Neil Young stochert im Äther nach Noten… und findet Melodie… schwerblütig… wohltuend das Trommelfell tretend…
Frontier-Town…home of the western hero…lang ist‘s her, dass hier einer was geworden ist….und dann kommt der Typ mit großem Geld, scheinbar aus ner andern Welt …
aber es klingt so genial verwahrlost rabiat…dass man nur eine Chance hat – zu glauben:
shure enough: he was a western hero…
Neulich gab Graugans ihre wunderschöne Buchladenerinnerung preis, die mich zwingen zu wollen schien, ebenfalls eine Buchladenreminiszenz abzuliefern. Nach 3 misslungenen Ansätzen ließ ich es sein.
Die Geschichten suchen sich den Schreiber, wenn sie reif sind. (frei nach Mick Zwo im Graugansblog)
Meine wars wohl (noch) nicht.
Aber wie ist’s mit der hier:
Da steht dieser Graubart in der Kleinstadt vor dem Schaufenster des Trödlers und lernt die Auslage auswendig. Um ihn her die Fassaden, die Linden, die meisten der geparkten Autos – alles grau in grau getaucht. Hier hat die Modellstadt jedenfalls in den 90ern kein Geld versenkt. Die Konradi-Galerie wird ihrem Namen längst nicht mehr gerecht. Die Stuck-Lettern oben drüber künden lediglich von besseren Tagen. Einst hatte hier ein frisch verheirateter Tierarzt seinen sozialen Aufstieg dadurch gefeiert, dass er DAS Bild erwarb, was seither im Arbeitszimmer die eine der beiden fensterlosen Wände beherrscht. Pferde im Gewitter; von Alfred Roloff.
Der Sohn an der Scheibe draußen, war da noch nicht einmal geboren. Aber immer, wenn er hier vorbei kommt, fällt ihm das Bild ein. In der alten Wohnung seiner ersten 7 Kindheitsjahre hing es im Wohnzimmer über der Couch. Auf der wiederum sieht er sich selber liegen. 5jährig. Bademantel. Frisch gebadet. Nach dem Sandmann. An der Seite von Mutti oder Großmutter, die vorlesen müssen: Von Suleika und Ritter Runkel. Und der Blick pendelt von der schönen Suleika und den häßlichen Comic-Pferden zu der Herde im Sturm da über ihm und den Wolken darüber, die wiederum Pferdeköpfe bilden… Er ist so lang, wie das Bild breit ist, aber voll heldenhaftem Tatendrang: Die Stimmen der Vorleserinnen künden von Comicritter-Heldentaten, aber im Kopf des Zuhörers ist er das selbst und Udo an seiner Seite, der zur Belohnung Vaters alten Bubi reiten darf, während er sich stolz in den Sattel des schwarzen Hengstes Bento schwingt, des unbezähmbaren; der sich nur freiwillig dem wahren Tierfreund unterwirft …also ihm…logisch… und auf geht’s in die Traumwelt…
Seltsam nur, dass er morgens immer in seinem Bett erwachte und nie unter dem Bild im Wohnzimmer.
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Die Galerie Konradi wurde Möbelladen, Schuhgeschäft und Leerstandsruine. Dann zog der Trödler ein. Die Jahrzehnte sogen dem Betrachter draußen die Farbe aus dem Bart.
Vor der Auslage steht er jedes Mal, wenn er wieder in der Heimat ist. Die Abstände wurden mit den Jahren größer. Ungewollt. Es hat nicht sollen sein mit der Wurzelpflege am angestammten Ort.
Jedoch seit geraumer Zeit kommt es ihm so vor, als wüchse der Magnetismus der Gegend wieder.
Alte Büffelbullen kennen den Weg zur letzten Suhle.
Alte Elefanten wissen, wo ihr Friedhof ist – und machen sich rechtzeitig auf den Weg, wenn man „König Salomo‘s Diamanten“ Glauben schenkt.
Zu kitschig? Nö.
A oalda Huund lernt kaane neuen Tricks… (Danzer)
Er besinnt sich auf Bewährtes.
Der Trödler bietet alte Ansichtskarten feil. Richtig alte. Koloriert.
Eine davon ist die von dem Pavillon im Bürgergarten. Gleich hinter der Sommerbühne im Garten des gleichnamigen Restaurants und ursprünglich neben dem „Turnplatz“ der altdeutschen Jahn-Jünger, die den Meister noch selber kennen lernen konnten, da er im nahen Freyburg in Verbannung saß.
Welche Funktion der Pavillon ursprünglich gehabt haben mag, ist nicht überliefert. Er ist älter als der Turnplatz. Vielleicht gedacht für Adels-Soireen, nachdem sie sich im „englischen Park“ ringsum ergingen und dann der Stärkung bedurften. Die sommerlichen Wolkenbrüche des Saale-Tals sind legendär! Da verlegt man ein Picknick gar gern unter Dach und Fach. Die Gaststätte wenige Schritte hangabwärts gab‘s noch nicht. Sie entstand im Siegestaumel nach 1871, durchlief allerlei Stadien und steht heute in gutem Ruf. Freie Plätze sind rar. Vom Pavillon künden lediglich noch die Portalstufen, dass es ihn einst gab.
Der Heimkehrer da draußen an der Schaufensterscheibe kannte ihn gut. Er sieht sich prompt in seinem Inneren: Eine Freitreppe und eine Balustrade als Rundgang an den oberen Fenstern entlang.
War’s mit den Eltern? Mit Großmutter allein? Oder mit der Kindergartengruppe? Jedenfalls gab‘s einige Male hier Gemäldeausstellungen, die man gezeigt bekam, ob man wollte oder nicht. Die Bilder prägten sich nicht ein. Keins davon glich Tante Hedis „röhrendem Hirsch“ oder Vaters „Gewitter-Pferden“. Aber er ging gerne mit „zum Pavillon“, denn der stand so malerisch in Buschanei, wie das leibhaftige Dornröschenschloss und er war schließlich der Ritter, der den unsichtbaren Bento am Halfter führt. Seltsam nur, dass man im Pavillon immer allein war und nie Eintritt bezahlen musste. Das war in Museen jedenfalls anders. Es gab keine Aufpasser, keinen Andenkenstand; lediglich einen Schlüssel, den man zuvor beim Kneiper gegenüber bekam.
Der Ruf des „Bürgergartens“ schwankte. Ausflugslokal, Kaschemme, Disco. Ältere Semester und kleine Jungs hatten Anfang der 70er keinen Grund mehr hinzugehen. Das angrenzende Waldstück, das Buchholz, behielt jedoch seine mystische Anziehungskraft. Der Aktionsradius wurde jedes Jahr erweitert. Die Freundschaften innerhalb der Klasse ebenfalls. Da trug es sich zu, dass ein buntgemischter Haufen 6.Klässler, so sechs-acht Mann stark, mit Colts und Blech-Knickern aus dem Wald trat und vor sich die Rückseite des Pavillons erblickte. Anschleichen! Fenster kontrollieren! Eindringen!
Als der Bau umrundet war, zeigte sich, dass sich das Abenteuer des Hineinkletterns erübrigte: Es gab keine Tür mehr. Ein Portalflügel lehnte wohl noch an der Wand oder lag auf der Erde. Die Cowboys entsicherten die Knarren und traten ein. Der vormalige Bento-Reiter, der sich dank ARD-Sonntagsnachmittagsprogramm momentan gerade für Wild Bill Hickok hielt, vermisste die hölzernen Innereien. Die Treppe war weg. Reste der Balustrade hingen als gesplitterte Balken in den Wänden. Wehende Tapetenreste mühten sich, die übelsten Stümpfe zu verdecken. „Iiiiiäh!“ Die Blicke flogen zu Andi und an ihm runter: Fast gleichzeitig bemerkten die Trapper die Bescherung: Die Fäkalien ihrer Vorgänger! Geknüllte Zeitungsfetzen und braune Haufen.
Der Westerntraum zerstob. Der Schmächtigste von unseren vielen Andreas’en, der eben noch Festus Haggan war, sprach aus, was alle dachten: „Hier hamde Russn jehaust.“ Die überwiegend kyrillischen Buchstaben an den Wänden schienen ihm Recht zu geben. Die Saaletal-Perle war seit Kaisers Zeiten Garnison und beherbergte zu jener Zeit gut 20 000 „Freunde“, zu denen keinerlei Kontakt bestand.
Der Nachmittag war rum. Geld für eine Brause draußen vorm „Bürgergarten“ hatte niemand. Also ging jeder seiner Wege.
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Der Graubart betrat den Laden und fragte nach dem Preis der Karte.
„1924. Die is echt jeloofen! 15 Euro.“
„Nö! Fünfe höchstens!“
„Sieben?“
„Näää. Dann lass ich’s.“
„Sammeln Sie?“
„Nö. Is mehr so ein Heimwehding. Wenn ich mal hier bin.“
„Das is dor Bawillchjong am Börchergordn jewäsn.“
„Ich wees. Ich war da noch drin.“
Er staunt: „Wie lange hatt‘n der jestand‘n? Ich bin nämlich nich von hier. Ich bin von A. driem herjezong.“
„Örchendswann vor dor Neunhundertfuffzch-Joahrfeier, so um fünfnsiebzch unggefähr.“
„Gugge an. Naja, mach mor’s? Für Fünfe.“
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Ich bezahle und stecke die Karte vorsichtig in die Innentasche meiner Jacke. In mir arbeitet‘s noch.
Es ist ein komisches Gefühl, sich nach so langer Zeit in einem Gebäude zu sehen, das nicht mehr steht.
Am liebsten würde ich es wieder auferstehen lassen. Aber ich bin kein Jauch(Portal Stadtschloss Potsdam), kein Güttler(Frauenkirche Dresden) und leider auch kein
Wild West Hero with big money in his hand…
Lieber Bludgeon,
es macht mich glatt ein bisschen stolz, dass es in Deinen Bürgerparkerinnerungen ein Kapitelchen gibt, das „Eine Leserin“ heißt!
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Wow! Als Wessi soooo tief zwischen den Zeilen lesen zu können – Kompliment. 🙂
(Es wurde mir eben erst bewusst. Aber es passt.Top.)
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Schon meine Eltern haben von mir behauptet, ich höre das Gras wachsen.
Wobei alle meine dahingehenden Versuche mit dem Ohr am Halm Fehlanzeige waren.
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Mensch, Mister Blu…dieser Graubart kann einfach schreiben…saugut sogar…hab ich das nicht eigentlich schon mal gesagt? Macht nix, und für den „Magnetismus der Gegend „, wow, da dank ich Dir, diesen Ausdruck muß ich mir unbedingt in mein Leben hereinklauen, der hat was…könnt mich schon wieder reinlegen in diesen Deinen Text!!! Grüß Dich herzlich!
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Jeujeujeujeu…errötender Dank für dieses Lob.
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Habe mal geschaut, ob jemand in irgendeinem WordPress-Blog was über Ritter Runkel geschrieben hat, bin wieder hier gelandet und habe einen Text vorgefunden, der sich liest, wie ein Text sich lesen lassen muss, damit man ihn gern liest. Chapeau! Für ein Buch mit den Themen Ihres Blogs im Stil Ihres Blogs würde ich fuffzn zahlen, und wenn ich feilschen würde, dann nach oben.
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