Die Platten sind die stärksten, die die eigene Geschichte wieder auferstehen lassen.
„Red velvet car“ (2010) von HEART hat diese Gabe.
Die Wilson-Sisters haben sich bei mir als treue Begleiterinnen durch die Jahre erwiesen.
Nun aber legten sie eine Platte vor, voller alter Stärken. Sie selbst knackten die 60! Und da entstehen so Gedanken:
Der Kleine liegt in seinem Bettchen. Die Oma sitzt daneben und singt ihn in den Schlaf. Der Kleine ist 5 und die Oma ist 60 und passenderweise verrät der Kalender das Jahr: 1965. Oma singt, was sie immer singt und was alle Omas jener Jahre sangen, wenn sie sich denn die Mühe machten:
Loreley, Kam ein kleiner Teddybär, bunt sind schon die Wälder, weißt du wie viel Sternlein stehen… Manchmal sang sie „Mussi denn, muss i denn zum Städtele hinaus“ … und der kleine bemerkte die feuchten Augen. „Weinst du, Oma?“ „Ach. Schlaf mal schön jetzt. Gute Nacht.“ „Muss i denn“ hatte das Abendprogramm verkürzt und Omas Laune verdorben. Warum hatte sie es gesungen? In den nächsten Nächten wurde „Mussi denn“ nicht gesungen, bis es irgendwann später dann doch wieder passierte.
Ich begann das Lied zu hassen.
Damals konnte ich noch nicht zusammen bringen, welche Wirkung „zum Städtele hinaus“ und „wenn ich wieder wieder komm’“ auf Oma hatten, weil ich auch noch nicht verorten konnte, was „Sudetenland“ oder „alte Heimat“ bedeutete. Heute kann ich es. Oma ist tot.
Aber „muss i denn, muss i denn“ ist immer noch ein Scheißlied.
Der Kleine wurde größer und Oma saß längst nicht mehr am Bett. Ein Kassettenrecorder hatte ihren Job übernommen. Furchtbar testosterongeladenes Gebrüll aus diesem erschreckte die Eltern von nun an und begeisterte den Sohn: „You know how to please me/you know how to squeeze me/I want you my love cum on!…“
Die Zeichen standen auf Sturm im Kinderzimmer: „teenage rampage now!-now!-now!“ (Die Revolution traf den Friseur mit aller Wucht: No Faconschnitt anymore!)
Frauenstimmen wurden auch vernommen: „Put your man in the Can honey! Try it! Can the Can!” Der Rhythmus war OK, der Text egal, aber instinktiv kam jene Rebellensirene für anderweitige Verehrung eher nicht in Betracht. Zu viel Ähnlichkeit mit diversen Rummelschönheiten „from the wrong side of town, you know?“
Dann war da noch ne andere: “a woman left lonelääääää! Häää-äää without a maaaan!” Da war die richtige Dosis Leidenschaft in der Stimme! Da hätte man trösten wollen. Bis man ein Bild von ihr sah: ein Art jugendliche Babajaga grinste da eines Tages vom T- Shirt … absolutely nix zum Anschmachten.
Warum gab es keine Rockerin, die annähernd aussah wie Marianne Rosenberg?
Ann Wilson war genau das! Musikladen 1977. „Magicman.“ Da war ne schöne Frau. In’ner coolen Band. Ihre Schwester im Hintergrund. Trotzdem keine Abba-Gefahr! Der Song super eingängig, aber gottlob NICHT tanzbar. That’s it! Hier machten Mädchen Jungsmusik! Geht doch!
Zeitchen verging. „Dog and Butterfly“ wurde auf dem Flohmarkt aufgefunden zum Schwarzmarktpreis bezahlt. Vinyl wurde später durch CD ersetzt. Und eine Scheibe nach der anderen kam dazu… on the long road home…
Meinem alten Schwarm war es nicht gut gegangen in all der Zeit. Ann Wilson kämpfte in all den Jahren den Elvis Presley Kampf: Jojo-Effekt extrem, zuletzt mit Magenverkleinerung. 2010 ein Lebenszeichen. Ein neues Album. Ein Album mit schöner Musik „aber ohne Hits“, wie manche Rezensenten schreiben. Psaw! „Red velvet car“ ist einer, „Safronias mark“ auch, „hey you“ erinnert sogar ein kleinwenig an dieses ex-Spice-girl (solo) vor zweidrei Jahren!
„Dieses Album wird denen gefallen, die Heart in den 70ern mochten.“, wurde auch behauptet – und das stimmt schon eher! Das Album atmet Sporenelemente von „Song of the archer“, der wiederum „battle of evermore“ und „gallow spole“ enthielt. Die „Led Zeppelin III“ stand deutlich Pate. Wen wunderts? Halten die Damen doch Kontakt zum verstoßenen Zeppelin John Paul Jones. Da kommen reichlich gute alte Zeiten hoch. Und dann guckt man aufs Geburtsdatum. Man hat inzwischen das halbe Jahrhundert rum und stellt fest: Ann Wilson ist 60! Hallo Grandmother!
Hat sie Enkel? „Dog and butterfly“, “Cherry blossom road“, “These dreams” wären prima Gute Nacht Lieder, so unplugged auf der Bettkante gesungen….
Seit „Red velvet car“ sitzt bei mir im Traum ab und an nu wieder Oma am Bett, hat rätselhafterweise eine Gitarre auf dem Schoss und singt – auf keinen Fall „Muss i denn“ – sondern „sunflower“, „there you go“, dazwischen sogar „walk my little teddybear from toyfactory to here…“ und last but not least muss es dann sein: „alone“ … und diesmal heult der Enkel.
Finden eigentlich alle Männer des Jahrganges 1960/61 Marianne Rosenberg zum verlieben schön?
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Zumindest sind wir ziemlich viele, denen es so geht. Zu schade, dass sie nicht rechtzeitig diesen Maffay-Dreh in die Rockerei geschafft hat, damit man sie auch musikalisch hätte mögen können. Sie hätte zum Beispiel bei Jane einsteigen- und dort zur deutschen Annie Haslam werden können. Schnalz! Das wär’s gewesen.
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Mir ist als würde der Gärtnergatte sprechen;-)
Im Ernst: Ihr Post voller Erinnerungen hat mir sehr gefallen.
Freundliche Grüße, Arabella
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Das macht Spass zu lesen und die Leidenschaft für die Musik der beiden Schwestern ist spürbar.
„Die Platten sind die stärksten, die die eigene Geschichte wieder auferstehen lassen.“
Das glaube ich auch.
Ich habe mir mal einige der von dir zitierten Stücke bei Onkel Juhtjuhp angeschauhört.
Ich hatte das erste Album „Dreamboat“ und Magic Man hatte die restlichen glatt weggebügelt. Wurde ja auch ein Hit.
Beim zweiten Album war ich schlauer: vorher angehört und festgestellt, dass es mit Barracuda wieder so lief.
Als „Red velvet Car“ erschien und du es vorstelltest nebenan im Zirkus, schrieb ich: „das hört sich gut an, einfache Worte / Bilder, wahrscheinlich ebenso einfache Musik . . .“
Daran hat sich nichts verändert.
Wie gut, dass jeder Musikliebhaber seine ganz eigenen starken Scheiben hat, „die die eigene Geschichte wieder auferstehen lassen.“
Beste Grüsse aus dem klingenden Bembelland
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Siehste, und obwohl du die „little queens“ noch schätzt, ist dir (wie so vielen) die „Dog and Butterfly“ (1978) total entgangen. Warum die so monströs gefloppt ist, mag der Teufel wissen. Die ist in nix schlechter als die beiden Vorgänger. Vor allem der Opener – eben jenes „Cooking with fire“ und der pathetische Abschluss mit „mistral“ gehörten eigentlich auf jedes „Best of“.
In den 80ern waren sie ins schablonierte Umtata abgedriftet. Da gefällen mir keine ganzen Platten mehr. In den 90ern besserte sich die Lage dann wieder.
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Mitte bis Ende der 1970er Jahre. Dorfbuben mit mittleren Städten drumrum.
Seit etlichen Jahren Yes, Genesis, Zappa, Gentle Giant, Curved Air, Alex Harvey, Rory, Fripp und andere in Dauerrotation und dazwischen dann diese Beliebigaustauschmusik aus den USofA – da wird selbst dir die Fantasie versagen, schätze ich mal…
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Allerdings. Ich versteh die Botschaft gar nicht!?! Worauf bezieht sich „Mitte bis Ende der 70er“? Worauf die „Dorfbuben“?
Ich kenn das so:
Zweite Häfte der 70er gilt als Schwächelphase für Prog. Boston, Kansas, späte Fleetwood Mac ziehen Kreise, dahinein hätte „D&B“ von Heart hervorragend gepasst.
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Also dann deutlicher mit etwas zurückgenommener Höflichkeit – you´ve asked for, so now you´ll get it 😉
Wir waren ahnungslose Dorfbuben und hielten uns für die Grössten. Das war sicherlich teilweise auch die Treibfeder, immer abgefahrenere Musik hören.
Gut, einige spielten Instrumente und verstanden auch etwas davon, was auf unseren Scheiben musikalisch abging.
Wir hörten die bereits genannte Musik, Van der Graaf Generator, Pink Floyd und Magma hatte ich vergessen.
Vielleicht kannst du dir nicht vorstellen, wie Musik von Heart, Kansas, Boston und ähnlichen Musikbanden da bei uns ankam. Schallendes Gelächter und sofortiger Programmwechsel hin zu (unsrer) Musik war die spontane Reaktion.
Diesen zusammengedengelten usamerikanischen Rock, vielleicht sogar noch aus den Südstaaten – geh mich wech mit dem Getöne.
Gut, vier, fünf Nummer von ZZ Top und mit der Ausnahme von den Allman Brüdern.
Dort überm Teich gabs ja auch für uns richtige Musik: Grateful Dead, Hendrix, Jefferson Airplane /-Starship, Flock, Tony Williams Lifetime etc., also Musik, die wirklich abging und nicht bloss auf dem ämmäriken Triehm über die Hitparadenprärien ritt.
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Jasoooo! Jetze kapierich. Die arroganten Säcke vom etwas älteren Semester! Mein Cousin war auch so einer. Sitzt heute vermutlich bei Helene Fischer in der ersten Reihe. Aber Anno 75: „Ich nehm nur noch Elpies auf. Tull musste hören und Tangerine Dream…“ — Aber wieso haben dir dann die ersten beiden HEART-Scheiben gefalln?
Nee, lass mal, wir grasen altersspezifisch naturgemäß auf unterschiedlicher Weide, trotzdem da Progistisch gesehen noch allerhand Schnittmenge bleibt.
Mir fällt nämlich gerade meine alte Barry White Laudatio ein … da hebste ja ooch de Zähne. (kicherkicherkicher – und ab.)
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Mir hat von jeder der beiden ersten Scheiben jeweils ein Lied gefallen – thats all.
Und bei Helene Fischer wird man mich nicht sehen.
Und wen du mit den arroganten Säcken vom etwas älteren Semester meinst, ist mir momentan nicht erfindlich. 😉
Die Schnittmenge – genau die!
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