1992 und 94 erschienen die beiden „MOSAIK-Fan-Bücher“ von Thomas Kramer, voller ehrender Deutungsansätze und Hintergrundinformationen „behind the scenes“. Besonders Band 2 eröffnet die Büchse der Pandora, was alles nicht stimmte, hinter den Kulissen.
Hegen war all die Jahre unsichtbar geblieben. Keine Interviews, keine Fotos waren in Umlauf.
Das MOSAIK erschien regelmäßig – und so schien alles in Ordnung…
Erst 1994 wurde ruchbar, welch vertuschter Skandal da weiter schwelte.
Doch davon mehr in Teil IV.
Kramers Bücher sind eine wichtige erste Quelle für das Folgende. Aber sie nicht allein.
In das Jahr 94 fällt auch der Beginn der Veröffentlichung von limitierten Reprint-Mappen mit mal 12 mal 13 wiederveröffentlichen Heften. Darin auch ein Sonderheft anlässlich des 40.Geburtstages des Kultes. In diesem sind weitere Informationen über das ständige Gezerre zwischen dem Hegen-Team einerseits und „einer Welt von Feinden“ andererseits enthalten.
Richtig rund wurde mir die Darstellung dieses 20jährigen Kleinkrieges erst durch eine sehr informative MOSAIK-Wanderausstellung, die ich 2009 in Leipzig sah. Dort waren all die Eingaben, Denunziationen, Gerichtsurteile, Ernennungen und Absetzungen von Chefredakteuren, Ablehnungen von Zusatzprojekten und Merchandizing-Ideen einsehbar. Die schiere Fülle ließ die ebenfalls gezeigten Skizzen und Highlight-Panoramen diverser Hefte im Vergleich mit antiquarischen Original-Lithografien fast in den Hintergrund treten. Ich war verblüfft, entsetzt – und entschloss mich schließlich zu zynischer Erheiterung über diesen posthumen Beweis für die nun überstandene Engstirnigkeit dieses Gartenzwergsystems, das sich allen Ernstes 40 Jahre lang für den „Sieger der Geschichte“ hielt: Vorwärts immer! Rückwärts nimmer!
Dabei hatte alles so hoffnungsfroh begonnen:
Hannes Hegen betrat mit seiner Bewerbungsmappe das Büro des Buch-Verlages „Neues Leben“ im Sommer 1955, also im schmalen Zeitfenster zwischen 17. Juni 1953 und dem blutigen Sommer 1956 (Ungarnaufstand und Schauprozess gegen Harich und Janka in der DDR).
Mitten in der Phase des so genannten „Neuen Kurses“ nach Stalins Tod und ansatzweiser Selbstkritik der leitenden Organe auf Befehl der sowjetischen Kommandantur in Deutschland:
Neues muss her!
Nicht so zugeknöpft einfallslos wie bisher!
Verscherzt es euch nicht mit eurer Jugend!
Die einfallslosen Chargen des Zentralrates der FDJ hatten also Order, sich was einfallen zu lassen. Apparatschik! Erinnere dich an das Fremdwort Phantasie! Wie sollte das gehen? Und wie lange würde dieser Kurs anhalten? Und was würde aus den Mutigen, die sofort etwas wagen? Die gewollten Erneuerer von heute sind die angeblichen Abweichler von morgen!
Und da klopft Hannes Hegen an! Zur rechten Zeit am rechten Ort, so schien es.
Vierteljährlich soll ein 32seitiges A4 Heft erscheinen dürfen – für 95 Pfennige.
Es erscheint die Nr.1 und ist sofort vergriffen. Den Folgenummern ergeht es ähnlich. Den bösen West-Comics tritt eine anständige, pädagogisch wertvolle sozialistisch-unamerikanische Bildergeschichte entgegen, so heißt es offiziell.
Der Verlag wird bombardiert mit Nachfragen nach Nachdrucken, die er nicht organisiert bekommt. Er ist Buchverlag mit eng bemessenem Papierkontingent. Hegen wird nahe gelegt, zum Verlag der „Jungen Welt“, einem Zeitungsverlag der FDJ zu wechseln.
Ab Heft 8 hat das Heft nun nur noch 24 Seiten, darf aber monatlich für 60 Pfennige erscheinen. Die Auflage wird Schritt für Schritt erhöht, bis sie bei 280 000 einfriert: Planwirtschaft! Das Papierkontingent ist auch hier endlich!
Klingt nach Erfolg, war aber knapp.
Die Lehrerzeitung bringt sich in Stellung und avanciert in der Folgezeit zum Dauerfeind des Heftes. Ist es die traditionelle Humorlosigkeit der Berufsgruppe? Ist es ein lanciertes Stasiding? Man weiß es nicht.
In Heft 7 wird Schießpulver aus Schwefel und Salpeter hergestellt. (Die Digedags erleben gerade eine spannende Robinsonade.) In Thüringen gibt es einen Unfall Minderjähriger beim Nachahmen des Rezeptes. Ein Junge verliert 2 Finger und die Lehrerzeitung tobt! Grober Unfug mit gefährlichen Folgen! Sofort verbieten! Nur weil der schwerfällige Apparat sich zeitgleich zur monatlichen Erscheinungsform und Aufstockung der Auflage entschlossen hatte, unterblieb das schnelle Ende nach nur 7 Heften.
Hegen sah sich auf Grund des Erfolges und der überstandenen Gefahr zu der Einsicht genötigt, dass er den weiteren Verlauf nicht würde alleine wuppen können: Ein Team musste her! Er inserierte, um gleichgesinnte Grafiker zu finden und schuf so ein etwa 20köpfiges Kollektiv.
Aber die Anfeindungen gingen weiter:
Heft 9-13: Die Digedags stoßen auf Insulaner; die gezeichneten Rihanna-Vorläuferinnen in ihren knappen Outfits geraten zu sexy! Das verdirbt unsere Jugend!
Heft 13: Die Digedags geraten in einen Wirbelsturm auf hoher See, danach treffen sie auf eine Eisscholle voller Eisbären und Pinguine, die sie auf ihr Zirkusschiff evakuieren. Eisbären und Pinguine! Das Mosaik verdummt unsere Jugend!
Heft 18: Ein Fallschirmspringerangriff auf das alte Rom. Diesmal gibt es Krach VOR der Veröffentlichung. Die geöffneten Fallschirme erinnern in ihrer prähistorischen Form entfernt an den Bundesgeier des Klassenfeindes! Der obere Wulst muss beseitigt werden!
Heft 20-24: Eine Liebesgeschichte zwischen einer reichen Fabrikantentochter Olivia im Alten Rom und ihrem Sklaven Alfio, sollte man meinen, ist nahezu Klassenschranken niederreißend revolutionär! Obendrein mündet sie in einen Fischeraufstand auf Malta! Eine Revolution! Wieder falsch: Olivia und ihre Freundinnen (Heft 21) sind schon wieder zu sexy, die römische Geschichte korrespondiert mit den Sandalen-Filmen des Klassenfeindes, die gerade on vogue sind. Während doch Sputnik für die Überlegenheit des sozialistischen Weltsystems gesorgt hat! Wieso reagiert das MOSAIK nicht auf diese Bahnbrechende Errungenschaft? Hegen und Dräger müssen retten, was zu retten ist: Die Digedags müssen irgendwie vom Alten Rom ins Weltall und zwar schnell!
Heft 25 ist deshalb eine Meisterleistung. Die Digedags brechen von der Siegesfeier auf Malta mit dem römischen Gelehrten Sinus Tangentus auf in die Sahara, weil sie meinen, dass dort eine Sternschnuppe oder ein Komet niedergegangen sei. Als sie ankommen, handelt es sich um eine Rakete vom Neos. Sie werden ins All entführt und somit für die nächsten Hefte in die gegenwärtigen Verhältnisse des gaaaanz Kalten Krieges; da es auf dem Neos nur 2 Staaten gibt: Das böse Großneonische Reich und die liebe Neonische Demokratische Republik. Die Digedags lernen Staudammprojekte kennen, entdecken ein neues Leichtmetall – Digedanium – aus dem eine Passagiermaschine gebaut werden soll – ganz wie in Ulbrichts DDR zu Beginn der 60er…
Dem Verlag ist das trotzdem alles nicht genug Sozialismus.
Der böse Spion des Großneonischen Reiches Mac Gips sieht aus wie eine Adenauer-Karikatur. Reicht nicht.
Die 30er Hefte: „Die Wissenschaftler und Professoren Schlick und Schluck werden zu fachidiotisch weltfremd – gar trottelig dargestellt!“, findet wiedereinmal die Lehrerzeitung. Verbieten!
Heft 37 sollte das letzte Heft werden. Danach sollte „Sturmvogel“, eine Jugendzeitschrift mit klassenkämpferisch eindeutigen Abenteuern aus den Tagen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bzw. des antifaschistischen Widerstandskampfes, die Ideale unserer Jugend stärken! So!
Es kam anders. Gott sei Dank! Die Probehefte des „Sturmvogels“ waren dann selbst dem Zentralrat der FDJ zu öde. Auch dem treudoofsten Apparatschik ging schließlich auf, dass sich damit keine 280 000 Stück würden absetzen lassen.
Hegen hatte bereits eine provokante letzte Titelseite gezeichnet, die nun doch nicht gebraucht wurde. Sie wandert ins Archiv und erblickt das Licht der Öffentlichkeit erst 1994 im Sonderheft der Reprintmappe der ersten 13 Hefte. Wer diese verpasst hat, findet sie in den „3 Leben des Zeichners joHANNES HEGENbarth“ von 2015 ebenfalls. Hier statt dessen die Version des tatsächlich veröffentlichten Heftes.:
Von Heft 38 bis 89 geht das nun so weiter. Quartalsentwürfe müssen vorgelegt werden. Sie lesen sich stets klassenkämpferisch und finden sich doch in den tatsächlich erscheinenden Heften kaum wieder. Die Obrigkeit bleibt somit latent verärgert, die Leserschaft jedoch zufrieden, was dem Umsatz und somit der Planerfüllung dient.
André Herzberg, der verdienstvolle Frontmann DER Provokations-Band der 80er Jahre „Pankow“, schrieb eine melancholisch schöne Rückschau auf SEINE Digedag-Erlebnisse irgendwann in den Nuller Jahren und betitelte das Werk treffend kurz
wie immer „MOSAIK“.
Dirk Zöllner, Frontmann des ständig variierenden Ensembles „Die Zöllner“, veröffentlichte einige Jahre später seine sehr unterhaltsam zu lesende Autobiografie „Die fernen Inseln des Glücks“. Darinnen eine längere MOSAIK-Passage. Sie liest sich wie eine Art Danksagung an die 3 Kobolde, die ihn lehrten, dass man auch abseits ausgetretener Pfade etwas werden kann.
Wir alle, die Generation der zwischen 1950 und 70 geborenen Ossis, kommen nicht drum rum, DANKE zu sagen, dass so was, wie das MOSAIK, in der DDR so lange möglich war.
Johannes Hegenbarth – na, der ist mir doch von feinen Buchillustrationen bekannt.
Vielen Dank für diese detaillierte Darstellung. Chrustchovs Geheimrede von anno 54 hatte schon interessante Auswirkungen in der ehemaligen Deutschen Republik. Es freut mich, dass du mir auch diese Facette beleuchtet hast.
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Die Buchillustrationen stammen sicherlich von seinem Onkel oder Großonkel. Es gibt insgesamt 3 berühmte verwandte Maler/Zeichner Hegenbarth. Habe gerade die Vornamen nicht im Kopf und das Buch nicht zur Hand.
Hannes Hegen hat vor dem MOSAIK für diverse DDR-Zeitungen Karikaturen gezeichnet und nach 1975 für die Schublade, weil er unausgesprochenes Berufsverbot hatte. Buchillustrationen sollten mich da schwer wundern.
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Danke für den Hinweis. Josef Hegenbarth war der Buchillustrator. Er war zudem Professor an der HBK Dresden…
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Nach aller erinnerungsvollen Plänkeley kann ich mich hier nur noch schwerst bedanken, lieber Bludgeon (Das „lieb“ ist ironiefrei, tatsächlich!).
Danke, Ihre Frau Knobloch.
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„nur noch“ liest sich so ermüdet? Ich hoffe, Sie bleiben mir auch noch beim 4.Teil gewogen?
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Pardöngsche! Natürlich bleibe ich gewogen und dann sicher auch wieder erinnerungswacher. Das Nurnochige bezog sich auf meinen Tagwerkgerupftzustand…
Glühwürmcheninflaschensperrende Höhlenerkundigungsgrüße, die Ihre, geflascht. Äh, geflasht.
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Lehrerzeitung? Wer außer Lehrern hat so etwas gelesen? Da sind freizügige Südseeinsulanerinnen doch weit interessanter *g*. Vielleicht wars einfach nur der Neid *fg*
Informative Comicgeschichte hier, Digedags und Mosaik waren im Westen wohl nur wenigen echten Comicfreaks bekannt, ich hab erst in den letzten Jahren vereinzelt was im Netz drüber gelesen. Als pdf gibt es die wohl noch nicht.. :D.
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„Lehrerzeitung? Wer…hat so was gelesen.“ Ostsozialisation/Westsozialisation.
Sowas war durchaus gefährlich.
Zu Täterätä-Zeiten lief das so: Malte ein Künstler ein nicht genehmes Bild für eine Kunstausstellung, reichte es aus, wenn 2 oder 3 Kunstlehrermeinungen in der DLZ standen: „So sehen unsere Menschen nicht aus! Das ist westlich dekadent!“ usw. dass der betreffende Künstler sich Sorgen machen musste: Geht das weiter in den Unterricht, in Elternabende… schwappt es in andere Zeitungen, die „alle“ lesen, dann bin ich erledigt. Ich muss Auftragswerke akzeptieren, oder unerklärtes Berufsverbot schlucken und „in die Produktion“… es konnte aber auch sein, dass es beim „Achtungszeichen“ in der Spartenzeitung blieb. Dann hatte der Betreffende noch mal Glück gehabt.
Manchmal ließ der Staat auch richtige öffentliche Zeitungsdikussionen zu, ob grenzwertige Kunstwerke nun als modern tolerabel bleiben sollten oder in den Giftschrank müssen. Mattheuers „Die Ausgezeichnete“ war so ein Fall.
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Mit der Erotik ging es bereits im ersten Heft los. Auf Seite 18 sagt Dag zu Dig: „Dig, freu‘ dich, jetzt geht’s in den Harem!“. Dabei tauschen die beiden Burschen unmissverständliche Blicke aus. Aber Tugendbolt Digedag vermiest ihnen die Tour.
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Huch?! Ich musste direkt nachschauen.
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