The days before Rock & Roll (1)

Van Morrisons „Enlightenment“ CD verklingt soeben, mit diesem herrlich gefühligen Abstecher in   „The Days before Rock & Roll“. Seine Reminiszenz an alte Holzkastenradios mit magischem Auge, Lang-und Kurzwellen-Sendersuche nach raren Oasen guter Musik und „Justin, Justin, where is Justin now?“ DER Moderator, der die Goodies besorgte und erklärte, sodass sie wirken konnten in ungeschulten Ohren. Namedropping ohne Ende: Sam & Dave, Wilson Pickett and the High-Priest — Ray Charles! Yeahr.

Peinlich nur das eine: Es ist seine Geschichte und nicht meine. (Keimzeit)

Ich war später dran. Mein Justin heißt Gerd Alzen. Die Sendung „Memory Hits“. Die lief im Deutschlandfunk in den spät60ern/früh 70ern noch sonntags zur Essenszeit im Wechsel mit den lustigen Musikanten. Eine Woche Umtata „Melniker Mädel – Melniker Knödel“, was immerhin gut zum Teller vor mir passte, und die andere Woche Hottentottenmusike mit diesem unverschleißbaren Reng-reng-reng-Intro. Vater mochte das zwar nicht, aber seine Kofferradios schienen keinen Sendersuchlauf zu haben. Einmal DLF immer DLF. Später gab es eine Programmreform und die Memoryhits bekamen den Sonntagabendtermin. Der wiederum entfaltete geradezu mystische Wirkung auf den ältergewordenen kleinen Dakota, wenn er im Feriendomizil bei Oma war.

Das Internetgoogeling ergab, dass es die „Memory Hits“ erst seit 1969 gegeben haben soll. Es gab aber zwei oder 3 Melodien, die ich bereits im Vorschulalter oder in sehr früher Schulzeit aufschnappte, die ich immer mal wieder vor mich hinpfiff, in Ermanglung von Platte und Recorder und von denen ich nicht einmal den Namen kannte.

In den 60ern war ansonsten Kinderlied- und Märchenplattenzeit. Im Radio war tote Hose. Wortbeiträge den lieben langen Tag und dazwischen Orchesterdudel und Operettenhäppchen. Ab und an Schlager. Woodstock passierte quasi unter Ausschluss medialer Öffentlichkeit.

Zuhause gab es diesen Plattenspieler mit hellbraunem Lederbezug, halb eckig, halb oval, mit einem kleinen Lautsprecher im Innendeckel; und noch ohne jegliche Buchsen an der Seite für „Mitschneidefreunde“.

Allerhand Vinyl wurde angeschafft, auch Kinderplatten, wodurch der Plattenspieler nach und nach MEINER wurde: „Ferdinand – Das Zauberhäuschen“, „Die Gerechten von Kummerow“, „Die Bremer Stadtmusikanten“ usw. – damit kommt man gut durch eine Kindheit.

„Wir ziehen in die Große Stadt. Tschingtrara bumbum.

Die Platz genug für alle hat. Tschintrara bumbum.

4 Stadtmusikanten wollen wir werden. Tschingtrara! – Bumtrara!

Und dann gibt’s nicht mehr Not auf Erden! Tschingtrara! – Bumtrara!

Und wir sind froh, so froh! Und wir sind so froh!

I-ah! Wuffwuff! Mi-auuuuu! Kikerik-kie-hi!“

Komplettiert in den frühen 70ern durch die „Komikerparade“ mit der Eberhard Cohrs Version des Erlkönig und Herricht & Preils „Mückentötulin“ , sowie die beliebte Otto Reuter Couplets-LP mit „Blusenkauf“ und „..isser weg, isser hier? Ja wo hängt der Überzieher…“ Mit 10 konnte ich die auswendig, mehr ahnend als wissend, was ich da sang:

Ein Backfisch wurde leidend
Er ward mal blass mal rot
„Mir scheint, du kriegst de Masern noch!“
Sagte die Mama voll Not
(…)
De Mutter frägt „Sind’s Masern?“
Der Doktor aber spricht:
„Eene Kinderkrankheet isset
Aber de Masern sindet nicht!“

Bei Oma und Opa in F. gab es keinen Plattenspieler. Aber eine unerschöpfliche Bodenkammer zwecks Schatzsuche und ein Holzkastenradio, malerisch in der mansardenschrägen, dunkelsten Ecke des Wohnzimmers. Das lief den ganzen Tag lang. Bedudelung im Alte-Leute-Haushalt. Sonntagabend dann „Memory-Hits“ und Omas Schnittchen. Keine Vaterkommentare a la „Negergeheul“ oder „tibetanische Tempeltänze“. Ein Kassettenrecorder war noch nicht erbettelt, die Jugendweihe noch weit, aber die Namen all der Bobby’s und Peggy’s, der Jimmy’s und Johnny’s, die sich längst in keiner Hitparade mehr wiederfanden, waren bereits interessant geworden. Musikalische Raritäten „aus grauer Vorzeit“ wie zuvor das Spielzeug aus der Bodenkammer. Malblockdeckel und Hefter wurden damit verziert. Rechtschreibung ohnli nach Gehör. Immermal wieder war dann Lehrerrazzia:

Bis morgen neuer Hefter, klar! Westwerbung hat hier nüscht zu suchen! Du willst auf die EOS!

Okay.

(Auf dem Heimweg Hefter kaufen, 14 Tage später sah der wieder so aus, wie der alte.) Aber das war 6./7. Klasse.

Schon Jahre vorher war Dank „Butzemann-Haus“ vormittags und „Sandmann“ abends Radiohören bei Oma allweil interessanter als zu Hause. Hier wurden ab und an die Sender gewechselt. Zwischen den Endlosberichten von Planübererfüllung, Fußballübertragungen oder Elogen auf Gabi Seyfert dudelte da ab und an sowas wie „der Babysitter-Boogie“ oder „La postella! Blau ist die Nacht….“ und Ohrwürmer der Gattung „Tan-Tan-Tanderadei-dei-dei! Wir fahren Tandem…“ Dazwischen aber gab es noch viel besseres, mitreißenderes – Instrumentals halt, die die Pausen vor den Nachrichten füllen sollten und die richtig ins Ohr gingen. Als ich nach 1975 per Rekorder schließlich auf Oldiesjagd war, da gerieten mir alle diese Dinger aufs Band und ich staunte, wie alt die waren: Peter Gun, last Date, Red River Rock, Apache, Rebel Roucer… und all denen voran –  Telstar! Mein Sandkastensound war viel, viel älter, als gedacht! Long time gone sozusagen, als alte MOSAIKs noch neu waren, als es im MAGAZIN noch diese viel schickere Werbung gab, die so anheimelte, weil die Leute alle aussahen wie in Humphrey Bogart Filmen. Das war die Zeit, in der EMW und F8 noch gebaut wurden! Unvorstellbar lange her! Long before Gary Glitter, Alvin Stardust, before Slade … als Buddy Holly noch lebte, die Shirelles so herrlich HEISS vom ersten Kuss berichteten…and the High-Priest Elvis „a whistling tune for walking in the night“ pfiff.

Eben realy MY days before Rock & Roll!

7 Gedanken zu “The days before Rock & Roll (1)

  1. Ich bekam das erste Radio als gebraucht von meiner Tante, mit Wähldrehscheibe…kurz vor antik…aber man konnte damit den WDR empfangen und dort lief so um 1975 alle 2 Wochen so von 21.00-24.00 Winfried Trenklers Sendung : in between mit Jazz und Rockmusik…also frühe Müdigkeit vorgetäuscht, zur Freude der Eltern rechtzeitig im Bett abgetaucht…und am nächsten Morgen extreme Aufwachprobleme 🙂 …dann kündigte er an die Sendung einzustellen und was Neues zu machen : es kam : Schwingungen, eine Sendung mit der neusten elektronische Musik.. ich hatte immer 2 90min Leercassetten bereit um den Recorder zu füttern, ein superteurer Philips den ich mir durch Sommerferienarbeit selbst verdient hatte und zum Entsetzen der Eltern dann gekauft habe (Junge , spare für dein Leben….) Und eines Abends durfte ich bei einem Freund übernachten, nahm den Recorder mit und schloss ihn an seinem Radio an…am folgenden Tag dann die Offenbarung : ich hörte die Sendung über Kopfhörer zu Hause nochmal an…aber was war das, ein Geräusch wanderte von links nach rechts, ebenso eine Fliege…ich sah mich verwirrt um, es gab keine Fliege im Kinderzimmer….aber das Radio meines Freundes konnte STEREO…und mein Recorder auch, nur ich bis dahin nicht !
    PS : Fliege war von Pink Floyd CD Ummagumma und starb eines grässlichen Todes 🙂
    LG Jürgen

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    • Oh mon dieu! Was löst du da aus: Erstes Radio kriegen, Nachtwachen wegen „Rums“ vom HR3 und die Stereoentdeckung – alles lief bei mir zwar anders, aber doch fast genau so! Ich muss fortsetzen – unbedingt.

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  2. Ein Radio im Haus, das wäre was gewesen, hier lief nur die Glotze. Mit Chance durfte man Chris Howland gucken, Babysitter Boogie und so. Radio gab es erst als „man“ eine gute Stereoanlage besitzen musste, weil der Nachbar… da hat sich mein alter Herr was von Arena, Lenco und Heco zusammenstellen lassen, mit ganz viel James Last dabei.
    Die Musiktruhen meiner Onkels und Tanten mit den 10er Wechslern haben mich daher magisch angezogen, erst recht, als das von den älteren Cousinen mit solchen Schätzen wie Rubber Soul, Revolver, Aftermath und irgendwat von Donovan gefüttert wurden. Ferien mit einem Ohr dicht am Breitbandlautsprecher, weil die Tante etwas lärmempfindlich war. Zuhause wieder Glotze.

    Der Rock’n Roll war in meiner Familie nicht sehr ausgeprägt, hab ich alles alleine nachholen müssen. Elvis und Co. viel später aus musikhistorischen Gründen, aber diese Rengedengdeng-Gitarrenstücke fand ich auch immer geil.

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    • Ach ja, als großer Fan von Van the Man muss ich allerdings sagen, dass ich Enlightenment für eine seiner schlimmsten Scheiben überhaupt halte. Furchtbares Gedudel geradezu, wenn man weiß was der Mann sonst so kann/konnte.

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      • Sowas Ähnliches hab ich fast schon erwartet. Bist halt älter. Und hast vermutlich keine Bläserallergie so wie icke. Wenn der Mr. Fensterputzer in seinen Arrangements nicht so viel Getute hätte, dann stünden hier mehr als nur 2 Scheiben. Textlich, stimmlich ist er ne Wucht, aber diese Klarinettiererei und Tröt und Huup, neee – dat isset eben nich.
        Mit der Beautiful Vision ging es bei mir los; die hat auch viel Blaswerk, aber dosiert, Ohr umschmeichelnd. Warum die mir von 1983 an gefiel, kann ich nicht mal richtig erklären. Es ist aber so. Die Enlightenment wurde zu Wendezeiten im NME gelobhudelt und deshalb hörte ich rein – Peng! Da saß auch alles tonal wo’s sitzen muss.

        Zwischenzeitlich wollte mich immer mal wieder jemand mit der Moondance, der astral weeks oder der common one beglücken – aber – nee. Da zündete wenig (moondance) bis nix (Veedon fleece)

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  3. Wenn Dir die Beautiful Vision gefällt, dann bestimmt auch der Nachfolger, Inarticulate Speech of the Heart, die sind sich recht ähnlich, beide sehr schön.
    Am liebsten ist mir aber die Night in San Francisco, die Band ist fantastisch, der Grantler in Höchstform und die Songauswahl für mich absolut perfekt, das geht musikalisch so dermaßen ab da…

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