don’t think twice II

Da wäre noch von einem Nachtrag zu berichten, der mir gestern Nacht erst wieder einfiel:

Als der wildgewordene, spitzbärtige Leipziger Tischler sich seine kleine deutsche Sowjetrepublik erschuf, steigerte er sich in einen Abriss-Taumel ungekannten Ausmaßes:

Zahllose Gutshäuser – Abriss!
Siegesdenkmal auf dem Leipziger Markt – weg!
Berliner Schloss – weg!
Potsdamer Schloss – weg!
Garnisionkirche Potsdam – weg!
Potsdamer Stadt-Zentrum – umgestalten!
Frauenkirche Dresden – nur als Ruine nützlich!
Wiederaufbau Dresdens – ja aber nicht „wie es war“!

Irgendwann in den späten 50ern bereits war ihm der Kyffhäuser ein Dorn im Auge. Der muss weg! Sprengen!

Gott sei Dank waren wir nicht souverän. Die dafür notwendigen Sprengstoffmassen mussten beim „Großen Bruder“ bestellt werden. Und der sagte in Erinnerung an seine eigenen Reiterstandbilder von Peter dem Großen: NJET! Das sozialistische Deutschland muss lernen zu seiner Geschichte zu stehen!

Klatsch! Diese Ohrfeige saß!

Stalins ehemaliger Stuben-Terrier steckte den Tritt weg und ließ den Kyffhäuser stehen. Als er sich jedoch sein eigenes Denkmal in seiner Geburtsstadt schaffen wollte und diese umzugestalten begann, erinnerte er sich an sein Schlüsselerlebnis.

Universitätskirche – weg!

Aber Völkerschlacht-Denkmal? Das lässte ma liebor stehn!

Dank euch, ihr Sowjetsoldaten!
Die eignen Leute hätten es verraten!

10 Gedanken zu “don’t think twice II

  1. Auch ich finde die kulturelle Verwüstung des Herrn U. grausam (und irgendwie pathologisch).
    Trotzdem trifft mich Ihr letzter Absatz mit Wucht. Er zeigt etwas, das sowieso nie in Frage stand: Auch an einer DDR-Sozialisierung trägt man lebenslänglich. Mir wäre er im Leben nicht eingefallen.

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    • Tja, gut möglich. Er ist „halbironisch“ gemeint und als Weiter-Denk-Ohrfeige gedacht. (Erster Vers: Propaganda-Slogan-Zitat aus DDR-Zeiten, zweiter Vers Bludgeon-Provokation) denn:

      Wer heute diese Relikte als Monstrümmer wahrnimmt, würde ebenfalls nichts unternehmen, wenn sie durch irgendeinen korrupten Stadt- oder Landrat einem neuen „Spaßbad“, Rewe-Markt, Kaufland geopfert werden würden.

      Und was wäre dann der Unterschied zu Walter U.?

      Ulbrichts Sprengungen wurden mit der Faust in der Tasche hingenommen, aus Angst vor GULAG und Stasi-Knast. Das ist in meinen Augen entschuldbar.

      Würde ähnliches heute passieren, würde es ein paar kleinere Gegen-Demos geben und die Demonstranten wären alle „rechts“- bzw. „links“-diskreditierbar (jeh nach betroffenem Bauwerk) und würden scheitern. Der Mainstream wäre am Spaßbad interessiert.

      Sehr schön nachvollziehbar an der scheinheiligen Aktion „Palast-Abriss“ in Ost-Berlin.

      Aber um diesem Kommentar hier eine abschließend positive Wendung zu geben: Das Völkerschlachtdenkmal wurde in den letzten Jahren saniert. Für die großen Brocken besteht dank „Denkmalschutzgesetz“ Gott sei Dank keine Gefahr.

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      • Ich hatte hier eigentlich eine freundlich zustimmende Antwort auf Ihre Antwort platziert (mit „tz“ sieht das ja geradezu brachial aus). Da ich nicht davon ausgehe, dass Sie sie gelöscht haben, muss ich wohl wieder mal vergessen haben, auf „absenden“ zu klicken. Immer wieder ärgerlich, aber andererseits nimmt man das eigene Geschreibsel auch leicht mal zu wichtig.
        Also, ja. Ja, auch ich halte die Zeitzeichenfunktion für sehr wichtig. Aber ebenso ja: die Zeichen der Zeit, ihre imperiale Hybris, die menschenverachtende Herrenmenschenideologie, die jedes menschliche Maß ignoriernde Gigantonomie, diese Zeitzeichen (und andere) sind definitiv präfaschistisch.
        Und Geschichtsmasochismus? Da ist mir eine gewisse Distanz tatsächlich lieber als der Hurra-Patriotismus anderer Länder. Gibt es denn ein Land mit realistischem Geschichtsverständnis? Und wer könnte es definieren?

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      • Die Antwort DArauf ist ja schon in unseren Vorgängergeschreibseln enthalten:
        Nein, mir fällt auch kein Land ein, mit einer Art von „Bescheidener Eigenwahrnehmung“. Das ist wohl eine Frage der Massenpsychologie.

        „Wennste siegst, haste große Fresse“ und „wennste verdroschen worden bist, dann is näschn-näll Gejammere“ angesagt. Deshalb red ich aber trotzdem nicht einer Bilderstürmerei das Wort, sondern der Fähigkeit des angemessenen Umwertens und Funktionswechsels.

        Ob Völkerschlachtdenkmal oder Berliner Fernsehturm, ob Ludwigs Märchenschlösser oder Weimarer Gau-Forum: Lernen, zu seiner Geschichte zu stehen, heißt in meinen Augen sie zu „ertragen“ und nicht „abzutragen“.
        Und das Ertragen muss meiner Meinung nach, nicht immerzu mit diesem Ästhetikvorwurf einhergehen.

        Man kann dem 19. Jahrhundert nicht zum Vorwurf machen: Ihr hättet wissen müssen, dass im 20. Jh. der NS kommt!

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      • Das Eine ist das Denkmal, das Andere das, woran man da mal denken sollte. Ein paar nackte Zahlen:
        306 000 Mann waren beteiligt. 73000 tote Franzosen, 16000 Tote bei den Preussen.
        Vom Elend der Verwundeten kann man sich kaum Vorstellungen machen.
        Parkinson schrieb: „Alles in allem wurden Tag und Nacht jede Stunde im Durchschnitt etwa 1500 Mann getötet oder verwundet.“ (Zitat Ende)
        Leipzig muss ein einziges Inferno gewesen sei, sich das auszumalen, dazu reicht meine Phantasie gar nicht aus. Leider springt die immer ganz schnell an, wenn es um solche Orte geht.
        Es gibt noch mehr Denkmäler in Leipzig, sehe ich hier, darunter eines, das an die fatale Brückensprengung des Marschalls Poniatowski erinnert, als die Lunte zu früh gezündet wurde. Ein Drama im Drama.
        Das wollte ich nur auch mal erwähnen.

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      • Jawoll durchaus. Drama im Drama. Andererseits ist bei diesen alten Auflistungen von Opferzahlen immer Zweifel angebracht, da so allerhand Regimentskommandeure Fake-Listen führten, was die Ist-Stärke bzw. die eigenen Verluste angeht: Je mehr Verluste, desto mehr Einsatz ergo Ordenssegen hinterher war zu erwarten.

        Das Asisi-Kolossalgemälde in Leipzig erinnert obendrein an eine andere heute vergessenen Kuriosität althergebrachter (vorindustrieller) Kriege, während Leipzig in einigen (wenigen) Straßen brennt, gibt es in anderen Straßen Schaulustige in den Fenstern der oberen Stockwerke, weil es unten „auf der Gasse“ schießt.

        Auch in „Fackeln im Sturm“ kommt das vor, dass beim Gefecht vor der Hauptstadt Washington 1861 zu Beginn des Bürgerkrieges die „besseren Familien“ noch extra in Schlachtfeldnähe fuhren, um zu picknicken, während es in Sichtweite so interessant schießt. Erst als die ersten Kartätschen- Einschläge deutlich machen, dass da nicht mehr nur Feldsteine verschossen werden, setzt Ernüchterung und Flucht der weißgekleideten Sonnenschirmträgerinnen ein….

        Ein weites böses Feld – mit seeeehr viel DENK-Stoff, den zuviele scheuen.

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  2. Ende der Siebziger, noch sehr jung, war ich einmal in New York. Allein. Das scheint mir wichtig zu erwähnen, denn wer alleine reist, noch dazu jugendlich, erlebt mit großer Intensität. Das Außen wie das Innen. Ein Freund riet mir zum unvergleichlichen Ausblick von den Zwillingstürmen. Ich wusste damals noch nicht einmal von ihrer Existenz, geschweige denn ihrer Funktion, sie erschlossen sich mir nur über ihren Namen: Mittelpunkt des weltweiten Handels.
    Ich war überwältigt! Überwältigt und aufgewühlt! Von der Höhe, von dem schieren Wissen, einen halben Kilometer hoch auf einem Haus zu stehen, und auch von dem Blick, der einer Schau eines ganzen Zeitalters gleichkam.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort gestanden habe, aber ich weiß, dass ich mich dort oben verändert habe.
    Plötzlich sind die gotischen Kahedralen meines Heimatkontinents vor mir aufgetaucht. Gebaut von den Bewohnern ganzer Städte, über Generationen hinweg. Ausdruck des gemeinsamen Wollens und Handelns eines GemeinWesens. Ausdruck, vor allem, einer gemeinsamen Idee und eines gemeinsamen Glaubens, eines Glaubens, der, bei aller Fragwürdigkeit, immerhin über die menschliche Sinneswelt hinausgeht und dem Menschenleben einen Platz zuweist, in einem viel größerem Gefüge. Diese Bauwerke, Stolz ihrer Städt über Jahrhunderte, gebaut im Dienste eines Gottes – nicht mal ein Drittel der Kathedrale auf der ich jetzt stand, gebaut im Dienst des internationalen Kapitals, dem Gott Mammon.
    Die ganze lebensverachtende Hybris unseres Zeitalters brach über mich herein. Dann habe ich die Türme in sich zusammensinken sehen. Erst die Türme, dann die Stadt, dann alle Städte.

    Und dann habe ich „mein Leben gelebt“ und an andere Dinge gedacht. Bis zum 10. September 2001.

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  3. Am 10.09.2001 habe ich in meiner Wohnung rumgräumt und „zufällig“ einen Karton mit allem möglichen gefunden. Unter anderem mit dem Ticket des WTC-Elevators. Ich dachte mir zuerst: „Die nahmens damals schon von den Lebenden…“ und dann:: „Kein Wunder, dass du so viel Zeug hast, wenn du jeden Scheiß aufhebst“ und habe es in den Müll befördert. Ein paar Stunden später habe ich es wieder rausgefischt.

    Warum ich das schreibe?
    Nein, man kann dem 19. Jh. nicht zum Vorwurf machen, dass es nicht in die Zukunft schauen konnte. Aber wenn man sich überhaupt zum „Werfen“ entschließt, dann kann man ihm und uns vorwerfen, die Zeichen der Zeit nicht sehen zu wollen. Und in der Ästhetik, nicht nur in der architektonischen, zeigt sich viel.
    Ich hatte soetwas wie auf dem WTC übrigens später noch einmal, wenngleich in erheblich abgemilderter Form: Ca. 2005, als ich zum ersten Mal nach der Wende wieder in Berlin war, auf dem Potsdamer Platz.

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    • Applaus one more time: Mein Bilderstürmerschlüsselerlebnis war der Abriss des Palastes der Republik und die dazugehörige schlecht-geheuchelte Begründung vom Asbest. Denn die hätte bedeutet, dass das ICC auch weggemusst hätte. Gleiche Bauart, gleiche Zeit, aber Westberlin.
      Und der Potsdamer Platz ist nun beeindruckend scheußlich.

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  4. Pingback: Pfingst-Echo’20 | toka-ihto-tales

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