludgeon. Lassen Sie sich überraschen, wie’s weiter geht.“

„Ja, aber was ist denn nun der Vorwurf?“ Ich tappe völlig im Dunkeln.

„Hochstapelei in Sachen Progrock, Irreführung der Leser in Sachen Punk; fortgesetztes Abbabashing, ebenso Puhdys, ebenso Karat, Krautrockbeschimpfung in Tateinheit mit zwangsneurotischer 68er Bekrittelung,“ er bricht ab, schaut mich fragend an: „Soll ich weiter machen?“

Ich breche innerlich zusammen. Die Handschellen klicken. Die beiden Gesetzeshüter bringen mich zum Fahrstuhl. Unten muss ich mit ihnen in so ein amerikanisches Polizeiauto steigen. Einer von ihnen setzt sich mit mir nach hinten. Der andere nimmt hinter dem Lenkrad Platz.Bild (5)

Mir wird komisch zumute. Wir sind immer noch in Deutschland. Aber amerikanische Ermittlungen? Ein verstorbener amerikanischer TV-Kommissar? Dieser Police-Car-Oldtimer! Dann sehe ich, wie der Fahrer statt zu starten eine Kassette in den Schlitz im Armaturenbrett schiebt.

„dommdidammdadi, domdidammdadie, ehe-i yeah-haer!“

Eben denk‘ ich noch: Das kenn ich!

Da singts auch schon mit näselnder Stimme los:

„Who can fly my heart like a bamboo kite
Make it twirl and gyrate just like a gyro delight…“
Als der Refrain kommt will ich gerade einstimmen, da grölen meine beiden Polizisten schon aus vollem Halse:

„Only you ca-han/ aha aha /only youhuhuhu-huuuu.“

Ich starre verblüfft von einem zum andern. Was hamm die genommen? Der neben mir schließt meine Handschellen auf. Dann verlassen beide den Wagen. Völlig verdattert sitz ich da. In einem leeren amerikanischen Police-Car der 70er auf der Rückbank. Vorn dudelt die Musi einen meiner Jugendhits nach dem andern. Strictly ‘75er Kram. Ich wage nicht, auszusteigen.

Da werden die beiden hinteren Türen links und rechts aufgerissen. Zwei wohlbeleibte, alte Afroamerikanerinnen mit riesigen Angela Davis Perücken plumpsen neben mir in die Polster, knallen die Türen zu und grinsen mich an.ladies kopp1

Die zur rechten nickt und grinst: „Gaynor; Gloria.“

Die zur linken nimmts als Stichwort sich ebenfalls vorzustellen: „Gwen McCrae“

„Ich…ich…verstehe nur Bahnhof….“

„Airport. Du vers-tehen Airport. Not Baaahnhoff.“ antwortet Gloria rechts.

„Flughejvän; saggd man auf doitsh. Where the big birds fly.“ ergänzt Gwen zur linken.

Aber noch fehlt der Fahrer.

Der kommt soeben. Columbo selbst; öffnet die Fahrertür, schmeißt etwas kantig verpacktes auf den Beifahrersitz, startet den Wagen und erklärt nach hinten, akzentfrei mit der Stimme seines Synchronsprechers:

„Entschuldigen Sie die Verspätung, Mr. Bludgeon. Ich musste noch die beiden Bilderrahmen kaufen.“

„Wofür sind die? Was haben die mit mir zu tun?“ die Lage bleibt unübersichtlich.

„Drive Inspector, drive! I explain the show.“ übernimmt Gwen das Wort, „Barry jr. is waiting!“

Die beiden Bilderrahmen sind für mich. Ich bekomme erklärt, dass ich großartige Leute treffen werde; sicher drüber schreiben wolle, wenn ich zurück bin; aber Zaphod und Ärmel würden dann wieder kommentieren, dass Philly angeblich Gülle sei. Ich soll mir die zu erwartenden Kommentare ausdrucken und zum Spaß ins Arbeitszimmer zwischen die Erinnerungsfotos hängen. „They roastin‘ you. Laugh it away!“ Befreit lache ich auf.

Nun seh‘ ich langsam durch: Ich bekomme eine Woche Ostküste spendiert; New York, Philadelphia und die Reste des TK-Studios in Miami; ich begebe mich an die Wurzeln des Phillysounds, werde die übriggebliebenen O‘Jays treffen, die Hinterbliebenen von Gamble & Huff, von Tom Moulton; die Nachfahren von Lou Rawls, mehrere Witwen von Teddy Pendergrass, zwei Veteraninnen der Three Degrees. Gwen McCrae beginnt, mich alle 5 Minuten zu umarmen: „My very first Fan in Germany! No one knows me here!“ wiederholt sie immer wieder.

ladiesAls es mir zuviel wird, singe ich „Let me be your rocking chair!“ Gloria kreischt auf und lacht los.

Gwen beendet prompt die Umarmung: „Boy! I could be your Mother, if you were black!“

Nun erröte ich, worauf sie wieder lacht, mir kameradschaftlich aufs Bein patscht und schnell relativiert: „This old lyrics are not ingenious ones. But the people, who loved it, were not all together Weinsteins. I’m sure!“

Wir geben uns „5“ und ich singe zur Wiedergutmachung kurz:“ I’ve got nothing to lose, but the Blues.“

Gwen wird besinnlich. „Yeah! Thats a good one. But it wasn’t a Single, and so it becomes a unknown Nugget.“ Sie wuschelt mir im Haar rum, wie Tanten es bei Neffen tun. „Good Boy. You know my songs.“

Als wir in Tegel ankommen, ist Gate 17 für uns reserviert. Wir werden anstandslos durchgewunken. Keine Kontrollen – nichts. Ein Charter-Jet wartet. Roter Teppich auf dem Rollfeld führt die Gangway hoch in die Boeing hinein, auf deren Außenhaut in großen Lettern gelesen werden kann: Barry White Airlines!

Ich bekomme schon Muskelkater in den Mundwinkeln vom Dauergrinsen. DIE alte Geschichte weiß ich sofort wieder! Der dicke Schwarze oben stellt sich als Barry White jr. vor. Er hatte per Zufall ein altes Englischschulbuch der DDR erworben (warum auch immer!), indem der pubertierende Vorbesitzer herumgemalt hatte. Damals anno’75. Da gab es eine Abbildung von Paul Robeson auf der Gangway einer Aeroflot-Maschine der UdSSR. Das Schülerlein hatte das „Aeroflot“ mit schwarzem Filzer getilgt und sauber „Barry -White-Airlines“ darüber geschrieben. Das Robesongesicht wurde mit einem Vollbart ergänzt. In Kopfhöhe des Paul R. alias nun Barry White prangte eine Sprechblase: „Hallo, my fans in GDR!“

Dieser Fund hatte ihn in die Spur gesetzt:

„Who is this guy! He likes my Dad! It must be a boy! Girls are not kidding this way!“

Die Suche dauerte. Schließlich hatten sie mich.Bild (2)

Inzwischen sitzen wir im Flieger. Gwen, Gloria, ich, Barry jr. und Columbo. Wir starten.

Im Hintergrund läuft das „Love theme“, das klingt, wie der bestellte Soundtrack für einen Rundflug um die Freiheitsstatue. Mir kommen noch „Theme from Shaft“; die Vorspann-Mugge zu „Einsatz in Manhattan“ und dieses Liedchen aus „Eddies Vater“ in den Sinn.

„You‘re the first european male Hetero, who likes Phillysound!“ erklärte Gloria verwundert, „you’re kind o’unicorn! Unbelievable!“

„Yes. I’m nearly dead. Please play – reach out I’ll be there – at my Funeral!“ rutscht mir raus. Bin eben kein Diplomat.

Aber sie lachen. Amerikanerinnen verstehen Zynismus, vermute ich.

„I guess – I will survive – is the better line for events like that.“ schiebt Gloria nach.

Ich schüttle den Kopf: „Godfather may sing: What am I gonna do with you?!

„Au!“ kreischt Barry jr. dazu passend kurz auf. Lachsalve in der Runde.

Wir fliegen zwar, aber ich komme nicht auf der anderen Seite des Atlantik an, denn plötzlich ist Stille im Raum. Die Ladies, das Flugzeug, der Breitwandsound haben sich verflüchtigt. Ich sitze nicht irgendwo in Berlin im 20.Stock  oder im Plüsch eines Millionär-Fliegers, sondern brav in der Provinz im Arbeitszimmer mit den großen Boxen. Finales leises Rattern im Player: CD aus. Tagtraum zu ende.

Und das alles bloß, weil ich mir wiedermal Ol’Barry‘s „Rhapsody in White“ in den Player geschoben habe. Seine Beste.

 

7 Gedanken zu “When the Walzer gets the Blues…

  1. „Rock Your Baby“ von George McCrae: Ein selten glasklarer Sound, inklusive der exzeptionellen, irgendwo zwischen Steve Croppers-Atlantic-Aufnahmen und Curtis Mayfield oszillierenden Licks von Rhythmusgitarrist Jerome Smith; ein unwiederholbar infektiöser Stil, den man nirgendwo anders hören kann.

    Gefällt 2 Personen

  2. Sexy Mama *g*
    Der Text war mir zu eintönig, aber die Gitarre gefiel mir. Immerhin nicht so viel Streicherschmalz wie beim dicken Barry. Letztlich fällt Schorsch McKräh aber in die Rubrik „Bundeswehrkantinenmusicbox“ und ist damit für immer verbrannt.

    Gefällt 1 Person

    • 🙂 Ich hoffe mit Text ist nur der von Rocking Chair gemeint und nicht etwa mein Phillymärchen von Columbo und Barry jr…….schluchz, schnief…..Die Sache mit George und der Kantine kann ich verstehn. Jedoch ergänzenswert: ein gewisser John Lennon hat sich ausdrücklich bei McCrae bedankt für die 7 Minutenversion, weil er erfolgreich Versöhnung feiern konnte mit einer gewissen Yoko, nachdem er paar Monate lang mit Bowie und anderen so ne Art verspäteten Junggesellenabschied im Dauerrausch in Kalifornien abgezogen hat. . (Steht im Booklet.)

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      • Nicht doch, Deine Geschichten waren schon immer das reinste Vergnügen, gemeint war natürlich der Text von Rock your Baby 😉
        Gefühlt irgendwie 20 mal der Refrain, die 8 Zeilen zwischendurch hab ich inzwischen vergessen.

        Gefällt 1 Person

  3. Pingback: Dexter | toka-ihto-tales

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