Bäm! Flog da eine Tür auf im September 75! Die war anschließend so was von offen! Die ließ sich nicht mehr schließen!
Es kam so: Wir hatten erst ungefär 3 Wochen Schule als frisch gebackene EOSler und zum ersten Mal richtig heftig Stundenausfall. Also waren wir recht früh wieder zu Hause. Ich hoffte auf so was wie Ilja Richters Disco als Wiederholungssendung im gemeinsamen Vormittagsprogramm von ARD und ZDF, aber es kam nur „Kennzeichen D“. In der Sendung ging es ungefähr die halbe Sendezeit um ein Politikum ungeahnten Ausmaßes: Renft war verboten worden! Beim Vorspiel zur Genehmigung der 3. LP vor Kulturbonzen war es passiert. Die Funktionäre wollten da ein Provokationsensemble mundtot machen, statt dessen aktivierten sie das Interpretations-Gen meiner Generation.
Bis dahin hatte niemand in meinem Bekanntenkreis ein Ohr für Ostrock. Erlaubt war der erst seit Honeckers Machtantritt’ 71 und wurde konsequent verlacht. Es gab nun zwar die eine oder andere Band LP und auch Sampler mit osteuropäischer Rockmusik, die in den DDR-Medien immer noch Beat genannt wurde, aber eigentlich ergaben sich daraus nur Lästervorlagen für sich allwissend dünkende 15jährige.
Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen! (Hortnerinnentango) Hände, die uns vorwärts weisen! (Brüder seht die rote Fahne 1. Teil) Bruder da vorn! (Brüder seht die rote Fahne 2.Teil) Vorn ist das Licht, du kannst es sehen! (Brüder seht die Rote Fahne 3.Teil) — Es! Brennt! Der Wald! (Tatütata Felicitas die Feuerwehr ist da!) —- Soldat vom Don(moache dich davon!) bzw. das Trostlied für verhauene Klassenarbeiten: Na und und wenn! Soll ich etwa heulen? Oh nein, das tu ich nicht!
Das ging alles nicht los, war deutsch gesungen; Deutsch aber war keine „Rocksprache“, wie irgendein Schulhofspezialist mal als Totschlagsargument in die Runde warf und textlich war es zusätzlich lauter plattes Zeug, was nichts mit unserm Alltag zu tun hatte.
Wäre unter uns ein „Kunde“ (=Tramper, Osthippie) gewesen, der Weekend für Weekend irgendeiner dieser Bands auf die Dörfer folgte, so hätten wir das eventuell vollkommen anders beurteilt, aber um mich herum waren eben alle „lieb“ und erfuhren somit auch nichts von den Kunden-Prügeleien mit der Polizei in Altenburg und auf der IGA in Erfurt, obwohl das alles gar nicht weit weg gewesen wäre…
Heileweltgesänge, Kreml-Rock, Soli-Beat-Geklimper … die Verhöhnungen waren Legion.
Renft waren entweder als Säufer-Combo oder als „Rote Renft“ verschrien, denn ihr letztes offiziell genehmigtes Lebenszeichen war ein Solidaritätsliedchen namens „Chilenisches Metall“. Zwar war niemand so staatsfeindlich drauf, dass er den Pinochet-Putsch von 73 bejubeln würde; es gab auch niemanden, der den Vietnamkrieg durch die amerikanische Brille sah; aber die ungekonnte Überdosis an „Hände weg von Vietnam!“-Aktionen, sowie „Freiheit für Luis Corvalan“ -FDJ-Nachmittagen, -Politinformationen, -Pflichtfilm-Kinoterminen, – Kartensammelei erstickte das wirkliche private Empfinden frühzeitig.
Nun aber sitz ich da vor dem Fernseher und der Klassenfeind haut mir um die Ohren, was ich alles vorher nicht mitbekam. Per Wohnzimmer-Session singen die Renftler da:
„Du woran glaubt der, der zur Fahn’ geht und der, der den Arsch quer zu der Fahn dreht?!“
Weia! Aber es ging noch schlimmer:
Eine Rockballade über eine missglückte Flucht:
„Nach dem Tütenkleben, wollt er nicht mehr leben. Er fuhr nach Wittenberge rauf – und ging in die Elbe, die Stelle war dieselbe. Vielleicht taucht er in Hamburg wieder auf!“
Gesungen — nein, GEBRÜLLT — von Thomas Schoppe, den sie Monster nennen. Der hatte die Stimme und das Aussehen dazu, die Wirkung dieses Textes absolut zu unterstreichen.
Sowas singen die?
In ehrlich einfacher Sprache wird im Interview zum ersten Mal öffentlich über das langwierige Gebastel an den Texten berichtet. So brisantes Zeug kam nie auf Platte! Ihr Stammtexter Gerulf Pannach (hatte zuvor als Liedermacher schon Auftrittsverbot) wollte manchmal nicht ändern, also wurde Kurt Demmler hinzugeholt. Der galt als so eine Art staatlich geprüfter Verseschmied für alle Bands und lieferte anderen Truppen durchaus auch gereimten Schrott. Allerdings gibt es von ihm eben auch Lieder, die doch irgendwie durch die Kontrollmechanismen rutschten. Nirgends so viele wie im Repertoire von Renft, was uns aber bisher entgangen war.
Renft hatte ich mit 12 oder 13 eines Sonntags im DDR-Fernsehen gesehen.
Schon das war damals ein familiärer Urknall: Langhaarige, vollbärtige Musiker in „Wünsch dir was“ mit Irmgard Düren! Die Eltern hatten seither nicht mehr auf Fasson- bzw. Rundschnitt bestanden. Somit verdankte ich meine Mecke Renft. Fan wurde ich damals trotzdem keiner, wegen (siehe oben)…
Nun aber mutierten sie urplötzlich zu Helden! DIE hatten Traute! Wow!
Die überwanden diese Stillhaltebarrieren: „Das erzählste aber nicht auf der Bühne! Da machste aber kein Lied draus!“ Die wollten auch nicht die DDR stürzen, aber die Tabu-Themen diskutieren!
Nach der Sendung stand ich auch schon im Plattenladen und hielt ihre 2. LP in Händen, die es zu dem Zeitpunkt immer noch gab.
Ich drehte die Hülle in der Hand, las die Titel und – wurde Opfer meiner Vorurteile:
Das gefährliche Zeug aus „Kennzeichen D“ war ja erst für die 3.LP vorgesehen, wie angepasst mochte nun die 2. wohl sein?
„Ich bau euch ein Lied“ – hach, das ließ Singeclubartiges ahnen;
„Nach der Schlacht“- (warn die grünen Wiesen rot, nach der Schlacht warn viele Kameraden tot); soweit hatte ich den Text mitbekommen, reim dich oder ich fress dich! Ich hatte nie richtig hingehört, wenn der Song mal im Radio lief;
„Wiegenlied für Susann“ – Schnarch mein Kind (und abwink!)
„Gelbe Straßenbahnballade“ – (Ironie ein! Spannend! Ironie aus!)
usw. usf.
16,10 M – für dieses vermutlich total entschärfte Zeug? Nö. Ich legte die Platte ab und verließ den Laden. Sie lag noch monatelang dort im Regal, was meinen Verdacht der Unerheblichkeit zu bestätigen schien.
Ein Widerhaken jedoch blieb. Von dem Tag an hörte ich deutlicher hin. Über Renft wurde in den Pausen debattiert. Ein paar Heldengeschichten von Feuerzeugbenzin auf den Schlagzeugbecken, das brennend heruntertropft und live gespielten Stones-Songs wurden berichtet. Das war dann Anlass auch über andere Bands herumzufantasieren, z.B. dass die Magdeburger Klosterbrüder mit Sarg auf die Bühne kämen und dass die Stern Combo Meissen „Jerusalem“ von Emerson Lake & Palmer im Konzert perfekt nachahmen kann und obendrein „wie Pink Floyd“ quadrophone Konzerte spielt. Außerdem hätten die ein klassisches Adaptions-Stück „Finlandia“ im Programm, mit dem sie Nice-ns „America“ übertreffen würden.
Unser Städtchen und die näheren Dörfer aber wurden von solchen Hochkarätern nie frequentiert, also hatte eigentlich auch keiner der 11er einschlägige Erfahrungen, sondern quasselte nur nach, was er irgendwo mal aufgeschnappt hatte oder erfand selber noch dazu.
Dann ging die Sage um, dass die Stern Combo eine erste LP genehmigt bekommen haben sollte. Die waren im Rundfunk bis dahin fast so rar wie YES. Nun sollte es auch noch gleich eine Live-Platte werden! Also glaubten wir nun allen Ernstes, dass damit das Eis gebrochen sei: Ostrock auf Weltniveau! AMIGA ließ sich die Produktion was kosten! Her mit der Platte!
Aber die Platte kam nicht in die Läden. Was kam, war eine LP von LIFT. Und eine von Bayon. Beides wunderbare anspruchsvolle Musik. Die Lästerlawine war blitzartig weggetaut. Ostrock wurde ernst genommen.
Schließlich kam mit Verspätung auch die Live-LP der Stern Combo. Ihre Finlandia-Adaption allerdings fehlte. Die Applauskulisse war gering. Die Platte war kein Flop, aber sie erfüllte nicht die Supergroup-Erwartungen, die wir damals hegten. 1996 wurde des Rätsels Lösung nachgereicht. Die Sterncombo veröffentlichte nun erst ihr eigentliches Debut, welches 1977 kurzfristig eingestampft worden war, weil in „Finlandia“ und „wenn ich träume“ zu deutlich gegen den Denkverbotsstachel gelockt wird. Die Band musste deshalb ihr Repertoire entschärfen. Daher der Aufschub damals! Erhalten blieb immerhin auf beiden Platten ihr erster richtiger Radio-Hit „Der Kampf um den Südpol“. Ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Stück. Der Wettlauf zwischen Amundsen und Scott war in den 70ern ein beliebtes Thema für Abenteuererzählungen in der FRÖSI bzw. als Jugendbuch und Ferienprogrammfilm. Jeder kannte das. Ich aber hatte zusätzlich als Zeitdokument: Die Amundsen-Siegmeldung im „Guten Kameraden“. Kein Wort dort von der Scott-Expedition. „…da brach der Frost von draußen her! Ihm tief in sein Herz hinein!….“
Für uns aber ging’s nun richtig los: Die 2. Lift LP kam. „Meeresfahrt“ – ein Meisterwerk bis heute. Die 2. und 3. Stern Combo-Platte; SBB genossen anhaltende Verehrung; Omega Kisstadion’79; Art-Rock vom Feinsten; kulturell war was in Bewegung gekommen im Osten, als Punk und New Wave im Westen bereits das nächste Türchen aufstießen…
1978. Jugendherberge Dessau. Klassenfahrt. Im Aufenthaltsraum steht ein Plattenspieler. Dort lag auch ein völlig verbrauchtes knisterndes Exemplar der 2. Renft LP. Hier hörte ich sie zum ersten Mal vollständig und ohrfeigte mich innerlich bei jedem Song: Du Idiot! Du Idiot! Die hattest du in der Hand! Für 16,10! Die hättste kriegen könn’, damals!
Der geistige Sprengstoff der Lyrics von „Ich bau euch ein Lied“, „Nach der Schlacht“, „als ich wie ein Vogel war“ und vor allem von der „Ermutigung“ erschloss sich wie von selbst. Begehrenswert nun – aber auch unbesorgbar rar.
Genesis und Yes hatte ich inzwischen immerhin auf Band, die neue Sehnsucht hieß RENFT-LP!
Immer eine Zeitreise bei dir.
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Klasse Zeitbericht abermals…
„…statt dessen aktivierten sie das Interpretations-Gen meiner Generation.“
Der Satz hat mir irgendwie gefehlt. Viele Menschen aus der ehemaligen Republik habe ich schon gefragt, ob das hinsichtlich der Textinterpretationen ein Phänomen in der vormaligen Deutschen Republik gewesen sein könnte, dass man angesichts eines Texts sofort in eine Art Interpretiereritis zwischen die Zeilen verfallen sei. Aber der Kreis derer scheint nach meinen Gesprächserfahrungen eher klein gewesen sein. Vielleicht beschränkte sich dieses Verhalten auf Liebhaber lührischer oder in der Musik verwendeter Texte. (???)
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Nö. Lehrbuchlyrik mochte niemand um mich herum. Über musikalische bzw. literarische Botschaften aber wurde munter und dauerhaft diskutiert. Mich hat geschockt, dass einige meiner Bekannten nach dem ersten Begrüßungsgeldkaufrausch aber sofort vergessenzuhaben schienen, dass sie das mal konnten.
Dieter Hildebrand und Heinz Rudolf Kunze unabhängig voneinander lobten in Interviews das wache Ostpublikum, das jede Pointe sofort versteht; vor dem Mauerfall.Und deren Publikum ging trotz nur weniger Auftritte in die zehntausende.
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