Friedrich Spielhagen

Das Erschießungskommando wird nur noch aus 3 oder 4 Mann bestanden haben. Immerhin vor dem Rathaus der Stadt. Schaulustige sind keine mehr da. Die Angst geht um. „Der Iwan“ beschießt bereits die Ostvorstadt. Man hat keine Zeit mehr für „Mätzchen“. Es ist der 28. Januar 1945. Der Tag der Hinrichtung des 2. Bürgermeisters von Breslau. Befehl des Gauleiters Hanke, der die Stadt wenige Tage zuvor zur „Festung“ erklärt hat. Der Vorwurf: Versuchte Fahnenflucht. Der eigentliche Grund: Private Rache.

Der Hingerichtete ist Wolfgang Spielhagen. Das prominenteste Opfer jener Untergangshybris der braunen Phase Deutschlands. Seine Prominenz ist eine ererbte und schon reichlich verblichene: Er ist mütterlicherseits der Enkel des einst sehr angesehenen Schriftstellers Friedrich Spielhagen (1829 – 1911).

Der berühmte Großvater starb 1911 als Nachlassverwalter seines Freundes, des glücklosen jüdischen Schriftstellers Berthold Auerbach. Sein Enkel starb als NSDAP-Mitglied.

Friedrich S. starb als bekennender Kritiker des unfähigen letzten Kaisers, als ironischer Adelsbeobachter und Mahner des allzu nassforschen, untertänigen Bürgertums – bereits ungehört. Er hatte die Phase seines Ruhmes überlebt. Die Zeichen standen auf Kolonialismus und Sehnsucht nach der letzten großen Schlacht. Wilde literarische Grabenkämpfe einer kulturell impotenten, aber von zu langem Frieden gelangweilten Gesellschaft um die Jahrhundertwende hatten ihn zum Feindbild erkoren: Der hatte Erfolg – der muss weg!

Es lebe der schwachbrüstige Expressionismus! Der Schreiber-Punk der Unausgegorenen!

Heute weiß man: Übrig blieben stattdessen die „Buddenbrooks“. Thomas Mann aber kann als Fortsetzer von Spielhagen und Fontane gelten. Letzterer ist sogar Literaturverächtern ein Begriff. Ersterer nicht mal Kennern.

 

Spielhagen war zu Lebzeiten mit ca. 22 Romanen  sehr erfolgreich. Hinzu kommen noch einige frühe und späte Novellen, die nur der Vollständigkeit halber eine Rolle spielen.

Er pilgerte nicht durch die Gutshäuser wie der alte Neuruppiner, dessen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ihn zu Lebzeiten eher über Wasser hielten als seine ambitionierten Spätwerke, die medial heftigst umstritten, an der Ladenkasse gegen Heyse, Storm, Spielhagen und Raabe meist den Kürzeren zogen.

Nichts desto trotz war Spielhagen bereits als Abiturient in vorpommerschen Gutshäusern ein- und ausgegangen, da die Zöglinge der Geschlechter in Stralsund seine Klassenkameraden waren und ihn in den Ferien spendabel einluden zu Ausritten, Jagden, Tändeleien. Seine Umgangsformen waren gediegen. Er ging nie zu weit, sich einer der hübschen Schwestern seiner Gastgeber zu nahen. Er wusste, wo er hingehört. Ihm fehlte das „von“ im Namen. Immerhin war sein Vater königlicher Wasserbauinspektor und als bewährte Kraft von Magdeburg ins hinterwäldlerische Stralsund versetzt worden, also schien auch dem jungen Friedrich eine achtbare Karriere bevorzustehen. Auch war er der gerngesehene Plauderer, der ein wenig für Niveau der Unterhaltung sorgen konnte. Man gestand ihm früh schon „den Adel der Bildung“ zu, da er im Unterschied zu den wirklichen Blaublütern Leseratte war. Bereits der 12jährige hatte viel zu früh, aber mit Lust und ohne pädagogische Verhackstückung seine Phantasie an Weltliteratur trainiert, wie spätere Jahrgänge die ihre an Karl May. (Dort oben am kulturell minderbemittelten Sund waren in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Bücher Mangelware und somit nur die Gesamtausgaben von Lessing sowie ein paar Bände Shakespeare aufzutreiben gewesen.)

Seine Gastgeber debattierten die Getreidepreise, bevorstehende Verlöbnisse und Pferdewetten mit Sachverstand und Häme – und der bürgerliche Gast beobachtete beeindruckt, bemitleidend, amüsiert. Er durchschaute die Borniertheit. Er feierte sie nicht, wie später Fontane in der „Grafschaft Ruppin“.

Allerdings klagte er nicht an, sondern bemitleidete eine gesellschaftliche Schicht im Untergang. Fast in jedem seiner Romane findet man im Randbereich des Figurenensembles einen adligen Renegaten, der mehr oder weniger tragisch scheitert, weil er sich (weltfremd erzogen), elitär denkend, im Alltag der „Masse“ nicht zurechtfindet.

Spielhagen siegestaumelt deshalb auch nicht mit ins Bismarckreich hinein. Er verwünscht es allerdings auch nicht wie Georg Herwegh. Er blieb kritischer Liberaler. Protokollant der Verfehlungen. Bewahrer der Ideale von 1848; zu denen er ca.1850 kurios verspätet fand.

Er nähert sich neuen Phänomenen seiner Zeit zunächst begeistert – und bald ernüchtert: Lassalle zum Beispiel. Was für ein Aufstieg! Was für eine Lebensleistung – aber eben auch – was für ein Lebenswandel. Er ringt mit seinem Kurzzeit-Idol in zwei zeitlich weit auseinander liegenden Werken: Das erste Mal in einem seiner frühen Großwerke „In Reih und Glied“ nur im Nebenstrang der Handlung und zum anderen in seinem letzten wichtigen kleinen Roman „Frei geboren“ von 1900.

Übrig bleibt ihm bei aller Ernüchterung – trotz alledem! -, die aufstrebende Arbeiterklasse als gesellschaftliche Kraft akzeptieren zu lernen: Sozialdemokratie!

 

„Du bist viel weniger ein Zeus, als ich, o König, ein Titan!
Beherrsch ich nicht, auf dem du gehst, den allzeit kochenden Vulkan?
Es liegt an mir: – ein Ruck von mir, ein Schlag von mir zu dieser Frist,
Und siehe, das Gebäude stürzt, von welchem du die Spitze bist!“ (Freiligrath)

 

Freiligraths Gedicht  „Von unten auf!“ (1846) beeindruckt ihn so, dass er die Situation zu Beginn seines Romanes „Hammer und Amboß“(1869) anklingen lässt, indem auch hier ein Heizer aus dem Schiffsrumpf emporsteigt und der gut situierten Reisegesellschaft zum Menetekel wird.

Er begreift den Gerechtigkeitsanspruch. Er sieht die allgegenwärtig fehlende Bildung. Er hofft auf  revolutionslose Läuterung der Herrschenden, aber er gestaltet das Scheitern der Protagonisten der ersten Stunde; sowohl in „Opfer“ als auch in „Frei geboren“.

Beide Romane ergeben obendrein ein Ganzes, da 2 Nebenfiguren des ersten die Hauptfiguren des zweiten sind, grad so, wie man es aus Jim Jarmuschs Episodenfilmen kennt.

Jedoch ist er kein Arbeiterdichter. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der unglücklichen Klassensymbiose Adel und Bürgertum. Das Kopierenwollen aristokratischer Vornehmheit in Bürgervillen ist ihm zeitlebens Ärgernis. Der wirtschaftliche und moralische Abstieg der Aristokraten auch. Er ohrfeigt allzeit gekonnt. Die Kritik ist deutlich, grell, aber die Romankonflikte bleiben Salonfähig, da den fiesen Unglückserzeugern hehre Lichtgestalten klassischer Bildung entgegenstehen und gemäß des Goethe-Zitates „…durch Nacht zum Licht“ gelangen.

Heutzutage bringt es die Unsitte des epidemischen Guttenbergens mit sich, dass nicht nur bei Wikipedia steht: Spielhagen sei „ein Meister des Romanbeginns“, im Verlauf der Handlung jedoch verlöre diese an Fahrt. Ha!

Ihr oberflächlichen Überschriftenwisser! Habt ihr jemals eins seiner Werke wirklich in der Hand gehabt – oder nur verstümmelte Auszüge in der „Fachliteratur“ gelesen?

Mit Spielhagens Hilfe begreift man das 19. Jahrhundert!

Er beantwortet, wo all die Leidenschaften blieben, die den Menschen nun einmal ausmachen, die die prüde Zeit jedoch wegdomestizieren wollte. Er schildert, wohin das führt. Im Guten, wie im Schlechten.

 

„Nirgends wird Jugend so systematisch verbogen, wie bei uns.“

(aus „Hammer und Amboss“)

 

In „Sonntagskind“ (1893) und „Frei geboren“ (1900) erschafft er Nebenfiguren, die auf interessante Weise kaiserzeitlichen Antisemitismus veranschaulichen.

Er schafft es, in seinen großen Romanen ein Gesellschaftspanorama vorzuführen, das den Namen auch wirklich verdient: Vom hausierenden Zigeuner bis zum Regierungsrat; er vergisst auch nicht, „die im Dunkeln“ zu Wort kommen zu lassen: Lohnarbeiter, Bauern, Mägde, Hauslehrer, Hausmeister der Gutshäuser, bucklige (also nicht vermittelbare) Mädchen, frustrierte zwangsverheiratete Hausfrauen, Häftlinge, verluderte Offiziere und ihre „Burschen“, vereinsamte Gutsförster, zum Größenwahn erzogene Kronprinzen… Das volle Programm.

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(Boettcher „Sommernacht am Rhein“, 1862; kopiert von Schiebeck ca. 1900; das Gemälde erschien mir passend als Illustration zu zahllosen gutsherrlichen Abendgesellschaften auf Rügen, wie sie Spielhagen beschreibt.)

Meine 5 Favoriten sind (und die Auswahl macht Mühe, da mir 18 aus 22 richtig gut gefallen):

„Problematische Naturen“ (1861; sein epochaler Erstling!)

„Hammer und Amboss“ (1869; sein wohl perfektester Plot.)

„Sturmflut“ (1877; die gelungen geschilderte, ernüchternde Ankunft im Bismarckreich)

„Platt Land“ (1879; sein spannendster Roman, ein Historienkrimi im Gutshaus!)

„Opfer“ (1899) und „Frei geboren“ (1900; die beiden kleinen Spätromane, die zusammen einen ganz GROSSEN ergeben)

 

Und obwohl er reihenweise die feudale Art der standesgemäßen Eheanbahnung zwischen Verwandten als ins Unglück führend beschrieb, heiratet eine seiner Töchter ihren Cousin?!

Obwohl er, wie oben beschrieben 1893, den Teppich anhob, unter dem der „neue“ Antisemitismus bereits keimte, wurde sein Enkel NSDAP-Mitglied, wenngleich eventuell nur Mitläufer?!

 Friedrich Spielhagen präzisierte einst nach Erscheinen von „In Reih und Glied“ 1866 bei einer Begegnung mit Kronprinz Friedrich (dem späteren 99 Tage Kaiser) mündlich standhaft seine Adelskritik und fiel deshalb nicht in Ungnade.

Wolfgang Spielhagen kritisierte nicht eine Kaste an sich, nur einen fanatischen Gauleiter – und musste sterben.

Fontane war ihm zeitlebens Kollege und im Alter auch künstlerischer Herausforderer. Er beobachtete ähnlich scharf und kam zu den gleichen Erkenntnissen.

Beide waren sich einig in ihrer Romantheorie, dass man das Leben poetisch gereinigt (veredelt) darzustellen habe, nicht naturalistisch unfein abbilden dürfe.

Fontane destillierte sein Figurenensemble solange, bis alle Glut und alles Temperament entschwunden war. Übrig blieben bieder agierende Rentner jeden Alters.

Spielhagen erschuf  Figuren aus Fleisch und Blut, die Träger sämtlicher menschlicher Eigenschaften sind.  Vergessen, vorbei.

Die Wertschätzung des einen und die Ignoranz gegenüber dem anderen – ist KEIN Ruhmesblatt des angeblichen DichterUndDenkerVolkes.

78 Gedanken zu “Friedrich Spielhagen

  1. Ihre unglaubliche Fähigkeit, gezielt ausgewähltes Wissen, umzusetzen, weiterzudenken zeichnet Sie aus.
    Ihren Hinweisen zu Musik und Literatur folge ich uneingeschränkt.
    Sie sind ein klar denkender Mensch wie selten.

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  2. Vielen Dank für die glühende Vorstellung. Nachdem du bereits mehrfach auf Spielhagen hingewiesen hast, sollte ich vielleicht doch jetzt endlich einmal ein Werk von ihm lesen.
    Was ich allerdings nicht verstanden habe, „…er vergisst auch „die im Dunkeln“ zu Wort kommen zu lassen: Lohnarbeiter, Bauern, Mägde, Hauslehrer,…“ – da fehlt wahrscheinlich irgendwo das nicht?

    Du schreibst, „Nur er schafft es, in seinen großen Romanen ein Gesellschaftspanorama vorzuführen, das den Namen auch wirklich verdient: …“, das halte ich jedoch für übertrieben.
    Dir ist wahrscheinlich Heinrich Albert Oppermanns „Hundert Jahre 1770-1870. Zeit- und Lebensbilder aus drei Generationen“ unbekannt. Das ist ein sehr umfangreicher und vielfältig gestalteter politischer Roman, der zwar 1870 endet, aber beinahe alle folgenden unseligen Entwicklungen bereits in Nuancen andeutet. Im Roman selbst tauchen neben den gestalteten viele reale Persönlichkeiten auf, was die Überprüfung der Fabel sehr reizvoll macht.

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    • In dem Mägde und Hauslehrer-Satz fehlte ein „nicht“.
      Den Oppermann hast du auch schon mal erwähnt, um den sollte ich mich vielleicht doch mal kümmern. Aber im kommenden Sommer hab ich erst mal vor, die „Problematischen Naturen“ zum 2. Mal zu lesen … und wenn die durch sind, ist der Sommer rum. Mal sehen.
      Das „nur“ werd ich mal noch tilgen.

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  3. danke für die „glühende Vorstellung“ (mein Vorredner) – ja. Nie nix gelesen von Spielhagen – dem Großvater – dem Enkel. Von Fontane aber doch das eine und andere. Da kann ich deinem Urteil nicht zustimmen. Von wegen Rentnermentalität und bieder! Abgründig ist er in seinem Realismus (nicht: Naturalismus).

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    • Ich geb gern zu, dass mein Verhältnis zu Fontane ein gespaltenes ist.
      Es begann mit der unseligen Pflichtlektüre der „Effi Briest“ und setzte sich mit ähnlichen Langweilern fort, bis mich letztlich der „Birnbaum“ und die „Jenny Treibel“ eines (etwas) Besseren belehrten. Da war ich dann schon 40. Aber gegen Spielhagens Schöpfungen bleiben selbst diese Akteure scheintot. In manchen Schilderungen von eigentlichen Nebensächlichkeiten oder Randerscheinungen, die aber längst vergangenes Zeitkolorit erschaffen, ist er durchaus Meister – aber das, was man gemeinhin Handlung nennt – schnarrrrch.
      Identifikationsmöglichkeiten? Niente.
      Wiedererkennbare Zeitgenossen – naja, um 7 Ecken gedacht, der eine oder andere…

      Alles in allem: zu wenig für mich.

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  4. Dass ich Fontane liebe hatten wir schon…
    Ich habe aber nochmal mit „Frei geboren “ begonnen und zwar diesmal, ganz gegen meine Gewohnheit, chronologisch und gestehe gerne, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, warum ich die beiden überhaupt gegeneinander abwägen sollte, dass ich das, was ich an F. am meisten schätze (abgesehen von seiner Sprache natürlich), den liebevollen Blick, mit dem er auf Frauen blickt, auch auf die, welche ihre zugewiesene Rolle nicht erfüllen können oder wollen, dass ich eben jenen liebevollen Blick auch bei Spielhagen spüre.
    Als Frau. die sich auch in unserer relativ freiheitlichen Gesellschaft sehr bewusst darüber ist, dass unser Leben vom Patriarchat bestimmt ist, weiß ich jeden Mann zu schätzen, der die geschlechtsspezifische Situation von Frauen im Patriarchat überhaupt als solche wahrnimmt und thematisiert. Und jene, die sich, weil ihr Verständnis von Freiheit und Würde ihnen gar keine andere Wahl lässt, auf die Seite der Frauen schlagen, lassen mich hoffen, dass wir die unseligen Verhältnisse von Verachtung und Unterdrückung eines schönen Tages überwinden werden.
    Und wenn wir dann, als Menschheit, tausende von Jahren Matriarchat hinter uns haben, lassen Sie uns, lieber Bludgen mal zusammensetzten und entscheiden, was besser war für die Menschen, die Tiere, die Welt. Wohlgemerkt, gerechterweise nach ein paar Tausend Jahren… Und bis dahin, herzlichen Dank, dass Sie nicht müde werden, einen den Frauen zugetanen Schriftsteller ins Bewusstsein zu rücken.

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    • Oh. Bloggen fetzt. Mal gucken, ob ich das noch steigern kann: Würden Sie es schaffen, das Buch bis ungefähr anfang Juli liegenzulassen? Dann fang ich an, es zum 2. Mal zu lesen. Es wird wie eine Erstlektüre sein. Viel weiß ich nicht mehr. (Wir könnten dann im Pingpongverfahren stereo lesen: Wie weit sind Sie gerade? Ich bin da, wo… und heute kommt mir das so und so vor….)

      (Die Erstlektüre war vor 20 Jahren und ich weiß von der Handlung nur noch, dass sie mich in Räusche versetzen konnte. Jede Filtertüte erinnert mich seit her an die schöne Baronin Melitta. Oder war’s ne Gräfin?)

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  5. „Das prominenteste Opfer jener Untergangshybris der braunen Phase Deutschlands.“
    Zumindest aus protestantischer Sicht dürfte das Dietrich Bonhoeffer gewesen sein.
    Wie öffentlich bekannt damals z. B. Georg Elser war, darüber weiß ich nichts.
    Bei „braune Phase Deutschlands“ beschleicht mich inzwischen ein mulmiges Gefühl. Ich will hoffen, dass diese Zeit nicht von späteren Generationen als „erste“ braune Phase bezeichnet werden muss.

    „Bieder agierende Rentner“ kann ich teilweise nachvollziehen. Ich vermute, ein erheblicher Teil der Gesellschaft hat sich tatsächlich so verhalten. Und nebenbei bemerkt, nehme ich auch ich meine Zeitgenossen so war, die in den 80ern Geborenen besonders, aber inzwischen auch die Jugendlichen,
    da kann man zuhauf Exemplare treffen, die mit 20 schon wissen, wen sie wann und wo und vor allen Dingen in welcher Maskerade HEIRATEN wollen. Gesundheit, Familie, Haus. Aus. Die nehme ich schon gar nicht mehr als Rentner, sondern bereits einen Schritt weiter wahr, während sie mich als eine Art Naturwunder bestaunen.

    Zurück zu F. Warum soll er also nicht das beschreiben, was er gesehen hat? Vor mir entstehen seine Gestalten ganz und gar fleischbluten, er hatte nur die Gabe, völlig unreißerisch über menschliche Abgründe zu schreiben. Die Feinheit seiner Sprache entspricht der Feinheit seiner Wahrnehmung, komprimittierungslos, nach meinem Empfinden aber kompromisslos.
    Ich habe viel über das 19. Jhd. durch Fontane verstanden und auch viel über die Ursachen des Danach. Wie die Menschen verschieden sind, sind es eben auch ihre Zugänge zur Welt.

    Weder Sp. noch F. konnten auch nur ahnen, was tatsächlich eingetreten ist. Ich vermute beide (Sp. kenne ich zu wenig) haben einen Umbruch wahrgenommen und ein Ende voraus geahnt. Das Ende einer Epoche. Dabei bekomme ich Gänsehaut. Wenn ich mein Lebensgefühl der letzten vielleicht drei Jahre beschreiben sollte, dann wäre das Fin de Siècle.
    Hundert Jahre zurück war Europa mitten im Ersten Weltkrieg. Wir sind mitten im Dritten.

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    • Übereinstimmung: Das Fin de Siècle Deja vu kenn‘ ich nur zu gut. Leider. Und als Ossi bin ich Ihnen einen Zusammenbruch voraus.
      Das „prominenteste Opfer“ bezog sich nicht auf alle Toten des NS, sondern lediglich auf diese Willkür-Aburteilerei von bisher unbelasteten Durchschnittspersonen durch sogenannte schnelle Standgerichte (a la Filbinger) in den letzten Wochen der „Wir kapitulieren nie!“- Phase.

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    • Den Unterschied zwischen F. und S. in der Schreibe macht vorallem das Alter: S. schrieb seine besten Werke in recht jungen Jahren, zwischen 30 und 50, F. fing da erst an, relevant zu werden. Es gibt diese Frühwerkausnahme „Vor dem Sturm“ – aber die kenn ich nicht. Vielleicht war da auch F. lebendiger. Jedenfalls küssen sich die Pärchen bei F. nicht mal, wenn sie alleine sind.
      Niemand schwärmt für den anderen, niemand flucht über den anderen…
      Aber ich will Ihnen ja den F. gar nicht ausreden. Feiern Sie ihn ruhig. Für mich bleibt er halt ein Langweiler mit ein paar guten Momenten.

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      • Ich will Ihnen den F. auch nicht aufschwatzen.
        Für mich sagen z.B. die wenigen Worte, die er in „Irrungen und Wirrungen“ über Lenes einzige Nacht mit dem geliebten Mann verliert, oder besser: nicht verliert, da er nur über ihr Zubettgehen und Aufstehen schreibt, mehr als jede Lautmalerei. Oder Briest: Muss man fluchen, wenn man sich immerhin duelliert.

        Und wenn ich gerade etwas feiern wollte, dann wäre es wieder mal Ihr Blog!

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      • Danke mit Hofknix – neee: Diener!
        Aber mit dem Effi-Duell da pieksense nu DEN wunden Punkt schlechthin auf: Ich weiß ja nicht, wie es weibliche Leser sehen – aber gefühlte 3 Kapitel lang zum Duell fahren, dann eineinhalb Zeilen Duell und wieder gefühlte 3 Kapitel lang Rückfahrt … Ätzend!

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      • Ich habe nochmal den Abschnitt gelesen, in dem Innstetten in dem Gespräch mit seinem „Vertrauten“ (das auch dahingehend interessant ist, als es offenbar das Maximum an Nähe abbildet, zu dem er als Mann zu einem Geschlechtsgenossen in der Lage ist) den Entschluss zum Duell endgültig fasst.
        Wenn man davon ausgeht, dass Fluchen als Ausdruck einer Emotion zu verstehen ist, wäre ein Fluch oder Ähnliches bei ihm tatsächlich fehl am Platze, denn der Mann spürt sich nicht. Der Entschluss zum Duell erfolgt nicht primär aus einem Empfinden, sondern aufgrund einer rationalen Überlegung zum Thema „Individuum und Gesellschaft“ und den sich daraus für ihn ergebenden Verpflichtungen.
        Ich habe einmal von einem Mann, der in seiner Kindheit in einem Heim über Jahre sexuellen und anderen Misshandlungen ausgesetzt war und sein Leben lang unter Fettleibigkeit und vielen Erkrankungen litt, einen Satz gelesen, der für mich unvergesslich bleiben wird. Er sagte: „Ich spüre meinen Körper nicht, ICH VERWALTE IHN“. Mit seinem Gefühlsleben kann man genauso verfahren. Und das ist es, was Instetten tut: Er spricht über seine Gefühle wie über etwas außerhalb seiner selbst, das er irgendwie verwalten muss, ohne dass er das „Fühlen des Gefühls“ zulassen kann.
        Das ist eine Haltung, um nicht zu sagen eine Störung, die man auch heute noch oft genug antreffen kann, von der ich aber annehme, dass sie zuzeiten Fontanes noch viel verbreiteter war.
        Ich habe keine Ahnung, worum es Fontane beim Schreiben tatsächlich ging, verstehe seine Bücher aber in erster Linie als Beschreibungen der äußeren und mehr noch der inneren Wirklichkeiten seiner Figuren, die Spiegel sind, der ihn umgebenden Menschen. Was bedeutet, dass ihn das Duell als solches so wenig interessiert wie mich, dass aber der (innere, versteht sich) Weg dahin sozusagen das Ziel ist.

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      • Langweilen? Nö.
        Zu Instettens Störung – Okay; nur erklärt das nicht, warum im ganzen Umfeld niemand sich Luft macht oder Effi auf die Indiskretion schimpft, oder ihre Eltern toben oder Muttern wenigstens heult: Alle haben die GLEICHE Störung?
        Hätte nicht wenigstens der geforderte Offizier in seinem Casino irgendeinen Lustmolchkollegen haben können, mit dem er unter 4 Augen über Instetten herzieht, bevor er zum Duell fährt? Alle funktionieren wie Roboter oder Schachfiguren.
        Bei Spielhagen läuft sowas 3 Nummern ergreifender ab – (allerdings nicht in „Zum Zeitvertreib“)

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      • Ich glaube tatsächlich, dass die alle die gleiche Störung hatten.
        Ich glaube auch, dass der 1.WK, die Perversitäten im Kolonialismus, der Nationalsozialismus nicht möglich gewesen wären, ohne die Abspaltung wesentlicher Gefühle und Persönlichkeitsanteile in den einzelnen Menschen. Das „Sich-Luft-machen“ erfolgte in den Übergriffen auf die Wehrlosen. Volkszorn ist eine kranke Form der Psychohygiene. Und im Gleichschritt haben alle funktioniert wie Roboter und Schachfiguren.
        Und ich glaube, dass F. einfach gar nicht aufregen wollte. Vielleicht hat er begriffen, dass „einen Spiegel vorhalten“ nur so lange etwas bewirken kann, wie man sich vom Spiegelbild nicht angewidert abwendet. Vielleicht.

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      • Ich glaube tatsächlich, dass diealle die gleiche Störung hatten —-

        Ja, auch hier Übereinstimmung,dass das „Sich-Gefühl-in der-Öffentlichkeit- verbieten“ Epidemie gewesen sein muss und ähnlich auch der „Führerrausch“ nach 33.
        90 % der Personen so handeln zu lassen, wäre auch Okay gewesen. Es fehlt halt das „Salz in der Suppe“, das zum Weiterlesen zwingt.
        Übrigens ist Ihr Hinweis auf die Arbeitsweise interessant: Fontane fängt gleich an, Sp. wartet auf Inspiration. Dann hat Fontane also auch roboterhaft geschrieben: Heute von 9 bis 12 Uhr 50 Seiten an der Effi geschafft… usw. Das erinnert an Richard Strauss beim Komponieren — diszipliniert wie ein Apparat. (Und damit sind die 2 (Fontane + Strauss) solchen Instettens peinlich ähnlich.)
        Nur hat der hinterher zu manchen Passagen seiner Tondichtungen eingestanden: Da ist mir nichts besseres eingefallen.

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      • „Da ist mir nichts besseres eingefallen.“ – finde ich persönlich souverän. Die Nonchalance von einem, der genau weiß. dass ihm auch verdammt gute Sachen einfallen können.
        Meine Anmerkungen zu Arbeitsweise sind, wie der Rest auch, reine Spekulation. Lediglich die Sternzeichen stimmen. Aber irgendwas sagt mir, dass das nicht Ihr Spezialgebiet ist…

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      • Na, ich sags mal so: Einem, der befindet, dass Erleuchtete fanatisch seien und der meine Entdeckung, dass sein Lieblingsschriftsteller mit R. Steiner Kontakt hatte, mit hartnäckigem Schweigen quittiert, würde ich nicht gerade unterstellen, dass er des Nachts heimlich Horoskope studiert.
        Aber was weiß frau schon.

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      • Oooooch, na aber auf den Steiner hab ich doch geantwortet? (Unterlippe vorschieb (schmoll!)

        Aber Horrorskope sind nu wirklich nich‘ meins.

        Erleuchtete fanatisch – grübelgrübel – aus welchem Zusammenhang war das jetz‘ nochmal?

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      • Den Erleuchtungszusammenhang weiß ich nicht mehr, Überhaupt ist meine Gedächtnis schlecht und über das, was wir hier ausgetauscht haben, habe ich längst den Überblick verloren.
        Ganz sicher bin ich mir, dass ich nichts über Spielh./Steiner von Ihnen gelesen habe. Vielleicht habe ich es einfach übersehen, wäre ja schon sehr schade.

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  6. Habe gerade nochmal reingeschaut in „Effi“. Fischer-Verlag Ausgabe mit Werkbeitrag aus Kindlers Literaturlexikon. Da lese ich,dass der Roman auf einer wahren Begebenheit basiert und dass Spielhagen aus eben diesem Fall „Zum Zeitvertreib“ entwickelt hat. Effi erschienen 1896, Zeitvertreib 1897. Da kann man sich einen direkten Vergleich bezüglich der Herangehensweise an ein Thema gönnen. Wobei schon die Wahl des Titels interessant ist und nahelegt, dass es F. mehr um ein Frauenleben (mit durchaus exemplarischen Charakter) und Sp. um etwas „gesellschaftliches“ gehen könnte. Eine Spekulation, die man zur Abwechslung mal genussvoll überprüfen kann!

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    • Jau, der Fall ist mir bekannt und ich kenn‘ auch beide.
      Es ist eine Postkarte von Spielhagen an Fontane erhalten geblieben: „….gestehe ich Ihnen hiermit neidlos ein: Sie haben das bessere Buch geschrieben.“
      Ich war in den 90ern seeeehr neugierig darauf, endlich mal „Zum Zeitvertreib“ irgendwo auftreiben zu können – und dann — gab ich meinem Idol recht: Es gehört nicht zu den 18, die mir seeehr gut gefallen.
      Aber das ist wieder nur meine Meinung.

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  7. Das Interessante, finde ich, ist ja, dass Zeitvertreib später erschienen ist. Weiß man denn etwas darüber, ob Sp. Effi vorher gelesen hat?

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    • Die Karte verrät ja, dass er es gelesen hat, ob vorher oder nachher zwar nicht; aber da die „Effi“ bei Erscheinen ein Skandalbuch war und Sp. ein an literarischen Entwicklungen interessierter Zeitgenosse, ist sehr stark anzunehmen, dass er sich entweder ein Exemplar der Erstausgabe gekauft hat oder sogar ein Autorenexemplar von Fontane selbst erhielt.
      Wie eng der Kontakt zwischen beiden war,kann ich nicht beurteilen, jedoch trafen sich beide hinundwieder „im Bade“, mal Karlsbad, mal auf Norderney usw.
      Verblüffend an der doppelten Art der Verarbeitung dieser Ardenne-Affäre durch F. und S. ist für mich eher: Warum ließ er überhaupt auf die umfangreiche Effi-Saga (4- oder 500 Seiten) sein dünnes Bändchen noch folgen? Obendrein ist es vom Konfliktaufbau ein Selbstplagiat in „schlecht“.
      Aber zuguterletzt hatte es auch wieder was Gutes: Danach erschienen „Opfer“ und „frei geboren“ – also war’s auch ein „Aufrappler“: NOCH mehr darf ich nun nicht mehr nachlassen.

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      • Die sind in einem Separee abgehangen. Das angenehm warme Thermalwasser und die knabenhaften Bediensteten der Badeanstalt haben ihnen Auftrieb gegeben und überwältigt von der eigenen Größe haben sie sich zu einer Wette verstiegen.
        F., der ältere, der schon mehr zu verlieren hatte, machte sich, ganz Steinbock, sogleich an die Arbeit und zog sie einfach durch (bis zum bitteren Ende).
        Sp., der Fisch, wartete erst mal auf die Inspiration und gab sich nach der ersten Durchsicht von Effi sogleich geschlagen, legte dann aber, lustlos und in weiser Haushaltung, gerade noch so viele Seiten nach, wie nötig waren, um das Ding überhaupt binden zu können. Beim nächsten Projekt hat er sich dann zur Rettung seiner Ehre mal anständig angestrengt. Der Rest ist Literaturgeschichte.
        Das wäre geklärt!

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  8. Der Name Spielhagen war mir völlig unbekannt. Danke daher für die ausführliche Vorstellung. Was mir nach mehrmaligem Lesen aber immer noch nicht ganz klar ist, sind die genaueren Umstände der Erschiessung Wolfgang Spielhagens. Er muss dem Gauleiter an den Karren gefahren sein, aber mehr erfährt man leider nicht.

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    • Da gibt es leider auch nicht viel Informationen zu: Ich weiß nicht mehr darüber, als was ohnehin bei Wikip. steht. Ich vermute obendrein, dass da noch ein gut Teil Standesminderwertigkeitskomplex eine Rolle spielt. Der kleine Wolfgang hat vermutlich zeitweilig auf dem Schoß der Kaiserin Viktoria gesessen oder mit den Hohenzollernprinzen gespielt und der Hanke war nur Müllersbursche vor der Parteikarriere.

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      • Das wäre doch Stoff für eine Seminararbeit. Vor ein paar Jahren las ich ein Bändchen über die Ulmer Geschichte im Dritten Reich. Die Figuren, die da auftauchten, die sind in Ulm sowas von tot, toter geht es nicht. Ich kannte keinen einzigen Namen von diesen braunen Kerlen, die sich da in die Liste der Honoratioren hinein ziselizierten, und es war das einzige Büchlein, das diese Geschichte mal versucht hat aufzuarbeiten.
        Und im Falle vom bis zu 60 % zerstörten Ulm und ähnlichen Exzessen liesst man zur Genüge die Namen der Bomber, der Bomberflotten und der Fliegergeneräle, aber kaum die der Supergauleiter und Gaukönigle, die diese Katastrophe sich hinein in’s Stammbuch schreiben dürfen.
        Ein solcher war der Hanke sicher auch. Der Ulmer Nazi-Bürgermeister Förster zumindest begab sich relativ unbehelligt in sein Grab,

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      • „Ein Kleingeist; Buchhaltergesinnung; …. wie alle diese Bonzen und ihre plumpen Weiber, die sich in die Limousinen fläzten, wie die Spatzen in die Pferdeäppel!“ (Zitat „Eichmannfilm“; ARD); Gespräch zwischen gut situierten Argentinienflüchtlingen ende der 50er Jahre.
        Hanke wurde für die letzten paar Tage zum Eisenbeißer und Reichsführer SS, nachdem Himmler in Ungnade gefallen war.

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  9. Auch mir war Friedrich Spielhagen gänzlich unbekannt, umso neugieriger hat mich Deine Text (Stichwort: „glühende Vorstellung“) gemacht. Und nun werde ich mir wohl ein Werk von ihm zulegen. Momentan tendiere ich zu dem Historienkrimi „Platt Land“, Ich stelle nämlich gerade meine Urlaubslektüre zusammen.

    Schon beeindruckend, was sich für Anregungen ergeben durch diese ganz spezielle blogger-Landschaft.

    Ein herzliches Dankeschön meinerseits !

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    • Gute Wahl! Tipp: Kauf es antiquarisch. Die neuzeitliche Ausgabe aus den 1990ern ist gekürzt – also verstümmelt.
      Bei „Sturmflut“ wär’s dasselbe: Zwar moderne Druckbuchstaben, aber nur 3 Viertel Inhalt.

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  10. Danke für den Tipp !

    Ich habe gerade ne Ausgabe für den kindle entdeckt, da steht dabei „Vollständige Ausgabe“ …

    http://www.amazon.de/Platt-Land-Vollst%C3%A4ndige-Friedrich-Spielhagen-ebook/dp/B00DKXWHW8/ref=sr_1_14?ie=UTF8&qid=1461006071&sr=8-14&keywords=Friedrich+Spielhagen+Platt+Land

    Und die Kurzbeschreibung klingt auch nicht schlecht:
    „Ein kriminalistisch angehauchter Roman aus dem Norddeutschland der 1840er Jahre. Jede Menge skurriler Gestalten bevölkern eine fesselnde Geschichte.“

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    • Schön für dich; aber ist das nicht ein Jammer – zu welchem Preis da unser Kulturerbe verramscht wird? Vorigen Sommer gabs für Kindel Heyse-, Freytag- Spielhagen-Gesamtausgaben für jeweils 0,99€. 😦

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      • Das sehe ich ein bisschen anders:

        Ich könnte „Platt Land“ auch als gebundene Ausgaben für 34,90 € (TREDITION CLASSICS via thalia) erwerben.

        Die Urheberrechte für Bücher dieser Art sind längst erloschen und daher finde ich diese Preisgestaltung schon ein wenig problematisch …

        Wichtig ist doch, dass man sich auch noch im Jahre 2016 an solche Autoren erinnert … oder ?

        Aber über die Preisgestaltung bei Büchern kann man trefflichst diskutieren. Mich ärgert es z.B. auch regelmässig, wenn irgendwelche uralten Hendrix-Alben (sämtliche Studiokosten der 60er Jahren sind längst beglichen bzw. eingespielt) dann hochpreisig auf den Markt kommen …

        Aber wie gesagt: ein endloses Thema …

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  13. Welche Nebenfigur aus Sonntagskind soll den „kaiserzeitlichen Antisemitismus“ verkörpern? Vielleicht eine Verwechslung mit Was will das werden? ?

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    • Hui, noch ein Spielhagen-Kenner? Wir sind selten!

      Glaube mir ziemlich sicher sein zu können, dass jene kränkliche, unansehnliche jüdische Bankierstochter, die da von einem zynischen adligen Pleitier geheiratet wird, damit die Mitgift ihn vorübergehend „wieder ehrlich“ macht und die während eines Winterausflugs ins Eis einbricht oder sich anders erkältete, jedenfalls schnell stirbt – aus dem Sonntagskind stammt. Während ihrer kurzen Ehe-Phase wird über die Liason gespottet, die Messalliance verurteilt und gerätselt, ob man ihn noch einladen kann.

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  14. Fräulein Seligmann ist dann vielleicht ein Opfer des Antisemitismus. Aber selbst dass würde ich nicht sagen, da Pleitiers auch nichtjüdischen Erbinnen nachjagten. Und dieser adlige Mitgiftjäger ist vielleicht sogar selbst jüdischer Abstammung: „Es ist noch nicht hundert Jahre her, da sind seine Väter Holzhändler gewesen irgendwo da hinten in Polen – Juden, wo möglich, – Blutsauger, Leuteschinder, Waldschinder.“ sagt Justus‘ Vater über den „Oger“ Graf Waldburg, Armands Vater.

    Und Justus Vater wird Schmugglerbande des Juden Löb ermordet. (Ist gar Spielhagen nicht ganz frei vom Antisemitismus?

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    • Letzteres ist komplett auszuschließen. In „Am Wege“ ist teilweise der Briefwechsel zwischen ihm und seinem Freund Auerbach enthalten, wo beide über die antisemitische Stimmung in Berlin um 1890 sinnieren. Um 1883 herum hatte diese ihren Höhepunkt, weil sich der damals noch Kronprinz seiende spätere Wilhelm II. zugunsten eines zu entlassenden antisemitischen Hofpredigers eindeutig geäußert hatte. Öffentlicher Schlagabtausch zwischen ihm und Graf Waldersee auf der einen und seinen als liberal geltenden Eltern. (umfangreicher Essay in der ZEIT in den 90ern)
      Außerdem spielt „Sonntagskind“ in Oberschlesien und wir haben heute keine Vorstellung mehr, wie schlecht der Ruf Schlesiens als Neureichen-Spielplatz um die Jahrhunderwende gewesen sein muss: (Erinnert sei an den „Skandalschriftsteller Gerhard Hauptmann“ und sein „Vor Sonnenaufgang“. Medialer Verriss als zu naruralistisch, also wahr, und trotzdem oder gerade deshalb Publikumserfolg:) Inzestöse neureiche Großbauern auf deren Flächen man Kohlevorkommen fand, rasant verarmender Adel auf der einen Seite, weil sie mit den Großkotzen der Kohlegüter nicht mithalten konnten oder in Rekordzeit Einkünfte verjubelten bzw. fehlinvestierten und – mit Sicherheit auch jede Menge „jüdische Halsabschneider“, die diese abzockten, sobald es passte, denn jeder Erfolgszweig einer solchen Großfamilie hatte zig arme Verwandte durchzubringen, deren Geschäfte nicht liefen. Siehe Oberschnorrerbeispiel Karl Marx. Mag deutschland geade so auch Judenemanzipation durchgesetzt haben. Russland kannte sowas nicht – und dort saßen noch jede Menge arme Verwandte.

      Es gehört heute zu den Begleiterscheinungen des Holocaust und der 68er Doktrin, Juden persé als Gutmenschen zu verabsolutieren. Spielhagen als Realist seiner Zeit und deutlich vor 1933 lebend beschrieb lediglich seine Welt mit allen ihren Redeweisen und Vorurteilen, wie er sie vorfand. Und da gehörten eben gute und schlechte Juden genauso dazu wie gute und schlechte Adlige, brave Bürger und Klassenverräter usw.

      Es ist in seinem Falle also eher ein Akt poetisch veredelnder Ausgewogenheit um nicht als „tendenziös“ zu gelten. In diesem Punkt vollkommen einig mit Fontane.

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  15. Naturalismus ist ein gutes Stichwort. Der Naturalismus hat Spielhagens literarisches Ansehen zerstört. Die Gebrüder Hart schrieben 1884 in den Kritischen Waffengängen: „Glaubt Spielhagen wirklich, in seinem ›In Reih und Glied‹ einen Beweis für die Doktrin des Manchestertums geliefert zu haben?“ Sie verteidigen den Sozialisten Leo Gutmann gegen den Liberalen Spielhagen.

    Später ist Spielhagen immer weiter nach Links gerückt. „Alles in allem war sein politische-religiöses Programm das des linkesten Flügels der Radikalen der Paulskirche von 1848, modifiziert durch die Erfahrungen eines halben Jahrhunderts, die ihn aber nicht weiter nach rechts, sondern nach links gedrängt hatten, soweit, daß er mi den Sozialdemokraten die bestehende staatliche und wirtschaftliche Ordnung ohne die ein-schneidendsten Veränderungen auf die Dauer für unhaltbar ansah.“ schreibt er in Post Festum über sich. Die Bundschuhfahne, die Lehrer Tusky Leo Gutmann zeigte, greift Spielhagen wieder auf, indem er Lothar Lorenz (in Was will das werden?) ein Thomas Münzer- Drama schreiben lässt.

    Und die Naturalisten sind nach rechts gerückt. Die Proletarier wurden aus Helden der Arbeite zu Säufern und Hauptmann (und leider auch Zola) befassten sich mit „Eugenik“ und „Rassenhygiene“.

    Als Zugabe noch meine vier Spielhagenfavoriten: Was will das werden?, Noblesse Oblige, Ein neuer Pharao und Sonntagskind.

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    • Da ich inzwischen ein wenig gegoogelt habe, hol ich mal in aller Form nach: Willkommen auf meiner Seite. Mit den Zweifeln an heutiger Literatureinordnung gehen wir ja richtig konform!

      Die „Waffengänge“ sind mir nur dem Namen nach bekannt, weil sie hier und da in 20er Jahre Literaturgeschichten zitiert werden.

      Die Favoritennennung freut, verblüfft und interessiert mich:

      Noblesse oblige – so weit oben? Woran mags liegen? Sind Sie (Wahl-)Hamburger? Oder ist das dem Umstand geschuldet, dass man auch sonst wenig Belletristisches über die napoleonische Besatzungszeit findet? Bitte hiermit um einen Tipp.

      „Sonntagskind“ ist auch bei mir weit oben, knapp unter der erwähnten Spitzengruppe. „Was will das werden?“ hab ich zwar 2x gelesen. Gefallen hat es. Hängen blieb eher wenig. „Die von Hohenstein“ und „Reih und Glied“ würde ich da vorziehen. Allerdings spielt „Was will das….“ in Thüringen – und nach eben jenem Thüringenurlaub mit neuen Erkenntnissen über „Allzeit voran“ könnte es sein, dass das Werk beim dritten Mal ganz anders zündet. Da muss ich mir mal was als Sommerlektüre vormerken.

      „Ein neuer Pharao“ , „Finder und Erfinder“ und „Skelett im Hause“ fehlen noch in der Sammlung.

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  16. Ob es stimmt, was Hans Henning (S. 204) schreibt, dass der Brief im ersten Kapitel von Noblesse Oblige die wörtliche Übersetzung eines Briefes ist, den ein französischer Offizier im Juli 1812 aus dem Biwak bei Smolensk seiner Hamburger Freundin schrieb? Wie dem auch sei, es ist eine ganz ausgewogene, nüchterne Geschichte aus der Zeit der „Befreiungskriege“, und ich würde viel für Spielhagens Dramatisierung (In eiserner Zeit) geben.

    Ich habe in dem Buch etwas über eine mir ganz unbekannte Episode deutscher Geschichte, die Hamburger Franzosenzeit, erfahren. Dass die Franzosen in Hamburg sehr, sehr lange blieben, zuletzt weil man die Stadt den Dänen als Entschädigung für Norwegen, das sie an Schweden abtreten mussten, geben wollte.

    Ich neige dazu, Romane als Sachbücher zu lesen und sie aus kunstfremden Gründen zu schätzen. Warum gefällt einen so ein ganz düsteres Buch wie Ein neuer Pharao? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, kennen Sie es noch nicht und deshalb will ich hier nicht zu viel verraten. Es ist das prophetischste Buch Spielhagens. Wenn die schöne Anne bei Hiller dem jungen Offizier, der bei dem Ball (wo sie Negerlieder sang – Schwarzer Blues im Berlin des Jahres 1878! -) auf die Juden schimpfte, entgegenwirft, dass sie Quinterone, Achtelnegerin ist… Es verschlägt einem den Atem! – Es findet sich in Ein neuer Pharao auch die schärfste Abrechnung mit dem Naturalismus, in einem Gespräch am Abend des Anschlages auf den Kaiser, wo man die jetzt erwarteten Einschränkungen der Freiheit diskutierte.

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    • Hui. Ich brauche den „Neuen Pharao“! Bisherige Anregungen lasen sich weniger elektrisierend als Ihre. Danke.

      Ebenfalls Dank für die Aufklärung zu „Nob.Obl.“ Für mich rangiert es eher weiter hinten. Sie wirkt mir zu gekünstelt. Nicht so ganz sein Metier. Sein Hamburg ist eher ein Stralsund, weil er das eben kennt.

      Von den späteren oder sogenannten „Kleinen Romanen“ schätze ich außer natürlich „Allzeit voran“ auch „Selbstgerecht“ und „Was die Schwalbe sang“ sehr. Bei letzterem spüre ich so eine eigenartige Nähe zu Storms „Aquis submersus“; mir die liebste von Storm.

      Hat so jeder seine Eigenheiten. Sie lesen Romane als Sachbücher und ich höre Musik textlastig. Wenn die Botschaften stimmen, darf die Musik auch mal schwächeln. Umgekehrt ist es eher schwierig. Über blöde Texte hinweghören gelingt mir seltener.

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  17. Eigentlich ist es unter unserem Niveau, Spielhagencharts aufzustellen (ich finde es auch in der Musik fragwürdig), aber die heißesten Kandidaten um den fünften Platz unter meinen Favoriten waren Selbstgerecht (schon wegen der roten Marie), Allzeit voran (die beeindruckende Szene auf dem Schlachtfeld von Gravelotte) und – das hier so schnöde preisgegebene Zum Zeitvertreib. Ich habe es zweimal gelesen, es ist der spannendste Roman. Mit keinen Helden habe ich so mitgefiebert wie mit Albrecht Winter, der die Lehrerkonferenz schwänzt und seine Frau mit den kranken Kindern allein lässt um Klotilde zu treffen.

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    • „unter unserem Niveau“? Ach wo. Als erfahrener Forenschreiber des inzwischen untergegangenen Rockzirkus weiß ich, dass sich daraus bisweilen herrliche und lehrreiche Diskussionen ergeben können. Zumal, wenn jemand Werke benennt, die in allgemeiner Mainstreammeinung eher verrissen werden. Nun fällt das im Falle eines Spielhagenrankings zwar aus – Mainstream meine ich – da ihn eh niemand mehr kennt, jedoch Ihre Wertschätzung von „Noblesse o.“ und nun auch noch „Zeitvertreib“ – das hat schon was.
      Ich beneide Sie um Ihr photografisches Gedächtnis, denn so genau Episoden zu benennen, das gelänge mir bestenfalls bei den „Naturen“, „Platt Land“ und“ Hammer und Amboss“; von den anderen sind exakte Einzelheiten nur noch schemenhaft abrufbar. Dazu hab ich alltagstechnisch irgendwie mittlerweile zuviel um die Ohren gehabt. Ich vergesse inzwischen ab und an sogar Namen von Interpreten meiner Lieblingslieder.

      Aber „zum Zeitvertreib“ – das ist für mich ein Selbstplagiat in Kürze; jene Theaterstückleserei in Tateinheit mit Bildungswesenschelte – das gibts in den Naturen um einiges besser. Beim Lesen musste ich damals immer daran denken: Das ist wie Oldfields „QE 2“ hören, obwohl man die „Incantations“ im Schrank hat.
      Nun sagense bloß, dass Sie den „deutschen Pionieren“ auch was abgewinnen können. Ich ahne mal — ja: Als Sachbuch gelesen, entnimmt man dem Bändchen eben diese Umweltzerstörungsorgie… Als Spielhagenwerk an sich – ist es mir zu extrem langweilig gewesen.

      Was ich statt dessen auch seeeehr mag, und was hier noch keine Erwähnung fand, sind die „Stummen des Himmels“. Eigentlich auch eine Art von „Effi-Thema-Variation“. The male version sozusagen. Aber eben leidenschaftlicher als es der Neuruppiner Theodor gekonnt hätte.

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  18. In der Tat ist Deutsche Pioniere eine gut recherchierte und aufgebaute Geschichte, und Stumme des Himmels ist sehr gut. Im Norderneyteil gelingen Spielhagen seine besten Landschaftsschilderungen.

    Mir fällt überhaupt kaum etwas von Spielhagen ein, was wirklich mißlungen ist. Der selbstzufriedene Erzählerton in Hammer und Amboß. (Dass er über den Tod Hermines so hinweggeht mag verständlich sein; wer vergegenwärtigt sich schon gerne einen schmerzlichen Verlust. Aber dass dieser Tod so gelegen kommt, damit er die andere heiraten kann!) Der Giraldi- Teil in Sturmflut, der mißlungene Versuch, den „Kulturkampf“ einzubauen. Und in Herrin mußte ich lange suchen, bis ich etwas Interessantes fand; aber ich hab was gefunden. Susi habe ich vor elf Monaten als meinen zweiten Spielhagen überhaupt gelesen (der Roman ist im selben Band wie Zum Zeitvertreib) und ist wohl verzichtbar. – Wie stehen wir zu Angela?

    Von Mike Oldfield habe ich nur Moonlight Shadow in trüber Erinnerung. Die letzte CD, die mich berührt hat, war Lulu von Lou Reed und Metallica. Cheat on Me.

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    • Lulu war gut? Nö. Zu abstrakt für mich. Obwohl ich Lou Reed eigentlich mag. Metallica eher nicht.

      „Susi“ – ja, ist verzichtbar, hat mir aber sogar eine sanfte Spur besser gefallen als „Zum Zeitvertreib“. Und „Angela“ sagt mir momentan auch nichts. Muss ich morgen mal nachsehen, ob ich den überhaupt hab.

      Was sie da über die zu passenden Zufälle in (so manchen) Romankonzeptionen von ihm schreiben, sehe ich auch so. Der Grimaldi in Sturmflut hat sein Pendant in jenem französischen Gesandten in „Allzeit voran“, der das antipreußische Welfenbündnis schmieden will. Ungekonnt angelegt. in der Tat.

      An „Herrin“ hab ich nur die Erinnerung, dass es mir gefallen hat, während ich den „Faustulus“ äußerst schwach fand.

      Aber wie ist der Satz zu verstehen
      „Vor 11 Monaten (erst) den zweiten Spielhagen gelesen“?

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  19. Nachdem ich dreißig Jahre Fontane las, begann ich vor elf Monaten mit Spielhagen.
    Um den Kopf für mein großes Projekt Ruskin freizubekommen veröffentlichte (als ich gerade mal zehn Bücher von Spielhagen gelesen hatte) eine kleine Schrift „Von Spielhagen zu Fontane. Ein Kapitel aus dem deutschen Weg in den Abgrund.“ Aber der Ruskin war im Grunde fertig, und so habe ich inzwischen fünfunddreißig Spielhagenbücher gelesen.

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    • 35?!!! Ich komme auf 22 vorhandene und drei fehlende – dachte ich bis gestern. Inzwischen weiß ich auch, dass „Angela“ fehlt. Aber – ich hab eventuelle Gedichtbände nicht mitgezählt. Und manches gibt es verwirrenderweise in Doppelbänden oder auch einzeln. So hab ich die „Naturen“ einmal 2bändig und einmal einbändig/illustriert; „Stumme des Himmels“ zweibändig; dafür „Herrin/Faustulus“ und „Susi/Zum Zeitvertreib“ jeweils in einem Band. Ebenso 4 ganz frühe Versuche in einem Band, von denen der interessanteste den etwas blöden Titel „Röschen am Hofe“ trägt. Wenn ich das alles einzeln zähle, dann komme ich vermutlich doch auch auf über 30. In der Lyrik fand ich stichprobenartig wenig Brauchbares, ähnlich wie bei Felix Dahn – da ist den beiden der Fontane tatsächlich über.

      Noch nicht erwähnt haben wir die „schönen Amerikanerinnen“. Das finde ich auch richtig herrlich. Alle Lokalitäten passen dermaßen gut auf Bad Kösen, in der Nähe meiner alten Heimat – das musste mich einfach kriegen. Vermutlich sind ja alle „Bäder“ damals gleich gewesen und Spielhagen mag eher Karlsbad oder Norderney vorgeschwebt sein, aber auf der ein oder anderen Thüringenreise ist er schon allein schienentechnisch von Berlin aus mit Sicherheit durch Kösen gekommen… Es fühlt sich für mich an, als habe ich in jedem dieser Lokale ebenfalls schon den ein oder anderen Kaffee getrunken.

      Wie kam es denn zum Überlaufen zu Spielhagen? Oder: Wo trifft man Leute, die einem solche Tipps geben könnten?

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  20. Ich interessiere mich für Geschichte, und hatte den Verdacht, dass er ein falsches Bild seiner Zeit gibt. Er ist zu süß. Ich wolle Fontane in einen Kontext zeitgenössischer Literatur einordnen.

    In Fontanes Briefen taucht häufig Spielhagen auf, den er um seine hohen Honorare beneidete. (Das folgende übernehme ich einfach aus meinem kleinen Buch)

    Am 27. Juni 1881 schrieb Emilie Fontane ihren Mann: „Gegen Abend fuhr ich zu Bleibtreus (…). Sie erzählten mir, dass im nächsten Mag. f. d. Lit. d. Ausl. ein gepfefferter Artikel des Redakteurs über Splh. erscheinen würde. Übrigens soll der Verfasser von Angela auf’s äußerste angegriffen, verstimmt und betrübt über das vor Gericht gestellt sein; sonst hat ihm bis jetzt (nach Auerbach) der Roman 8000 Taler eingebracht, 2 bei der Fr. Presse und 6 vom Tageblatt. Die betreffende Stelle soll von einem hier gar nicht gebräuchlichen Laster handeln, daher sie auch von vielen Lesern, namentlich Leserinnen, garnicht verstanden sei.“ Natürlich wollte ich wissen, von was für einem Laster die Rede ist! Ich bestellte das Buch und recherchierte weiter. In Houbens Verbotene Literatur fand ich, dass es sich bei der Affäre um einen Angriff des Reichsboten, einem Blatt der christlich-sozialen Partei des Hofpredigers Stöcker, auf das „jüdische“ Berliner Tageblatt handelte, in dessen Feuilleton der Roman erschien. Am 22. April beschlagnahmte die Polizei die vom Reichsboten bezeichnete Nummer 163, die bereits am 10. erschienenen und kaum mehr aufzutreiben war, und die Akten gingen an die Staatsanwaltschaft. Angela hat so einen Wumms, dass es mich fast von meinem Sitz weggeblasen hätte, als ich das endlich eingetroffene Buch in der S Bahn las.

    Ein anderer Liebling von mir, von dem ich alles lese, ist, seitdem mir mein Geschichtslehrer Hinz das Buch mit den hübschen Titel Lingua Tertii Imperii, LTI, empfahl, Victor Klemperer; und der schrieb seine Doktorarbeit über Spielhagen. Und wie haben Sie Spielhagen entdeckt?

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    • (Kannste mal seh’n!) Von Spielhagenverklagung hab ich auch noch nichts gewusst.
      Was die hohen Honorare angeht – das ist relativ: Er lebte davon mit Familie (im Moment des Schreibens plagen mich nu wieder Unsicherheiten: 4 oder 5 Töchter?) in standesgemäß großbürgerlichem Stil mit Verpflichtungen in alle Himmelsrichtungen. Er soll oft geklagt haben, dass ihm die Zeit fehle, den ein oder anderen Romanplan so auszuführen, wie er eigentlich gewollt hätte. Es musste einfach schnell wieder der ein oder andere „kleine Roman“ her, damit Geld reinkommt. Ich habs vor allem bei „Mesmerismus“ und „allzeit voran“ empfunden, dass da mehr drin gewesen wäre.
      Da Sie den Klemperer ansprechen: „Die Zeitromane Spielhagens“ ist eine absolut lesenswerte Monografie. Hab ich während des Studiums mal zu lesen bekommen und nach der Wende nach langem Suchen endlich auftreiben können.

      Wie kam ich zu Spielhagen: Eigentlich suchte ich nach dem Grundwehrdienst, endlich wieder in einem Antiquariat stehend nach irgendeinem Idyllenkitsch als literarische Gegenwelterfahrung. Am liebsten wäre mir ein „echter“ Courths-Mahler gewesen. Da griff ich nach zwei chicen Bänden mit Leuchtturm vorn drauf. Sollten zusammen 30 Ostmark kosten und gleich auf den ersten Seiten ertrank jemand beim Baden an der Küste. Sie erraten den Titel? Mein bei der Fahne erworbener Hass auf Fischköppe erhielt hier scheinbar Futter. Habs gekauft, gelesen, gemerkt, dass das nicht bloß Kitsch war und wollte Nachschlag.

      Wochen später bekam ich „Hammer und Ambos“ und ungefähr ein Jahr später „Sturmflut“ und „Platt Land/Was die Schwalbe sang“ (ein Band) – das wars bis zur Wende, aber die Gier wuchs. Dem ZVAB sei dank, bekam ich ende der 90er die vielen anderen zusammen.

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  21. Jemand ertrinkt beim Baden? Das kann nur Stumme des Himmels sein! Obwohl natürlich Norderney Welten von Prora entfernt ist. Oder ist es ein mir noch unbekannter Spielhagen?

    Daß man im Studium Klemperers Spielhagenbuch zu lesen bekam, finde ich sehr interessant. Darüber würde ich gerne mehr erfahren. In einen Westberliner Antiquariat stand bis vor sieben Monaten eine ganze Reihe Spielhagenbücher, darunter die Problematischen Naturen; einmal in einer alten Ausgabe, einmal in der 1964 im Ostberliner Buchverlag Der Morgen erschienenen Ausgabe. Heute steht da nur noch die alte Ausgabe, ich nahm die neuere, um das Nachwort zu haben. (Und um vielleicht einige Leute, die die alte Schrift scheuen, zur Lektüre zu überreden.) Ich würde gerne wissen, ob man damals überlegt hat, Was will das Werden? zu drucken, wo der Held über den in der DDR so gefeierten Thomas Münzer ein Drama auf die Bühne bringt!

    Um einen Bogen zu den Diskussionen auf den jüngeren Seiten Ihres Blogs zu schlagen: Mein ganzes Geschichts- und Literaturinteresse ist nur ein Nachsinnen über die Zeit vor dreißig Jahren. War ich der einzige, der wirklich auf einen besseren Sozialismus hoffte? (Ich habe übrigens auch alle alten Silly- und Pankow- Alben. Wobei ich damals mehr Silly hörte. – Wie stehen wir eigentlich zu Gundermann?)

    Um mit gesellschaftlichen Utopien neu anzufangen, muß man einen weiten Anlauf nehmen. Und damit wären wir wieder bei Spielhagen. Mit dem Pakt zwischen Lassalle (alias Leo Gutmann) und dem König (sprich Bismarck) begannen einige ungute Entwicklungen… (Vergleiche dazu den bourbonischen Marquis und seinen „communistischen“ Sekretär in Allzeit Voran.)

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    • Treffer: Stumme des Himmels waren meine Einstiegsdroge. Prachtausgabe; 2bändig mit Leuchtturm und Goldschnitt.
      Klemperer zu Studienzeiten usw.
      Ich würde gern unseren Austausch per Mail fortsetzen. Da lässt sich einiges näher erläutern als im Blog. ich melde mich in den nächsten Tagen. Aber bis ca. Donnerstag fehlt es an Zeit.

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