YES! Was für ein dämlicher Bandname aber ohch!
Und trotzdem: Würde mich mal jemand nach meinen Langzeitfavoriten fragen, dann würden mir YES, George Benson und Elvis noch vor David Bowie einfallen.
Adventszeit’76. Die Jahresrückblicksendungen liefen. Da hatte sich einer aus der Patenklasse erbarmt und Christian die große Chance gewährt: „Da kommste halt morchen ma‘ vorbei und nimmstse off.“
So unspektakulär kann‘s klingen, wenn Sesam sich öffnet!
Der besaß gleich ZWEI LPs! Welche – wussten wir nicht. Egal. Wir kannten ja nichts von denen.
Stimmt nicht ganz. Ich hatte inzwischen EIN Stück kennenlernen können: Es gab eine sehr unterhaltsame Sendung auf HR3, die sich „Musik für Nussknacker“ nannte. Dort musste man (ich glaube) 6 oder 8 Fragen beantworten, per Postkarte, und in der nächsten Sendung wurde dann ein Wunschsong gespielt. Bei einer richtigen Antwort aber nur eine Minute lang, bei zwei – dann zwei…und ab 5 richtigen wurde der Song ausgespielt. Man konnte allerdings auch Glück haben: Wenn der Kandidat nur 3 richtige hatte, sein Song war aber unter 3 Minuten lang – wurde ausgespielt! In der Sendung lief musikalisch kein Scheiß! Wer sich Abba wünschte oder Baccara, der wurde vermutlich schon vorher aussortiert. Deshalb konnte man hier allerhand Raritäten kennen lernen: SSgt. Barry Sadler mit den berüchtigten „green berets“ zum Beispiel, aber auch Jimmy Cliff mit „Vietnam“ usw. Meine Aufnahme von „Time has come today“ stammte von hier! Es war eine Fundgrube. Die Moderatoren hatten diebische Freude dran, die Songs nach Ablauf der jeweils erreichten Zeit abzubrechen, zum Beispiel mitten in Cockers Schrei bei „with a little help from my friends“ oder eben auch mitten in YES-ens„I‘ve seen all the good people“ nach 4 Minuten. Den kannte ich nun also bis zur Hälfte!
Wie gesagt: Sesam stand offen! Klar, dass jemand, der solche Schätze besaß, sie nicht ausborgte. Man musste also hin, denn DIESE Platten durften nur auf DIESEM Plattenspieler laufen. SEINEM! Deiner konnte ja ne Nähmaschine sein. Vertraue keinem, wenn du Westplatten hast!
Man will so einem edlen Spender, der nichts dafür verlangte, auch nicht gleich rudelweise auf die Pelle rücken. Also verzichtete ich darauf, mitzugehen. Ich gab Christian lediglich zwei Kassetten mit, denn ich wollte eben auch eine Erstkopie direkt von Platte!
War natürlich Blödsinn. Zwei LPs aufnehmen dauert. Zweimal zwei LPs aufnehmen an einem Nachmittag war nicht drin. Er also hatte nun seine Erstkopie und ich bekam meine Kassetten zwar auch bespielt zurück – aber oweh: In welcher Qualität? Dumpf. Ohne Rücksicht aufs Bandende Seitenwechsel, so dass nun mitten im Song was fehlte. Nicht auf jeder Kassette eine Platte, sondern da, wo LP 1 endet, gleich die ersten Songs der zweiten LP dran. Da bei Yes nun mal manche Songs noch Untertitel haben und wir vorher nichts kannten, stieg man also nicht durch, wo der erste Song aus ist und der nächste anfängt…. Die Songs hießen … äh…tja… bei Floyd sagten einem die Titelzeilen immerhin schon was: Shine on, you crazy Diamond …;aber mit 10.Klasse DDR-Schulenglisch voller Rent-Collector, in a Restaurant, Miners and Dockers are prepairing a Strike for higher wages; Slavery und Revolution nun Yes-Songs verstehen: Your’s is no disgrace? 5 percent for nothing? Perpetual change? Shindleria praematurus….???? Die machen’s einem nicht leicht!
Hinzu kam, dass wir bisher recht rhythmisch bzw. melodienselig unterwegs waren. Nun aber kommen YES und wechseln gefühlt jede Minute die Tonart, die Melodie, die Strophenform!?!
Fazit war: Dumpfes Zeug; in unübersichtlicher Reihenfolge; und mit zu 95% unverständlichen Texten! So beginnt kein Fan-tum!
Christian war es ähnlich ergangen. Während ich reinhöre, in das, was er mir da überbracht hat, und was vermutlich schon eine stümperhafte Zweitkopie von seiner darstellt, schaut er mich in Erinnerung an das lange Ding von Jethro Tull erwartungsvoll an: Kommen jetzt wieder gallige Witze? Dann hat sich für uns das Thema YES erledigt.
Ich gebe zu: Ich war auch kurz davor. Ich ärgerte mich jedoch mehr über die Scheißqualität und über ihn, den Erzeuger: So sieht also Freundschaft für dich aus? Mit Udo wär das anders gelaufen.
Sicher. Ich könnte den Murks auch löschen und seine Erstkopie nochmal komplett aufnehmen. Aber meine Zweitkopie würde wiederum schlechter klingen als seine. Es ist eine Frage der Ehre! Und Rache will ich trotzdem: Ich interpretiere die Fragezeichen in seinem Blick ganz richtig. Die Musik übersteigt auch seinen Horizont gerade.
Also fang ich an, aus purem Gnatz, die dargebotenen Klangrudimente zu loben:
„Abgefahren! Interessantes Chaos!“
Er ist erstaunt.
„Besser als Tull?“
„Na klar! Ist doch viel mehr los!“
Pure Selbstverleugnung meinerseits. Als er weg ist, fang ich von vorne an. Ich stöpsle das Anett an mein altes Holzkasten-Röhrenradio auf dem Bücherschrank und drehe dort die Höhen voll rein und die Bässe voll raus: So klingt es schon etwas besser. Aber das Rhythmuswechsel-Chaos bleibt natürlich gleich.
Ich will das verstehen! Die werden soooo gelobt! Die Supergroup des Artrock! „Yes ist die einzig wahre Band!“, wie oft hab ich diesen Spruch im letzten Jahr gehört! Es muss sich irgendeine Assoziationsmöglichkeit finden!
Und die fand sich. Etwa beim 3.Hördurchlauf: Es war dunkel geworden. Das grüne magische Auge des Radios und die spärlich erleuchtete Skalenscheibe, die Ortssendernamen enthielt, die es gar nicht mehr gab; reichte nicht aus, die Dämmerung zurückzuschlagen. Die Kulisse begann zu wirken: Das alte Radio; darunter der Bücherschrank mit vorwiegend antiquarischem Inhalt, ringsrum die damals angesagte echt wirkende Ziegeltapete – beamen mich zurück in Omas Bodenkammer; auf Schatzsuche.
Und nun hebe ich welche. Musikalisch. Da fällt mir zunächst der Gegensatz zwischen „Your’s is no disgrace“ und „the clap“ auf. Diese plötzliche kammermusikalische Ruhe nach dem großen Aufbruch! Dass dieses kleine Stückchen Musik wahnsinnig schwer zu spielen ist, ahnt wer bis vor kurzem tagtäglich am beidhändigen Akkordeonspiel scheiterte wie von selbst; dann gibt es da das Lennonzitat mitten in „All the good people“; …die Sache fängt an zu funktionieren… die call-and-response-Wechselspiele zwischen Jon Anderson und dem Chor verlege ich in Gedanken in die Stadtkirche, das ein oder andere Howe-Solo auf die Empore dort …. Ja, so geht’s…. die Orgelattacken erinnert an die Nice-LP… nun kommen die Anknüpfungspunkte von allein; – bis schließlich die zugeschlagene Tür und die sich entfernenden Schritte nach „we have heaven“ die Bodenkammer direkt fühlen lassen…
Spätestens hier ist es vollbracht. Das anfängliche Unverständnis macht sich eilends davon… um niemals wiederzukehren… Bei „Sharp! Distance! How can the wind winds its arms all around me-e-e-! We are lost in the city-y-y!“ fühl ich mich on the peak of knowledge!
Und so ist es geblieben. Bis heute. Trotz mieser Ausgangslage. Dem „Yes Album“(‘71) und „Fragile“(‘72) sei Dank. Es war die richtige Musik – gerade noch zur richtigen Zeit(‘76).
Hätte es sich statt der beiden genannten Großtaten um das Debut „Yes “ und „Relayer“ gehandelt, bzw. wäre das Ganze ein Jahr später passiert, als Johnny Rotten & Co begannen, die Musikwelt auf den Kopf zu stellen, wäre der Ausgang vermutlich ein anderer gewesen.
Tell the moon don’t tell the march hare tell the moon don’t tell the march hare tell the moon don’t tell the march hare tell the moon don’t tell the march hare tell the moon don’t tell the march hare
Rums! (Schluss-Rille der Fragile-LP)
Besser als Tull? Nö, gleich genial! Meine erste Yes war „Close to the Edge“, ich war absolut überfordert (verstehe dich also sehr gut) und wusste trotzdem, irgendwas ist da dran – und mit jedem Hören wurde es besser und besser und BESSER …
Übrigens, „The Yes Album“ hatte ich als Schallplatte einem Jugendfreund geliehen und der kippte eine Kerze um und Wachs floss über die Platte. Ich bin ihm nicht Gram, aber vergessen werde ich diesen Verlust trotzdem nie. Die Lücke ist bis heute nicht gefüllt. Hm, das wäre doch mal ein guter Grund, auf Plattenpirsch zu gehen, endlich einmal.
Frohes Hören!
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Der provokante Tull-Yes-Vergleich erklärt sich in Prog Path(5) 😉
Aber: Du hast jahrzehntelang ohne YES-Album überlebt? Das geht? 😮
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Ich weiß auch nicht wie …
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Ich kann bis heute sehr gut ohne Yes auskommen, konnte ich schon immer. Mag sein, dass ich die einfach zu wenig gehört habe (maximal zwei Umdrehungen, dann waren die Geschichte) und mir nur der magische dritte Versuch fehlt. Aber ich werde heute keinen dritten starten, obwohl sich Yessongs und Tales from Topographic Oceans auf Platte befinden.
Vielleicht bin ich musikalisch auch nur zu einfach gestrickt, aber Prog war für mich immer nur höchst überflüssiges und viel zu langes Geschraddel, mit sehr wenigen Ausnahmen.
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Naja, jedem Tierchen sein Plessierchen. Du hast dich mit Fussballverständnis über das sich nicht erschließende Progrockgeheimnis hinwegtrösten können. Ich – andersrum. 😉
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