Neulich, beim Sichten des ersten Jahrgangs des Magazins 1954, erinnerte ich mich an eine ganz bestimmte Suchanzeige, die ich meinte, dort einst gelesen zu haben, aber ich fand sie nicht. Was ich stattdessen fand, waren diese hier. Und die Assoziationsmaschine ratterte los:
Wehrpflicht gab es noch nicht. Also 2 Freiwillige. 20jährig. Da können die noch nicht lange dabei sein. Und da sie nach „gleichgesinnten“ Mädels suchen, lässt das auf „überzeugte Idealisten“ schließen. Oder wurden sie erpresst, wegen einem Studienplatz nach „freiwilligen 2 Jahren“ an der Grenze? Vielleicht auch freiwillig für länger, die berüchtigten „25 Jahre“, weil aus Vertriebenenfamilie und somit „versorgt“? Jung. naiv und nett vielleicht — oder schon die Dumpfbacken, die dann ab 1955 als „Ausbilder“ die traditionellen Schleifermethoden exhumieren werden…?
Die sahen die Geschichte des realexistierenden Sozialismus vom anfang – ich vom Ende her:
Am Anfang hatte „die Partei, die Partei ja immer recht!“
Am Ende Sandow:
„Wir bauen auf! Und tapeziern nicht mit! Wir sind so stolz auf Kata! –Ri! –Na! Witt!“
Und die hier:
Wir lebten in der Bakschischrepublik und es gab keinen Sieg. (Herbst in Peking)
Er hier hatte bis‘54 auch den letzten Schuss nicht gehört:
DIE Wortwahl ist bekannt. Dr. jur. und 40 Jahre. Auf Grund des Alters kann man annehmen, dass sein Dr.-Titel älter als 15 Jahre ist. Also auch älter als die DDR. Was mag das Thema seiner juristischen Promotion gewesen sein? Knapp vor- oder knapp nach 1945 geschrieben? Hat er mit dieser Annonce ein braves „hellblondes rassiges“ Opfer gefunden? Wie ging die Karriere weiter? Dageblieben oder abgehauen? Verspätet ausgereist? Oder angepasster Ordenssammler mit galligem Humor „fürs Private“. Verdienter Richter des Volkes? Mit Handschlag von Walter zum Tag der Republik? Ruhestand mit Datsche im Osten 25 Jahre später?
Oder Alterssitz auf Teneriffa dank Lastenausgleich und rechtzeitigem „Rübermachen“?
Dann sowas:
Eine Ostberlinerin „aus der Lebensmittelbranche“. Ein früher Fall von Bauer sucht Frau; wollte wohl eher schachern als züchten, um mit guten Bilanzen und Meriten für die „Hauptstadtversorgung“ Argumente gegen den LPG-Eintritt zu haben. An die Mauer denkt ’54 noch keiner; da fallen Beziehungen in die anderen Sektoren nebenbei mit ab.
Szenenwechsel:
Diese beiden lösen mit ihren Annoncen gleich einen ganzen SMS-Roman aus. Das Alter. Das Kind. Die Laube bei der einen. Die relative Jugend bei der anderen. Der Zeitpunkt der Suche…
Die haben ihr Kind jeweils mit 37 bzw. mit 28 bekommen. 1944 und 1942. Und dann? Vater gleich nach Fronturlaub und Zeugung verschollen; irgendwo, im Wirrwarr des Rückzuges? 10 Jahre gewartet; während die Familie schon trappelt: „Erklär ihn für tot! Verwarte nicht dein ganzes Leben!“ Nach 10 Jahren nun die Torschlusspaniksuche. Hatte sie Erfolg? Neues Glück? Oder Drama erst recht? Was, wenn der Kindsvater 1955 doch noch dabei war und dank Adenauer nun unerwartet vor der Tür stand? „Da bin ich – und wer ist er?“
Abgesehen von diesen beiden Fällen mit Kind fällt die generelle Häufung von verwitweten Mit40erinnen auf.
Für Kopfschüttelnde Erheiterung sorgt dann das Drumherum all der Eheanbahnungsinstitute:
In anderen Heften wird von einem Eheanbahnungsinstitut um katholische junge Herren geworben. In der kirchenfeindlichen DDR. Beinahe massenweise suchen junge Männer, die „zur See fahren“ Briefkontakte zu „Mädels“;
„deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne, zwischen Rio und Schanghai, zwischen Bali und Hawaii“
reicht ihnen dann doch nicht. Der Song kam auch eine Kleinigkeit später, passt als Soundtrack zum Lesen dieser Seiten aber wunderbar, umrandet von Bert Kaempfert Sound, Crew Cuts, Ames Brothers, Kingston Trio…
Und natürlich er hier. Die „Heulboje“.
Komisch, woran man mit den Jahren so hängen bleibt…
Berührend.
Allen Zeiten und Umständen gemein ist die Sehnsucht nach Nähe.
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Plötzlich männlich? 😉
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Abwechslung muss sein!
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Ja, aber doch nicht zum Feind überlaufen! Patriarchat und so! 😉
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Auch wenn Du nicht christlich sozialisiert bist: Schon mal was von Feindesliebe gehört?
Da fällt mir noch ein Filmtitel ein: „Der Feind in meinem Bett“. Sogar das soll es geben
unter Heten. („Heten“ ist nicht gerade die Zierde meines Wortschatzes, reimt sich aber grade so verlockend!)
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Wie immer …. hoffnungslos zu spät (hoffentlich bestraft mich jetzt nicht das Leben) … Aber dieser Beitrag ging mir die ganzen letzten Wochen durch den Kopf. Einfach deshalb, weil er exemplarisch zeigt, wie sich in Kleinigkeiten wie diesen Kontaktanzeigen sovieles bündeln kann … was uns Menschen ausmacht.
Und Deine ergänzenden Betrachtungen, Vermutungen, Spekulationen sind ja allesamt gar nicht sowiet hergeholt, im Gegenteil: Menschen in diesen Jahren hatten allesamt eine persönliche Geschichte, die unwiderrufbar mit der Geschichte von Nazi-Deutschland zu tun haben musste !
Haben sie sich wirklich ihrer Geschichte gestellt ? Ich vermute … die Verdrängung war bei vielen der stärkere Impuls.
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… na besser spät als niemals; hallo noch ziemlich langer Zeit.
Niemand wird seine Prägung los, ob er will oder nicht. Mittlerweile glaube ich, jeder stellt sich seiner Geschichte so oder so: Ob er redet, ob er schweigt: Auch Verdrängen ist „Arbeit“, denn es strengt unterbewusst doch so sehr an, dass sich auch die „härtesten Hunde“ kurz vor Toresschluss noch freisprechen wollen.
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