Spät nachts im Funkhaus

2015. Ein Praktikant erlebt als Krankenvertretung seine Feuertaufe allein mit ein paar Plattenspielern und Tonbandgeräten im Studio. Old school. Man hat ihm gesagt, es sei alles eingeschaltet. Hier habe er die Playlist, allerdings nur die Interpreten.
Eine Themensendung: Frühe 80er! Er solle spontan moderieren, nur so entstünden flott harmonische Räjdioshows!

Er beginnt:

Hu, waren das wieder Nachrichten grade! Meine sehr verehrten Hörerinnen und Hörer, liebe Freunde da draußen! Es ist Viertel nach 11, das ist spät – aber die „Frühen 80er“ stehen auf dem Spielplan. Das Entspannungsprogramm zum Feierabend. Halten sie mir die Daumen, dass mir genug zu den Titeln einfällt. Gute Besserung an den Frank zu Hause, der das Kommende zusammengestellt hat. Und wir beginnen erst mal mit diesem hier:

Liebe im Funkhaus bei Nacht
Wir sind auf Sendung
Liebling gib acht…

Ja, so klang das damals in der NDW. Mythen in Tüten. Hübsche Bandnamen hatten die da. Und hübsche Sängerinnen, wie die nächste Dame auf meinem Zettel:

Klack!

…99 Kriegsminister
Streichholz und Benzinkanister
Hielten sich für schlaue Leute
Witterten schon fette Beute…

Scratsch! – und ein unterdrücktes „lieber nicht jetzt“ ist zu hören.
Dann die Moderation: Peinlich aktuell irgendwie. Na ja Friedensbewegung wurde damals großgeschrieben. Mal sehn was auf dem nächsten Player aufliegt:

„Hürriyet für die Sowjetunion! In jeder Imbissbude ein Spion!“

Issja noch schlimmer. Nee, geht nicht! Fehlfarben 81 – lang ist’s her!
Was liegt hier drauf? Irgendwas vom Heller. Lassen wir uns überraschen liebe Hörer:

Taschenspieler tauschen geschickt
Freiheiten gegen Plunder.
Das, was sie heute nicht halten,
wird morgen nicht einmal mehr
versprochen.

Haaach. Genau das wollt ich vermeiden! Hoffen wir mal, dass das nicht so weiter geht.
Apropos: NDW-Stars beriefen sich ja gern auf Hans Albers, Grete Weiser und solche Leute, deshalb hier was Klassisches. Ungefährlich. Deutsche Grammophon zum 20.Todestag vom Grrrrüündgens 83:

Ein verruchter Besen,
der nicht hörrrren will!
Stock, derr du gewesen,
stehe doch WIEder still!

Herr und Meister! Hör mich rufen!- lamentiert der Moderator.
Dschieses! Heute geht auch alles schief! Scratch!

Ach, da kommt der Meister!
Herrrrr, die Not ist groß!
Die ich rief die Geister,
Werrrd ich nun nicht los.

Schluss jetz’! Die hammmir hier lauter Kuckuckseier ins Nest gelegt, liebe Freunde. da kann ich ja gleich „Amerika“von Fee spielen! Was hatt’ich hier?

Der Zau-berer ist tot…
Das heißt: Er lebt!
Er wechselt nur die Gestalt…

Hach, verreck! Der Heller wieder. Klick.
Und hier? Das Band hab ich noch gar nicht versucht:

Drum schlaft schön ein und gute Nacht. Wir werden alle überwacht – ja überwablürpp!

KLICK!

5 Sekunden Sendepause. Schockstarre.
Dann ein Moderator, der um Fassung ringt: Das darf nicht wahr sein! Die lassen mich nie wieder an ein Mikrophon! Meine Damen und Herren. Ich bitte um Entschuldigung für all den Wirrwarr. Aber jetzt kommt hoffentlich was Normales: Die Neonbabies hab ich hier noch auf dem Zettel. Das müsste diese Bandmaschine sein. Ich hoffe mal auf „die blauen Augen“ oder so was:

Die Starfighter fliegen weiter! Und niemand weiß – wohin….

Fuck! Verreck und eins sind neune! Der hat mir am Telefon versprochen, die NDW sei harmlos! Ich will endlich Spass! Wo ist der Markus? Gar nicht mit drauf.
Verdammt! Nun hab ich alle durch. Und noch soviel Sendezeit!
Nochmal auf die 1: Nena war doch eigentlich immer Schulmädchen Pop! Und die Luftballonnummer ist durch:

Wunder geschehen
ich hab’s gesehen
es gibt so vieles was wir nicht verstehen
Wunder geschehen
ich war dabei wir dürfen nicht nur
alles glauben was wir sehen

Man hört einen herzzerreißenden Schluchzer und eine Frauenstimme aus dem OFF:

Meine Damen und Herren, wir unterbrechen das Programm aus aktuellem Anlass:

Gefolgt von einer sonoren Männerstimme:

Hier ist 49 Komma 10 mit den Nachrichten….

15 Gedanken zu “Spät nachts im Funkhaus

  1. Kriegsminister und Benzinkanister ……..
    Einen besseren Reim werde ich heute nicht mehr finden, hab ich durchaus studiert, mit heißem Bemühn und nie verstanden, den sechsfüßigen Jambus und all den Kram.

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    • Die Jamben und „Trichinen“ haben mich nie interessiert. Erst durch die Wiedervereinigung hab ich erfahren, dass man Versmaß und rhetorische Mittel über Inhalte stellen kann, dass formale Blenderei ein wichtigerer Bildungsnachweis ist als Interpretationsgabe.
      Als Schüler hab ich Goethe und Schiller auf den Misthaufen der Geschichte schmeißen wollen. Auch wenn ich heute weiß, dass beide ziemliche Charakterlumpen waren, würde ich das heute nicht mehr wollen.
      „Zauberlehrling“ und die letzten Strophen der „Glocke“ sind heute so aktuell wie nie.

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  2. Sehr ähnlich, ganz arg ähnlich.
    Mit Goethe oder Schiller im 18.-19. LJ und auch schon vorher traktiert zu werden, war einfach nur dreist. Hüben wie drüben.
    Da stiegen hüben nur blasse Denkblasen hoch, weit hinter Asterix, hinter Genesis und alldem, mit dem man es zwangsläufig zu tun hatte.
    Oder mit Lucky Luke.
    Zieht schneller als sein Schatten 🙂

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  3. Die blauen Augen waren doch von Ideal und nicht von den Neonbabies (um mal meine allenfalls rudimentären Kenntnisse der selten gehörten NDW an den Mann zu bringen). An den Texten erkenne ich gerade mal den Danzer, und das war ja keine NDW.
    Schöne Collage, kann man ganz sicher auch mit den 60ern und 70ern leicht zusammenbasteln, die Themen sind ja leider generationenübergreifende Dauerbrenner…

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      • Ideal machten die „Blauen Augen“ zum Hit, aber Inga und Anette Humpe waren zuvor beide bei den Neonbabies und die spielten die Nummer auch schon. Als der kleine Bludgeon 81 von der Fahne kam, gerieten im die Neonbabies mit den „Blauen Augen“ aufs Band, zeitgleich mit Interzones epochalem „Blnw“.
        „Starfighter“ von den Neonbabies stammt dann schon von 83 und das war dann nur noch Ingas Band.
        (Gehört inzwischen zu den nicht mehr auftreibbaren Nummern, leider…Blödes Gebaren der Altstars: „Wir waren nie NDW und wollen nicht dran erinnert werden“.) Ächz!

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  4. Da siehste mal wie gut ich mich in dieser Welle auskenne *g* aber wo Du es sagst, ja die Humpesisters.. da dämmert was.
    Ideal fand ich.. ganz nett. Blaue Augen und zwei, drei andere Dinger. Nicht mehr als ganz nett. Nena war niedlich, aber die Stimme.. nee. Und als das mit Markus und Frollein Menke losging hab ich die NDW völlig abgehakt.
    Codo der Dritte, aus der Sternenmitte tralalala.. kann man mal hören und drüber grinsen, aber ernst nehmen konnte ich das alles nicht. Dass es da auch ernst zu nehmende Musikanten gab habe ich sehr viel später erst erfahren..

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    • Ideal – ein paar Dinger. Genau. LPweise war das oft recht dürftig, sogar im Falle von Interzone. Die NDW war eher ein Single-Ereignis. Aber es gab eben in extrem kurzer Zeit extrem viele gute Texte. Bei mir zündeten da vorallem die Aussagen, auch wenn die „Musik“ oft keine war: Frieder Butzmann, Borsig, Tödliche Doris, Grauzone, Nuala, Joachim Witt, Fee, Cats TV, Fehlfarben…
      Dass das meist Zufallsgereime gewesen ist, das unbewusst und automatisch interpretierbar war, wurde mir erst später klar. Immerhin sprichts für die Güte des Textangebots, wenn da was geht:
      „Keine Heimat, wer schützt mich vor Amerika…oder kommen die Chinesen?“ (Ideal)
      „Der Keller ist voll, die Taschen sind leer, Johnny du Lump, was willst du mehr? Der Keller ist leer, die Taschen sind voll, nun singe dies Lied für ein Hundevolk!“ (Holger Hiller)
      usw.

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  5. Interzone.
    Wenn ich den Namen schon höre 🙂
    1981
    Heiner Pudelko.
    Punkt.
    Das war der Soundtrack für mindestens ein Jahr, und das war eine lange Zeit 1981. Hätte ich damals einen Plattenladen gehabt, hätte ich ein paar Scheiben bei NDW eingestellt, ein paar bei Rock. War auch eher so ein angebluestes Zeugs. Aber es waren die Texte, Heimatland.
    „Niemand spielt Posaune“ …. Karl, so hiess doch der Song mit dem „Scheissbuchladen in der Goethe-Allee“
    Niemand hat das r so gerollt seit der Marlene. „Das Öl, in deinem Haar, hab immer noch die Scheibe Little Anthony & The Imperials, doch jemand klaute mir die Scheibe, wie findest du das?“

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