„Vom Band fürs Band“ war eine seltsame Sendung sonnabends 19:00 Uhr auf Stimme der DDR. Der „Mitschneideservice für die hauseigene Discothek“. Nur eine halbe Stunde lang und mindestens zur Hälfte angefüllt mit dem, was sowieso alle Nasen lang auf Ostsendern zu hören war. Die Moderation blieb ein roboterhaftes: „Sie hören nun XY mit „Dideldum“, Länge 3:54!“ usw. Titel für Titel. Überraschungen konnten aber hin und wieder doch passieren. Die erste waren Frumpy (B.R.D.) mit „Hause dschüpsy wahs born“ 10:01! Die Aussprache so mancher Ansage verunglückte und sorgte für nachträgliche Lacher auf dem Schulhof Montagfrüh.
Für die politisch korrekte Aussprache von „B.R.D.“ jedoch muss es extra Weiterbildungen gegeben haben, damit in der Betonung auch ja genug Verachtung mitschwingt. Geschichte.
Das Frumpy-Stück erwies sich dank seiner Dynamik und Länge als Türöffner in eine neue Dimension; weg vom 3minütigen Hitparaden-Stuff. Allerdings sollten CD-Player zu Nachwendezeiten dann den Beweis erbringen, dass das Werk doch kein 10minüter ist.
Nichtsdestotrotz war es DAS ganz große Referenzstück in Sachen „Deutschrock“. In der DDR vermutlich bekannter und beliebter als im Westen selbst. Es hinterließ auch deutliche Spuren im Ostrock: Die „Tagesreise“, die ursprünglich für die Bürkholz-Formation komponiert worden war, kam (wegen deren überraschendem Verbot 1973) als Ausnahmesong der Krüger-Band 1975 auf Platte heraus. Die Nummer deklassiert dort jedoch alle übrigen Tracks und zeigt, dass das Bürkholzniveau weiiit über dem Krügerschen gelegen hatte. Ihr Komponist Michael Heubach zog weiter. 1978 taucht sie deshalb in leicht verändertem Arrangement auf der Meeresfahrt-LP von LIFT wieder auf und passt dort auch deutlich besser ins Reisekonzept der Platte.
Das zweite Highlight dieser Sendung 1975 war das vollständige Senden von Rick Wakemans Solowerk „Journey to the Centre of the earth“, verteilt auf 2 Wochen.
Die monumentale Jule-Verne-Verfilmung war in Ostkinos etwa ein Jahr zuvor gelaufen und hatte mich schwer beeindruckt. Nun floss diese Erinnerung mit einer ersten Spur ins Yes-Universum zusammen, was der NeuGIER noch einmal Auftrieb gab.
Pech nur, dass zeitgleich auch die NDR Hitparade lief, dass ich die hessische Hitparade donnerstags nur selten „aufnahmerein“ empfangen konnte und dass über die Woche 1975/76 immernoch eher Schlager, Orchestergefiedel oder easy listening Jazz abgedudelt wurde. Begrenzte Möglichkeiten also zum Beutemachen im Bereich guter Musik. Sendungen, wie zum Beispiel „Hits nach der Schule“, gab es noch nicht. Udo und ich teilten uns den Samstag auf. Ich NDR und er „Stimme“. Er hatte das bessere Radio und außerdem ein tragbares kleines Spulentonband namens URAN mit mehr Platz auf den Bändern. Deshalb sollte er das Großwerk erstmal archivieren, zwecks späterer Austauschsession, während ich auf der Lauer liege, wegen C.W. McCalls „Convoy“, Typically Tropicals „Ho! I’m going to Barbados“ und so Sachen, die’75 eben sehr IN waren.
Wir glaubten somit perfekt zu sein. War’n wir aber nicht. Beim sonntäglichen Treff stellte sich heraus, dass Udo während der Aufnahme die Panik bekam, wie viel Band so ein 17 Minutenstück frisst, deshalb war er auf den glorreichen Gedanken verfallen, bei laufender Aufnahme etwa in der Mitte, von der üblichen 9,5er Bandgeschwindigkeit auf 4,6er zu wechseln. Sowas ging auf dem URAN, erzeugte aber ein störendes -Uu-Huuhps- an der Umschaltstelle und zwang mich, schnellst möglich dieses verunstaltete Tondokument aufzunehmen, da 4,6er Aufnahmen rasant altern. Eine Woche später konnte sich das Ganze bereits wie eine matschig klingende Unterwasseraufnahme anhören, da sämtliche Höhen verschwammen. Physikalische Blindgänger, die wir waren, wusste keiner von uns, dass das auch meiner Kopie auf Kassette nicht erspart bleiben würde, wenn doch die Vorlage schon mies war. Wir hatten also keine lange Freude dran, an dem langen Ding.
Obendrein verhinderte irgendein Umstand auch noch in der darauffolgenden Woche das Mitschneiden des zweiten Teils aus dem Radio. Adieu Rick! Irgendwann mal wieder!
Ich weiß nicht, was Udo über seine Aufnahme leierte, aber aus irgendeinem Grund ist mir erinnerlich geblieben, was es bei mir war: Kassette 4, A-Seite: aus „journey to the centre of the earth“ wurde schon kurz darauf „Mirrorman“ von Captain Beefheart und da man auch den nicht alle Tage hören will, wandelte er sich schließlich zu einem Radiomitschnitt jener LP-Seite aus Harrisons „Concert for Bangladesh“, wo Bob Dylan seltenerweise mal live Lust gehabt haben muss; jedenfalls sind da herrliche Versionen von „Hard rain is gonna fall“ und „Queen Jane approximatly“ dabeigewesen…
1995 betanke ich mein Auto im Norden von Brandenburg und flippe an der Kasse durch dieses Tankstellensonderangebot von Billig-CDs, welches zu jener Zeit eher nicht aus Schlagerscheiß, sondern aus Bootlegs allermöglicher Bands „live in USA“ bestand. Einige 70er Jahre Hitsampler von „Spectrum Records“ waren auch darunter. Und plötzlich hab ich da den Mr. Wakeman in der Hand! „Journey to the centre of the earth“ für nur noch 5 Glocken! Jahrzehntelang nicht mehr gehört und eigentlich nicht mal gesucht, hat er mich gefunden. Gekauft – wieder erkannt – gefallen. Sachen gibt’s!
Kann ich gut nachvollziehen, dass Wakeman mit Journey die Progrockneugier anfachte, bei mir hat er vorher schon mit den Six Wives die Klassikneugier geweckt…
Lustig, das mit den Bandgeschwindigkeiten und dem Glauben, dass bei 4,75 die Höhen verschwinden würden. Dabei liefen die Cassettenrekorder ohnehin alle auf 4,75 😉
Trotz allem musst du in einer empfangsstarken Gegend gewohnt haben, ich habe ganz andere, düstere Geschichten im Ohr, was das Aufnehmen von Westsendern betrifft.
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Was Radio angeht stimmt das: Im empfangsmäßigen 3Ländereck: hinter jedem Hügel kam ein anderer Sender durch. Christian wohnte keine 300 Meter weg und bekam Bayern und Rias(über Sender Hof) aufnahmerein – und ich beide gar nicht. Udo Hessen und NDR, ich NDR und Hessen – unsere Stadtseite hatte nur ARD, die andere Hälfte hatte auch ZDF, die 3.Programme nur mit Antennen Marke Eigenbau und grieslich schlecht.
Die Sache mit den Bandgeschwindigkeiten ist schon eigenartig und naturwissenschaftlich kann ich das nicht erklären, aber die Kassettenbänder müssen in irgendetwas besser gewesen sein, denn als ein Bekannter sich 1988 so einen HiFi-Turm anschaffte, der wieder ein Deck hatte, spielte das Ding Kassetten mit Aufnahmen von 1975 gut hörbar ab. Udos 4,75 (war’s das wirklich? Mir war immer wie 4,6 – aber issja wurscht jetz‘) – Udos 4er Spulentonband-Aufnahmen klangen nach 5 oder 6 Wochen schon scheußlich. Deshalb ließ er das auch ganz schnell bleiben, die Geschwindigkeit jemals wieder zu benutzen.
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Mein Philips RK64 (Bj. 1962/63 – eine Monstermaschine) mit Stereo, Vierspur und sonstigem Tralala hatte vier Geschwindigkeiten 2,4, 4,75, 9,5 und 19 cm/min. 2,4 war für Sprache ausreichend, 4,75 passend fürs Schüler-Taschengeld und 9,5 brachte schon eine für damalige Verhältnisse gute Tonqualität.
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Dann hast du also massenweise mit der 4er Geschwindigkeit aufgenommen? Und wie lange klang das dann gut?
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Bis das tonnenschwere Röhrenteil etwa zehn Jahre später in den E-Schrott ging, weils mittlerweile feine Kassettenrekorder mit 4,75 und 9,5 gab. Die Bänder wurden teilweise noch auf Kassetten überspielt. Und einige rare Radioaufnahmen schafften es noch auf das dann kommende Tandberg TD20A anfangs der 1980er Jahre…
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Hui. Kassettenrekorder mit 2erlei Geschwindigkeiten? Les ich gerade zum ersten Mal. :-0
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Die jeweiligen gehoben ausgestatteten Decks von JVC, Marantz, Nakamichi etc. hatten 4,75 und 9,5cm.
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Ob es von „Tagesreise“ eine Aufnahme der Bürkholz-Formation gibt, mit Hans-Jürgen Beyer als Sänger? Das wäre der Heilige Gral des DDR-Beat. 😉
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Psst. Die gibts. Ich hab se mal gehört in einer Internetradiosendung in der Heubach interviewt wurde: Tagesreise mit Phantasie-Englischem Text. Eine Art Rohfassung – vor der Vollendung war die Verbotsüberraschung schon da.
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