Verliebt, verhoben, vergessen, verehrt…

Man könnte Wikipedia anklicken und sich über Georg II. von Sachsen-Meiningen informieren. Man erführe auch die Namen seiner 3 Ehefrauen. Jede von ihnen hat wiederum eine eigene Schlagwortseite. Es wäre alles da. Aber: Wer macht das schon? Georg II.? Und dann noch nicht mal der King des UK? Wozu?

Im Sommer 2017 saß ich im Buchladen von Meiningen und wartete auf eine Regenpause draußen. In jenem Sommer konnte sowas dauern! Der Bildband, den ich in dieser Zeit (quer)las, enthielt all die obengenannten Informationen. Und er verschwieg, dass Friedrich Spielhagen einer der häufigsten Besucher des Hofes jenes Kleinstaatregenten war.

Wen juckt’s?

Mich!

Spielhagen ist mein literarischer Hausgott. Die Fakten zu den drei Ehen entrollten mir den Tatsachen-Hintergrund zu einem seiner Romane: Allzeit voran! (1872)

2017 ist obendrein das Diana-Jahr: 20 Jahre Tunneltod! Da kommt einem in der Georg-Biografie viel bekannt vor. 100 Jahre Unterschied. Mehr als der Übergang von der Kutsche zum Auto? Mesalliancen können immer noch Thema werden. Und was bedeutet „morganatische“ Ehe; bzw. „Ehe zur linken Hand“?

Ich wurde somit auf die Spur gesetzt: Der tatsächliche Georg von Wettin, Herzog von Sachsen-Meiningen, wurde steinalt, starb 1914, war intelligent, diplomierter Historiker, eher propreußisch und liberal gesinnt und er war 3x verheiratet. Zum ersten Mal (mit Charlotte v. Hohenzollern) sehr glücklich, doch Kindbettfieber kennt kein arm und reich; die vierte Geburt beendet die Ehe Nr.1.

Die zweite Ehe (mit Feodora von Hohenlohe-Langenburg) verläuft sehr unglücklich, da Ehefrau Nr.2 zwar jung und hübsch, aber borniert und künstlerisch völlig desinteressiert war, weshalb der Herzog einsehen muss, hier nichts mehr „umprägen“ zu können und mehr und mehr allein ins Theater ging. Gerüchte entstehen. Das Gemunkel wird Tatsache. Frau Nr.2 frustriert‘s. Sie erkrankt, hat keine Widerstandskraft (mehr) und stirbt 32jährig; erlöst somit beide Ehepartner aus einem fast feindseligem Verhältnis.

Georg ist 46 und heiratet das letzte Mal; „nur“ morganatisch; eine Bürgerliche; sein Langzeitverhältnis; eine Schauspielerin. Ellen Franz. Sie ist im gleichen Alter wie seine zweite Frau, weniger attraktiv, jedoch intellektuell ansprechbar wie seine erste. Das Verhältnis begann 4 Jahre vor dem Tod von Ehefrau Nr. 2. Die Attraktivere verliert. Eine deutliche Windsor-Parallele. Deren Wurzeln liegen „nebenan“ im Gothaischen.

 

Spielhagen schrieb seinen Roman als Liebesroman, Arztroman, Politikum. In der Nebenfigur des Apothekers der Residenz wird er obendrein passagenweise zur Klamotte. Wieder einmal hat er Stoff für ein Großwerk, ein gesellschaftliches Komplettpanorama wie in den „Problematischen Naturen“ und in „Hammer und Amboss“ zuvor. Er nimmt sich jedoch diesmal nicht die Zeit, es auszukleiden. Auf nur 300 Seiten zusammengedrängt kann der Stoff nicht richtig leuchten. „Allzeit voran!“ wird kein Erfolgsbuch, ist aber lesenswert, weil es, so ganz nebenbei und vollkommen untypisch für die Zeit, NICHT in Hurrapatriotismus verfällt. Der geneigte Leser erfährt hier, wie die Stimmung außerhalb Preußens im Sommer 1870, am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges, im Volk und an den Höfen tatsächlich gewesen sein könnte.

Es geht um einen jungen Landarzt, um eine noch jüngere (aber volljährige) Malerin, die die morganatisch angetraute zweite Frau eines schon sehr alten Fürsten eines thüringischen Kleinstaates ist und um eben diesen 70jährigen Fürsten selber. Da diese Ehen zweiter Klasse, oder „zur linken Hand“, eigentlich seriöse Öffentlichkeit für standesunübliche Verbindungen ermöglichen sollten, jedoch Mesalliancen blieben und Rufschädigung bedeuteten, waren sie extrem selten. Der einzige Thüringer Regent des späten 19.Jhds., auf den sowas zutraf, war Georg II. Im Hochadel war sein außereheliches Verhältnis mit Ellen Franz mal süffisant, mal bösartig kommentiert worden. Von einer baldigen „Ehrlichmachung“ der Liaison nach dem Tod von Ehefrau Nr.2 wurde geunkt, als das Ereignis dann jedoch real wurde, war der Skandal perfekt und die Kontaktabbrüche zahlreich. Nichts desto trotz standen Georg noch 42 Jahre glücklicher Partnerschaft bevor.

Die Veröffentlichung des Buches und die Bekanntmachung der „Konkubinenheirat“ fallen zeitlich zusammen. Im 70jährigen Romanfürsten wird allzu leicht der 46jährige Meininger Regent erkannt, der charakterlich und altersmäßig jedoch eher Georgs Vater zum Vorbild hat. Dieser hatte sich 1866 für die falsche Seite entschieden und wurde anschließend auf Bismarcks Betreiben zur Abdankung genötigt, um seinem pro-preußischen Sohn die Regentschaft zu überlassen. Spielhagen nimmt diese Episode der Familiengeschichte der Meininger Wettiner stark abgeändert auf und fügt sie einen Krieg später ein. Auch hat sein Romanregent keinen Nachkommen, weshalb im Roman gleich ein preußischer Neffe auf den Thüringer Thron folgt, während der real Abgedankte wenigstens die Gnade erfährt, seinen Sohn als Nachfolger einsetzen zu dürfen.

„Lass es weiterhin wie Souveränität aussehen!“, mag sich Bismarck gedacht haben.

Eine Würde von Preußens Gnaden, denn die „Thüringischen Staaten“ hingen wirtschaftlich schon lange vor den 3 Kriegen am Geldhahn Berlins.

Preußen vergoldete seit ca. 1845 den „Thüringer Zaunkönigen“ ihr Dasein für das Gewähren der Erlaubnis, Schienen in die Rheinprovinz legen zu dürfen. Wirtschaftlich stand die Region, weil Massentourismus noch fehlte, ansonsten da wie Mecklenburg. Hinterwäldlerisch die Industrialisierung verschlafend, fristeten Spielzeugschnitzer, Nagelschmiede, Holzfäller, Köhler und Weber ihr kärgliches Dasein. Das damalige Elend – ein Segen für die Gegenwart, wenn man so 2017 durch intakte Natur rollt, die es andernfalls nicht mehr geben würde. Die Fehler von gestern sind die Erfolge von morgen. An den Thüringer Geschicken ablesbar.

Der Fürst des Romans ist nur 2x verheiratet. Spielhagen kürzt 3 Ehen auf zwei, indem er die letzten beiden Frauenbilder zusammenzieht: die unerfüllte Ehe und die Schönheit von Feodora, sowie die künstlerischen Interessen von Ellen Franz werden eins. Georg macht im wirklichen Leben seine dritte Ehefrau zu seiner Chefberaterin in Sachen Kultur, baut gemeinsam mit ihr einen prominenten Freundeskreis der Dichter und Komponisten auf. Beide gemeinsam reisen viel, holen sich Ideen aus ihren Urlaubsorten und reformieren das Meininger Theater zu Weltruhm. Bayreuth ist schon berühmt. Meiningen zieht nach. DIE Pilgerstätten der Kulturenthusiasten der Zeit. Außerdem wird nach ihren Vorstellungen der bis heute erhaltene romantische Park der Residenz angelegt. Sie harmonieren perfekt. Georg hat in Ellen eine „zweite Charlotte“ gefunden.

Ganz anders im Buch: Die junge Künstlerin malt in einem Gartenpavillon. Sie hat keinerlei Einfluss in irgendeiner Richtung und auch keine Ambitionen, diese Situation zu ändern. Eine malende Feodora, allerdings bürgerlicher Herkunft. Auch ehelich ist dem alten Herzog mit ihr kein Glück beschieden.

Spielhagen legt die Liaison tragisch an: Er lässt es während eines Kuraufenthaltes knistern; intellektuelle Gespräche zwischen beiden sind möglich. Beide atmen auf, glauben auf einen Gleichgesinnten gestoßen zu sein. Gekonnt wird das Thema “Altersgeilheit“ umschifft. Beim Herzog ist es eine Art Erlöserwahn, der ihn zur Ehe verleitet. Die arme mittellose Schönheit soll es gut haben und sich verwirklichen können. SIE sieht in ihm den alten, lieben, hilfsbereiten Mann und die Hoffnungslosigkeit ihrer mittellosen Lage. Sie entsagt wissentlich einem erfüllten Liebesleben. Das „Ja-Wort“ ist ihre Art von Resignation. Die Kommunikation erstirbt. Sie leben nebeneinander her. Die Domestiken verachten sie, da sie dem Vergleich mit der verstorbenen Herzogin nicht standhalten kann. Sie zieht sich in den Mal-Pavillon zurück.

Feodora gab im wirklichen Leben lieber die barmherzige Landesmutter, um dem Schlosspersonal zu entgehen; durch die Elendsquartiere der Dorfbevölkerung reisend und sich somit auch den finalen Scharlach zuziehend. Hat sie den Tod gesucht? Soweit geht die Malerin im Roman nicht. Jedoch trennt sie sich letztlich von ihrem Gönner und löst so das „unnatürliche Band zwischen Jugend und Greis“ um ihr Leben selbst zu gestalten…

Das Buch erscheint 1872 und stellt die Verhältnisse an den Thüringer Höfen – trotz aller Abänderung – gut erkennbar bloß. Aber: Spielhagen verkehrt weiterhin in Meiningen und wohnt während dieser Aufenthalte in Gästezimmern des Schlosses. Kein Anzeichen von Ungnade seitens des skandalträchtigen Herrscherpaares. Stattdessen jene Belohnungsanfrage und ihre Beantwortung; sowie das große Vergessen, das über alle Beteiligten, das Reich, das damals gerade entstand und den Roman inzwischen hinweg gegangen ist.

12 kopiemeiningen

Copyrights diesmal alle by Bludgeon selber.

9 Gedanken zu “Verliebt, verhoben, vergessen, verehrt…

  1. Ich freue mich für Dich!
    So ist das, Gott sei Dank, manchmal im Leben: Man findet sich selbst zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle, um eine Tür zu öffnen, von deren Existenz man nichts wusste.
    Vielleicht führen uns die, die wir lieben, von der anderen Seite aus, um das Band, das uns mit ihnen verbindet, zu stärken. Man sollte die Liebe nicht unterschätzen, auch nicht die zur Literatur oder zu einem Literaten. Und schon gar nicht sollte man sich selbst begrenzen mit Worten wie „tot“ oder „lebendig“. Wir sind die Grenzen, an die wir glauben.

    Gefällt 4 Personen

  2. „Und SPIELHAGENs knappe Antwort war: „Wenn Durchlaucht mein geneigter Leser bleiben wollen, so ist mir dies Ehre genug.“ Ich hätte gerne die Quelle dazu!

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    • Dr. Hans Henning; Friedrich Spielhagen; Staackmann Leipzig 1910;

      Nu fragen se aber nich‘ nach der Seite; ich schreib das hier just for fun und nicht als Diplomarbeit.
      Das Zitat kann auch von mir leicht verfälscht wiedergegeben sein.

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