Winnetou reloaded(Karl May V)

Experiment gelungen. Die TV-Sensation 2016 ist perfekt. Auch der 3. Teil hält Wort!

Er beginnt zunächst mit einer recht platten Darstellung einer Familien-Idylle des frisch verheirateten Old Shatterhand, der eine Ranch gegründet hat und eine Scheune bauen lassen will. Dazu wirbt er 3 polnische Zimmerleute an, die erst ihre Vorurteile gegen Indianer ablegen müssen, was dadurch geschieht, dass Shatterhand sie darauf hinweist, dass er aus Sachsen kommt „an der Grenze“ und man dort davor gewarnt wird, nach Polen zu fahren „in das Land der Diebe“.

Dies sind nicht die antipolnischen Klischees des May’schen Jahrhunderts, in dem obendrein Sachsen gar keine Grenze zu Polen hatte. Wer Lust hat, konnte also wieder allerhand dechiffrieren.

Santer jr. und Santer sen. – zwei Schurken mit Macht, die nicht viel voneinander halten. Wer den Spielfilm über George W. Bush gesehen hat, weiß, worauf das anspielt. Auch dass Santer jr. einen (Indianer-)Erdöl-Krieg auslöst, der ihm letztlich nichts bringt, ist mehr als nur ein Hinweis auf Zeitkritik.

Aber der Oberschuft (Santer, der jüngere)ist diesmal der facettenreichste Schurke. Eine klare Steigerung von Film zu Film.

Er ist zunächst ein Künstler ohne Fortune, wie Hitler und Goebbels welche waren, der deshalb das Metier wechselt. Da er geschäftlich ebenfalls nicht zu Reichtum kommt, geht er über Leichen(Tod des Pokerspielgewinners) und betreibt Politik auf eigene Faust(Anwerbung seiner Killertruppe)

„Ich brauche skrupellose Killer! Männer, die keine Hemmungen haben! Männer, die schießen ohne Fragen zu stellen! Es wird sich lohnen! Ich mach euch reich!“

Nach jedem Satz gibt es Jubel in der Kneipe.

„Und jeder von euch muss glühender Verehrer von Richard Wagner sein!“

Der Jubel bricht ab.

„Ein Scherz. Nur ein Scherz!“

Und eine überdeutliche Anspielung auf Hitler und Himmler mit ihren Kult-Fimmeln, die sie allzu gern ihren Paladinen von SA und SS eingetrichtert hätten, was sich als nicht machbar erwies.

Wer diesen Schlüssel zu den tieferliegenden Botschaften fand und nun erwartet, dass lediglich die 12 Gröfaz-Jahre Pate standen für einen Bilderreigen entstehender Völkerverständigung nach großer Katastrophe, irrt, denn meisterhaft geben sich hier Anspielungen des Stalingrad- und Irakkriegzeitalters die Hand.

Der Film ist eine sehr gelungene Allegorie auf die Zweigesichtigkeit des Menschen geworden. Der Ethiker (Shatterhand) und der (neoliberale) Geschäftsmann (Santer; Vater+Sohn). Shatterhand hat keine Kinder. Der alte Santer schon. Auch wenn dessen Filius ein – seinem Leben angemessen – unprätentiöses Ende findet; vergessen und (nicht mehr) verehrt: Das Böse ist potenter.

Der Ethiker gewann im Film, obwohl er faktisch betrachtet mehrfach die schlechteren Karten hatte:

Er findet zufällig beim Brunnenbau Erdöl auf der Ranch; will den Fund vertuschen, da er weiß, dass dies der Untergang der Apachen wäre; wird aber von Santer jr. beobachtet, der ihm die Ranch zunächst abkaufen will. Moralisch integer lehnt Shatterhand alle Angebote ab – und erntet Krieg.

Der homo economicus gibt niemals auf.

„Die Zukunft hat sich längst gegen Sie entschieden!“ (Santer jr.)

Leider wahr. Die Ausrottung der Indianer und die dabei genutzten Erbfeindschaften der Stämme untereinander ergeben die Blaupause für das „Große Spiel“ der Santers der Weltpolitik; und das Ausspielen alter arabischer Stammes-und Religionsfehden gegeneinander bis auf den heutigen Tag.

Der Film liefert in eindringlichen Bildern den Kampf um die Utopie der Gemeinschaft aller Stämme des roten Mannes. Schon May wünschte sich dies und wusste, dass er auf verlorenem Posten steht.

Er ließ deshalb Winnetou scheitern und im letzten Moment zum Christen werden. Wenigstens DAS sollte (nach May) möglich sein. Die Verfilmung des 21. Jahrhunderts aktualisiert, indem sie Winnetous letzte Worte in Bezug auf die Freundschaft zwischen zwischen Weiß und Rot verändert:

„Wir sind nicht das Ende! Wir sind erst der Anfang!“

Schön wär’s! Guck auf die Indianer! Guck auf die Araber! Guck auf die Chinesen, die gerade erst die Industrialisierung nachspielen, inclusive allen Umweltverschleißes … das Böse hat das bessere Waffenarsenal:

„Ich will lieber EINMAL lichterloh brennen als langsam zu vergehen!“ brüllt Santer in Nöten, als er in der Ölpfütze steht und Shatterhand bereits die Fackel hält.

Oops! Kenner wissen: Das ist zitierter Neil Young! „Better to burnout, than to fade away!“ Und das einem Verbrecher in den Mund gelegt, der kurz zuvor davon träumt, amerikanischer Präsident zu werden? Sie kämpfen mit allen Waffen, denn Skrupel sind ihnen fremd. Reagan wollte mit „Born in the USA“ Wahlkampf machen. Anderen Songs erging es in anderen Staaten ähnlich. Scheiß doch auf den Text!

„Wer bist du denn? Kein Weißer und kein Indianer! Ein Nichts! ICH wäre beinahe Präsident geworden, aber du?!“ (Santer jr.)

Homo Economicus vs. Ethiker. Manche Duelle brauchen keine Colts.

Shatterhand hält inne. Der klassische einfache Showdown hat sich überlebt. Einen Santer jr. zu flambieren bringt nichts. Sowas wächst immer wieder nach. Winnetou wird nicht simpel 1:1 in der Ölpfütze gerächt, sondern Shatterhand schleppt die verdreckte Präsidentschaftsanwärter-Karikatur, zu dessen Vater, um diesen zum Verzicht auf die Ölfelder und damit auf das Land der Apachen zu zwingen. Zähneknirschend unterschreibt Adorf, der bereits in den 60ern den Santer spielte:

„Mr. Shatterhand? Sie – ein gemeiner Erpresser?!“ (Santer sen.)

Das kennt der Ethiker, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand und sich nun der Waffen der Gegenseite bedienen will! Plötzlich appelliert der Strolch mittels ethischer Phrasen!

Aber Shatterhand ist dem Zynismus gewachsen:

„Wilkommen in Amerika, Mr. Santer!“

Grandios.

Der Film schließt trotz Winnetous Tod mit einem optimistischen Schwänzchen, wie auch die meisten DDR-Indianerfilme, trotz gegenteiliger historischer Faktenlage: Gojko rettet seinen Stamm.

Shatterhand wird Oberhäuptling der geeinten Stämme des roten Mannes.

Das streichelt das Gerechtigkeitsempfinden jüngerer Zuschauer und unbelesener Cineasten; lässt jedoch die älteren Karl-May-Leser möglicherweise melancholisch an „Winnetous Erben“ denken; jenen Band aus Karl Mays Spätwerkphase, der gut gemeint war, aber am Vorabend des I.Weltkriegs nicht überzeugte und deshalb heute vergessen ist.

Viele Prominente starben 1912, einer von ihnen May; der Mahner. 1914 war Krieg.

Viele Prominente starben 2016, einer von ihnen Cohen, der Mahner. 2017 ist sicher.

Guten Rutsch!

9 Gedanken zu “Winnetou reloaded(Karl May V)

  1. Schick Dir mal viele Grüsse, spring leichten Fusses ins Neue Jahr und dann hoffentlich bald in die Domstadt, sonst steh ich da alleine rum…!
    Wünsche ein wundervolles 2017 mit nem Bierchen …womöglich in der Kneipe „Das 11.Gebot – Du sollst genießen“…kennste diesen Ort? Servus, machs guat!

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    • Guten Rutsch auch dir. Nach dem 11. Gebot musste ich erst googeln. Sieht gut aus. Lange kanns das noch nicht geben, oder? Man hat halt immer so seine Ritualplätze in der alten Heimat, da gerät schon mal die eine oder andere Neugründung aus dem Blick.

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  2. Pingback: Medium Terzett – Winnetou + Weisser Häuptling (1963) | Sammelsurium

  3. Sooo, nun konnte ich nachlesen, alle drei geschafft. War nicht mal schwer, ich fand das erstaunlich gut gelungen, fürchte nur der Durchschnittsglotzer wird die ganzen Anspielungen nicht bemerkt haben, aber selbst wenn…
    Wotan Wilke war wieder mal super und der Nik X-Dings ist ein erstaunlich gut aussehender Winnetou, wenn das kein Karriereschub wird dann weiß ich auch nicht. Ein Künstlername, den man in Deutschland schreiben und sprechen kann wäre nicht verkehrt. Nick Tschiller oder so, klingt ja ähnlich.
    Nscho-Tschi war auch viel indianischer als Marie Versini jemals sein konnte damals, Sam Hawkins nicht so nervig wie Ralf Wolter in den alten Klamotten, eigentlich ein richtig gutes Remake. Von RTL, ausgerechnet. Aaaaber:
    Man hat die Chance verpasst sich mehr an die Bücher zu halten, was ja schon die alten Verfilmungen nicht taten. Santer als diabolischer Bösewicht und Mörder von Nscho-Tschi und Intschu-Tschuna über alle drei Folgen, verfolgt von den Blutsbrüdern usw usf
    Statt dessen ein Konglomerat aus Winnetou und dem Schatz im Silbersee, hätte eigentlich nur noch Old Surehand irgendwo auftauchen müssen. Trotzdem keine schlechten Drehbücher, nur manche Dialoge lösten dann doch das Kopf->Tisch Gefühl aus bei mir.

    Und Karl May rotiert wahrscheinlich immer noch in seinem Grab, weil sie aus dem missionarisch eifernden Christen May einen Agnostiker (oder zumindest einen Zweifelnden) gemacht haben. Denn soweit ich mich noch erinnere, wollte er die Indianerin erst heiraten wenn sie den richtigen Glauben wählt (oder er wollte einfach nur Zeit gewinnen, der Schuft). Und Winnetous letzte Worte waren eigentlich ein gehauchtes: Scharliiee, isch bin ein Christ (französischen Akzent bitte wegdenken)
    Wenn ich mich nicht irre, hihi.

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    • Den Humor des Kommentars teile ich, die vermisste Werktreue nicht. Dann wär’s ganz aus gewesen mit der Chance auf Quote. Da der sofortige Vergleich mit der Brice-Verfilmung der Garant für eine Super-Flop gewesen wäre.
      Ich kenne die Neuverfilmungen von „Im Westen nichts Neues“ und bedeutend schlimmer noch von Bernhard Wickis 1960er preisgekrönter Arbeit „Die Brücke“; beide Male ziemlich Werkgetreu aber schabloniert, in mies gefakter Kulisse und Pyro-pyro-pyro Overkill…

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