Der Mann, der Bär, das Lied der Zeit

“Maybe, there’s a world, where we don’t have do run; maybe there’s a time, we call our own….“

Schon wieder wird ein Nachruf nötig, denn:

Ein ganz normaler Sonntagnachmittag in europäisch Maueritanien. Sagen wir 1980.
Der Fernseher läuft. ARD. „Der Mann in den Bergen“. Der späte Nachmittag geht hin. Morgen wird noch einmal ausgeschlafen, dann aber wieder die verhasste Kluft angelegt und Mittag geht’s zum Bahnhof.
Die Fahrt zur Klippenkotzerinsel ist verflucht umständlich und Dienstagmorgen 6:00Uhr früh endet der Urlaub. Immerhin ist das der letzte Urlaub als „Zwischenhund“, das zweite Diensthalbjahr ist abgedient. Beim nächsten Mal zu hause bin ich „E“!* Das Bandmaß ist besorgt. Die Zwiospange hängt leer bereits ein halbes Jahr am Schlüsselring. Vater hat Stiefeleisen besorgt und platzt immer noch vor Stolz, dass sein Sohn ein „Gedienter“ ist.

Mir aber ist scheißegal, ob ich Gefreiter werde oder mir eben die 3 Dellen in die Schulterstücke falze. Inzwischen bin ich Spießschreiber. Ein Druckposten, sollte man meinen. Aber mein Spieß ist ein besonders blöder. Und die Blöden sind gefährlich. Wir hassen uns. Er versucht mir einen Strick nach dem andern zu drehen und gottlob ging’s schon 2x zu meinen Gunsten aus. Ich besitze inzwischen 10 West-LPs! Nur DAS zählt! Zeit läuft. Wenn sie rum ist, besuche ich meinen Dealer in der Bezirksstadt und borge mir seine Platten zum Aufnehmen: Ambros, Danzer, Heller, Hunter, Meat Loaf…. DAS wird ein Fest!

„Es geht voran!“ ist mein Gedanke, obwohl es den Fehlfarbensong noch gar nicht gibt.

Diesmal ist die Rückkehr in die Kaserne trotzdem besonders schwer. Denn der Urlaub war besonders schön. Es war ein Kompanieurlaub und deshalb war ich unerlaubt im Harz, um einen Kapo zu besuchen und mir seine „Seconds out“ von Genesis auszuborgen, um sie aufzunehmen. Mutter schickt sie seinen Eltern dann per Post zurück. Das Archiv wächst.

Udo war da. Er ist immer noch nicht einberufen worden und hält mich über seine Radiobeute auf dem Laufenden. Musikjunkies sind wir beide. Der Geschmack ist zu 85% identisch. Man kann das Band also unbesehen durchlaufen lassen. Die Aufnahme läuft und wir quatschen zwei-drei Songs lang, dann hält Udo plötzlich inne und guckt mich an: „Bass off!“

“Deep inside a forest, there’s a door into another land….”

“Yeahr! Du hast es?!”

“Tom* Pace heeßt der Typ.”, strahlt er zurück.

Die Serie ist unrealistisch wie nur was. Ich habe 1980 nur 4 Episoden sehen können. Aber sie transportierte notwendig romantische Harmonie, in einer Zeit, in der ich das wirklich gebraucht habe. Und der Song passte ebenfalls wie Arsch auf Eimer.
Udo erging es ebenso, wenn auch aus andern Gründen.

„Wenn wir beede die Scheiße rum ham, baumer uns ä Blockhaus im Buchholz, holn Troll aus K. und schießn of jeden der gommt!“, grinst er.
Heute starb Dan Haggerty der Hauptdarsteller. Erst Bowie, nun er …

 
* E = EK = Entlassungskandidat; Bandmaß zum Tage zählen, Stiefeleisen für die Absätze der Knobelbecher, damit es beim Gehen klackt: Der Klang der Freiheit!

** Das TH konnte er vom bloßen Hören am Radio natürlich nicht mitkriegen. Thom Pace.

21 Gedanken zu “Der Mann, der Bär, das Lied der Zeit

  1. Den Mann in den Bergen habe ich nie gesehen, da war wohl was anderes dran und folglich kenne ich den Hauptdarsteller nicht.
    Mich würde viel mehr interessieren, wie dieses Plattentauschsystem funktioniert hat. Unter Kumpels wahrscheinlich hier wie dort genauso. Aber dass man Platten dann per Post verschickt hat…

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    • Man hat 540 Tage Dienst vor sich: Man nehme 18 Schlüsselringe für 18 Monate, am unteren Ende befindet sich der Schlüssel für das Vorhängeschloss am Spind. jeden Monat nimmt man einen Schlüsselring ab. Wenn 6 Monate erledigt sind, wird zusätzlich zum Schlüssel unten die Zwiospange angehängt. Die leere Zwischenhundspange, so eine Kabelhalteschelle, weil man nicht mehr Glatter oder Sprutz ist, da nun wiederum die neu einberufenen Rekruten eintreffen. Ist man bei den letzten 200 Tagen angekommen ist „Anmalen“: Ein Schneiderbandmaß wird zum Kalender: Es wird auf 180 verkürzt, alle 7 Tage werden die Wochenendtage bunt angemalt, das Ding wird zusammengerollt und in die Zwiospange gepresst. Es darf nun schon getragen werden. 20 Tage später ist „Anschnitt“ mit Suff, der in der Kaserne eigentlich verboten war, aber per eingeschmuggeltem „Schluck“ trotzdem lief und teilweise zu Exzessen führte, die wiederum zu Massenbestrafungen führten, die wiederum zu neuen Exzessen führten, um die Zinker zu bestrafen usw.

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  2. Die 62 reichsten Menschen der Welt haben nach Oxfam so viel Besitz angehäuft, dass sie über genauso viel Vermögen verfügen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, 3,6 Milliarden Menschen.

    Ich vermute, keiner der 62, einschließlich ihrer Familien, hat jemals eine Kaserne von innen gesehen. Und falls doch, verlässt er sie als General.

    Aber ich will dem Zeitgeist folgen und positiv denken: Ist doch auch etwas Schönes, das Weltvermögen in sicheren Händen zu wissen.

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  3. Lieber Bludgeon,

    es gibt nicht „all die“ Neudeutschen. Es gibt auch keine einfachen Lösungen. Aber es gibt die, die sie zu haben vorgeben. Und die machen keinen Spaß. Die bedienen sich unserer Ängste, der einfachen wie der komplexen.
    Die Menschheit hat es nicht, Wie wahr. Und wie billig.
    Was macht den Menschen aus, wenn nicht Menschlichkeit? Und die kann einem teuer zu stehen kommen. Aber was sind wir noch wert, wenn wir sie aufgeben? Wie können wir Mensch bleiben, ohne im Anderen den Menschen zu sehen? Wie können wir Mensch bleiben, wenn wir die unter Qualen Geflohenen in ein Wort pressen mit denen, die ihnen, wie uns, an Freiheit und Leben wollen?
    Ich frage mich das alles wirklich. Und ich habe keine Antworten anzubieten. Im Gegensatz zu denen mit den einfachen Lösungen. Und die machen mir mehr Angst als alles andere. Aber uns unsere Ängste einzugestehen und zu ihnen zu stehen, sie selber in die Hand zu nehmen, nimmt den Ängsteschürern etwas von ihrer Plattform und ihrer Macht. Und mir selbst etwas von jener Bitterkeit, die sich beim Blick auf Welt und Menschheit, mich eingeschlossen, unwillkürlich einstellt.

    Ich wünsche Ihnen und mir und allen Menschen auf der Welt Mut zum Wachstum und Mut zur Menschlichkeit.
    Danke fürs Lesen und danke, dass ich hier auch eine Schreiberin sein darf
    Ihre Leserin

    PS: Haben sie schon mal über Alternativen zu den Waldspaziergängen nachgedacht? Wiese? Heide?
    Steppe? Wüste? Mars? Eigentlich alles schöner als Todesstrafe.

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    • Mir gings im Ärmelblog nur um die Baumfrevelei unserer hiesigen Mitmenschen. Da waren keine Flüchtlinge gemeint.

      Aber da sie’s anschneiden:

      Sie haben recht – und auch wieder nicht – in einem.
      „…hab mich immer vor der Menschlichkeit verbeugt, auch wenns net zum Besten steht.“(Danzer, auf seiner letzten Träumer-Platte)
      Ich halts nach wie vor mit ihm.
      Aber mehr Angst als vor der AFD hab ich vor der fehlenden Überzeugungskraft der Altparteien.
      Sie bieten das Bild ihrer Vorgänger von 1932.
      Verschlissen, verbraucht. Keine brauchbaren Hoffnungsträger in der 2.Reihe erkennbar.

      Das Flüchtlinge-Streitthemafass mach ich lieber nicht auf. Da ich viele Probleme sehe, aber auch keine Lösungen in petto habe.

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  4. Geb ich Dir die Hand zur Baumfrevelei, und zum Danzer, den mögen wir anscheinend beide sehr, sehr!
    Darf ich Dich hier mal dran erinnern, daß Du was zum Alois Nebel schreiben wolltest, ich warte nämlich schon drauf…wollt ja nur sagen, daß Du´s nicht vergisst!

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    • Klar doch klar, ich warte nur noch auf den finalen Musenkuss für den Einstieg. 🙂
      Ich wollt’s nicht übers Knie brechen. Frau Arabella wartet bestimmt auch schon auf den versprochenen Post zum „Magazin“.

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      • Also, ich weiß ja nicht, was Du im Magazin alles zu tun hast, aber ich werd mich mal umschaun, ob grad eine Muse herumfliegt, die könnt ich ja schon mal prophylaktisch in Deine Richtung schicken…wir sind ganz in Südost, dann schick ich sie nach Norden und bisserl westwärts oder? Um die Küsserei mußt Du Dich dann selber kümmern! Liebe Grüsse

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